Sex and the Lugner City: Sex is great, but is it fashion?

Josef Jöchl artikuliert hier ziemlich viele Feels.

© Ari Yehudit Richter

Es gibt dieses eine Zitat von Karl Lagerfeld über Jogginghosen, und ich halte es für völlig falsch. Schon ein kurzer Streifzug durch die Lugner City beweist, dass man gleichzeitig Kontrolle über sein Leben bewahren und Trackpants tragen kann, weil mittlerweile völlig legitime Alltagskleidung. Das war nicht immer so. Jede Zeit hat ihren Publikumsgeschmack, das gilt für Kleidung wie für Sex. Die Neunzigerjahre machten den Bootcut und Oralsex populär, in den Nullerjahren schälte man sich aus Skinny Jeans, um sich danach ein bisschen zu würgen, die Zehnerjahre konfrontierten uns mit Mom Jeans und Pegging. In den Achtzigern hatte man Sex ausschließlich zur Zeugung von Kindern und in den Siebzigern wurde viel dabei gelacht, weil man ständig Sex-Gags aus den Automaten auf Wirtshaustoiletten ausprobierte. Soweit die Kulturgeschichte. Doch in Zeiten pandemiebedingter Enthaltsamkeit droht einem das Gefühl für den sexuellen Zeitgeist abhanden zu kommen. Allein beim Gedanken daran fühle ich mich wie vor einem überquellenden Kleiderschrank: Ist das noch sexy oder kann das weg? Drängend wurde die Frage, als ein stadtbekannter Damenschneider in meine DMs slidete.

Indirect Messages

Dabei waren seine Messages am Anfang gar nicht so direct. Er lud mich in sein Wochenendhaus zum Abendessen ein, und weil ich sowohl hungrig als auch thirsty war, sagte ich gerne zu. »Jetzt bin ich also bei Menschen mit Wochenendhaus angelangt«, dachte ich, als er mich einige Tage später vom Bahnhof abholte. Der stadtbekannte Damenschneider begrüßte mich zwar etwas distanziert, aber amikal, und fuhr mich in das Wochenendhaus, das genauso aussah wie auf den Bildern, die er mir vorab geschickt hatte: sehr modern, alles offen, viel weiß. Er warf die selbstgewalzten Nudeln ins köchelnde Wasser, röstete an Pinienkernen herum und fragte mich schließlich, ob ich ein Glas Natural Wine trinken wolle. »Natural Wine? Nicht beim ersten Date«, entgegnete ich entschieden, änderte aber wenig später meine Meinung. Natural Wines sind Weine, die ohne Zusätze und aufwendige önologische Verfahren produziert werden, das wusste ich zu jenem Zeitpunkt.

Prêt-à-baiser

Obwohl ich etwas eingerostet war, hatte ich die Choreografie solcher Abende nicht vergessen. Beim Essen bewegten wir uns thematisch an der Oberfläche, er erzählte von beruflichen Stationen und eher beiläufig von seiner neunjährigen Beziehung zu einem Innenarchitekten. Danach schwoften wir zur Couch, nach einigen routinierten Moves folgten Küsse wie ein alter Tanz. Den letzten Regionalzug hatte ich längst verpasst, weshalb der Weg ins Schlafzimmer vorgezeichnet war. Was soll ich sagen? Der Sex war zeitgenössisch, um nicht zu sagen trendy. Anything went! Wir spielten die größten Hits der Achtziger, Neunziger und von heute und schliefen zufrieden ein. Beim morgendlichen Kaffee kamen wir dann auf meine Sexkolumne zu sprechen. Der stadtbekannte Damenschneider fand, dass sich unsere Episode prima dafür eigne. »Du müsstest allerdings meinen Beruf ändern, man weiß sonst sofort, wer ich bin«, fügte er hinzu. »Kein Problem«, antwortete ich, »ich schreib einfach, du bist ein stadtbekannter Damenschneider.« Er nickte zustimmend, dann brachte er mich zum Regionalexpress.

Noch vor der Stadtgrenze erreichte mich eine Message von ihm. »Wär super, wenn wir das nicht an die große Glocke hängen, neun Jahre und so.« Ich versicherte ihm meine Diskretion, gleichzeitig war ich jedoch ein wenig enttäuscht. Ich fühlte mich auf der Stelle weniger ihm close, eher wie Glenn Close. Wie selbstverständlich war ich davon ausgegangen, dass es sich bei der Sache mit dem Innenarchitekten um eine offene Beziehung handle. Auf einmal schien mir mein kleiner Ausflug in sein Wochenendhaus überhaupt nicht mehr so angesagt. Ganz im Gegenteil: Kein Sex ist so out-of-date wie ein Seitensprung, den immer ein Hauch Fünfzigerjahre umweht. Wer sich 2021 noch im Schrank versteckt oder von einem Privatdetektiv beschattet wird, sammelt definitiv keine Distinktionspunkte. Offenheit rules, und das nicht erst seit dem letzten Jahr. Und sie ist gekommen, um zu bleiben. Zu Hause zog ich mir die festen Hosen aus und eine Jogginghose an. Ich schwor mir, künftige Instagram-Hook-ups im Vorhinein auf ihre Beziehungs-Policy abzuklopfen und die Geheimniskrämereien endgültig zum Container zu bringen. Mode könne man kaufen, Stil müsse man schon haben, sagte immerhin Coco Chanel. Ohne die wäre es für Karl Lagerfeld nicht halb so gut gelaufen und die Jogginghose wäre nie derart in Verruf geraten. Genau genommen war Autumn-Winter ja schon immer Sweatpants-Season, und wer es nicht ehrlich und casual mag, hat vielleicht nicht die Kontrolle, aber ein bisschen im Leben verloren.

Josef Jöchl ist Comedian. Sein aktuelles Programm heißt »Nobody«. Aktuelle Termine sind unter www.knosef.at zu finden. Josef ist per Mail unter joechl@thegap.at sowie auf Twitter unter @knosef4lyfe zu erreichen.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...