Sex and the Lugner City: Der dritte Mann

Josef Jöchl artikuliert in seiner Kolumne ziemlich viele Feels. Dieses Mal zum Thema Wien – und wie sich Dating anfühlt in einer Stadt voller Unsympathen.

© Ari Yehudit Richter

Wien ist keine Stadt, die sich an dich ranschmeißt. Sie hat zwar gute Manieren und sieht für ihr Alter ganz passabel aus. Aber besonders freundlich ist sie nicht. Interessanter­weise wissen das auch die Wiener*innen selbst. Kaum jemand geht hier alleine aus, man bleibt gerne unter sich. Wenn man in anderen Städten nach einer Reise davon schwärmt, wie gast­freundlich die Menschen am Reiseziel gewesen wären, kommt man vielleicht aus Indien oder Costa Rica. Als Wiener*in reicht es, aus irgend­einer mittel­großen, deutschen Stadt zurück­zukehren, um festzu­stellen, dass man dort viel netter ist als daheim.

Mit dem stereotypen Wiener Grant hat das wenig zu tun, der existiert ohnehin nur auf dem Instagram der »Wiener Alltagspoeten«. Vielmehr ist es eine Mischung aus Steifheit, Langsam­keit und Dummheit, die den Wiener Vibe aufs Erste hin ein bisschen unsympathisch macht. In Bars und Clubs verbreitet er sich über Aerosole und gibt jeder fremden Person zu verstehen: Du bist nicht zum Vergnügen hier. Vor allem beim Dating kann die eher geringe Like­ability der Wiener*innen für Schwierig­keiten sorgen.

Eyes Wide Shut

Meine Boyfriends ließen sich, obwohl direkt aus dem Kühlschrank, immer recht leicht aufs Brot schmieren. Mit Bad Boys konnte ich nämlich noch nie was anfangen. In Wien kommst du aber nicht um sie herum. Wie zum Beispiel um den einen, den ich im Café Kafka traf. Drei Bierlängen redete er nur von sich. Richtig unan­genehm wurde er aber auf dem Nach­hause­weg. Von der Mariahilfer Straße an führte er sich auf wie mein persönlicher Schülerlotse. Schließlich erreichten wir die langsamste Ampel Wiens, jene vor dem Museums­quartier. Als ich mich dazu entschied, die Museumsstraße bei Rot zu queren, hielt er mich plötzlich zurück, obwohl weit und breit kein Auto zu sehen war – nur um die Straße selber bei Rot zu queren, sobald er es für richtig hielt. Paternalistisches Verhalten im Straßen­verkehr ist eine absolute Red Flag. Ich beschloss, dass wir an diesem Abend kein Ampelpärchen mehr werden würden, und verabschiedete mich höflich. Dating im Club schön und gut, aber doch nicht im ÖAMTC.

Funny Games

Manche Wiener Typen wirken zunächst sogar ganz freundlich. Ein paar Wochen später kam ich mit einem überein, an einem Sonntag­nachmittag »was zu machen«. Mit dem Zeitpunkt assoziierte ich einen Spazier­gang, Kaffee und Kuchen. Deshalb war ich etwas irritiert, als er vorschlug, sich direkt in seiner Wohnung zu treffen. Dort hatten wir dann relativ bald Sex. Weil ich von meiner Sonntags­fantasy noch nicht ganz runtergekommen war, bat ich ihn, mir einen Kaffee zu machen. Doch er hatte nicht nur keinen Kaffee zuhause. Im krassen Unterschied zu einer halben Stunde vorher redete er kaum noch mit mir. Plötzlich wurde mir klar: Er war also doch ein Unsympath. Ich verließ seine Wohnung und spazierte in die Kur­konditorei Oberlaa. Dort bestellte ich einen Einspänner. Das ist ein Espresso mit einer Haube aus kalter Schlagsahne. The irony!

Before Sunrise

Nach diesen Erlebnissen konnten mir die Wiener gestohlen bleiben. Doch just in diesem Moment sollte mir wieder einer begegnen. Dieses Mal war es jedoch ein perfektes Meet-Cute: ab und zu neugierige Blicke über die Budel, den Rest der Zeit die Anwesen­heit des anderen wohlig im Rücken spüren. Ein bisschen brauchte ich, um ihn anzusprechen. Ich sagte »Lorem ipsum dolor sit amet«, darauf er so: »consectetur adipiscing elit«, während wir einander pausenlos ins Gesicht lachten.

Wie alle netten Wiener war er Deutscher. Weil die Nacht gerade erst begonnen hatte, zogen wir weiter in einen Club, wo ich mich kurz von ihm abwandte, um aufs Klo zu gehen, Getränke zu holen und meinen Freund*innen bis ins letzte Detail zu erzählen, was bisher geschehen war. Leider dauerte das circa eine Stunde. Als ich den Typen wieder traf, ließ er sich gerade seine Jacke rausgeben. Es wäre ziemlich spät geworden, er wollte nach Hause. Enttäuscht sagte ich leise Servus und ging wieder in den Club, wo mich die Leute erwarteten, die ich ohnehin jede Woche sah.

Doch wenige Minuten später wurde mir klar, wie dumm ich mich verhalten hatte. Ich machte auf dem Absatz kehrt und lief hinaus in die Nacht. Wie um mein Leben sprintete ich den Kanal entlang und holte ihn schließlich keuchend ein. Der Typ blieb stehen und drehte sich verwundert zu mir um. Zur Erklärung erzählte ich ihm die Geschichte von dem Schüler­lotsen und dass ich Dates mit Kaffee und Kuchen viel lieber mag. »Josef, erst lässt du mich eine Stunde allein, dann läufst du mir hinterher und erzählst mir irgend­eine merk­würdige Geschichte«, sagte er. »Kommst du normaler­weise damit durch?« Ich weiß nicht mehr, was ich antwortete, aber was folgte, war die beste Nacht der Jahre 2020 und 2021. Auch weil ich beim Laufen meine Geldtasche verlor, das städtische Fund­service sie mir aber nur eine Woche später per Post zukommen ließ. Wien ist schon auch einfach gut verwaltet.

Josef Jöchl ist Comedian. Sein aktuelles Programm heißt »Nobody«. Josefs Auftritts­termine sind auf seiner Website www.knosef.at zu finden. Per E-Mail ist er unter joechl@thegap.at, auf Twitter unter @knosef4lyfe zu erreichen.

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