Simon Says

Am 21. Dezember 2012 geht die Welt unter. Den Untergang des Pop hat Simon Reynolds (angeblich) schon 2011 verkündet. Der Prophet über die heiligen Hallen des Pop, den wunden Punkt der Schriftgelehrten und die eigene Schuld.

Ist dir in deiner täglichen journalistischen Arbeit etwas aufgefallen, das dich schließlich auf die Idee zu »Retromania« gebracht hat?

»Retromania« kam durch viele Dinge zustande. Die Idee von Perioden wird unter Historikern viel diskutiert. In »Rip It Up« habe ich versucht nachzuweisen, dass es eine Post-Punk-Periode gab und wann sie zu Ende war. Als ich in den späten 80ern angefangen habe über Musik zu schreiben, bezogen sich viele meiner Lieblingsbands auf die 60er und kamen zur Gitarre zurück. In diesem Moment wandte sich die ganze Szene ab von Gegenwart und Zukunft. Ich dachte über die Idee von Retro nach und was es mit diesem Moment auf sich hatte. Warum war das interessant und nicht nur langweilig, konservativ und reaktionär? Die Frage, welches Verhältnis die Musik zur Vergangenheit hat, auf der sie aufbaut, war lange Zeit in meinem Hinterkopf. Ich schrieb sogar in den frühen 90ern einen Text, der »Retromania« hieß, zu der Zeit als das Mojo-Magazin startete und es außerdem einen Haufen Reissues gab. Er wurde schließlich nicht darunter veröffentlicht, aber das war mein Arbeitstitel.

Dass es Stoff für ein Buch ist, habe ich beim Bloggen gemerkt, als ich mit meinem Freund Marc Fisher über die Arctic Monkeys diskutierte. Er ist viel mehr anti-retro und meinte, er hasse diese Arctic Monkeys. Ich habe sie in einer Art Abhandlung verteidigt, in der ich feststelle, dass sie sogar ziemlich gut sind. Wir kamen auf die Frage, ob sie retro seien oder nicht und wo die Zukunft der Musik liege. Das war 2006, ein Jahr bevor ich anfing darüber nachzudenken, ein Buch zu schreiben.

Du greifst in deinen Texten auch auf Theoriefragmente zurück. Wie wichtig ist das für dich?

Die Grundlage liefert der Musikjournalismus, dort verweisen viele Autoren auf Nietzsche, Roland Barthes oder Foucault. Es wird oft gesagt, ich benütze die Theorie, um die Musik zu legitimieren. Tatsächlich ist es genau andersherum. Die Musik macht Philosophie aufregend. Das liegt daran, dass ich über Derrida und Foucault im Kontext von The Fall, Birthday Party, Nick Cave oder The Smiths gelesen habe. Diese großartige Musik hat mein Interesse für Philosophie geweckt. Ich habe auch wissenschaftliche Arbeiten über die Soziologie von Subkulturen gelesen. All das inspiriert mich.

Du nennst im Buch Archive und Museen als Beispiele für die Institutionalisierung von Pop, die ihn verfügbar macht, aber auch den Fortschritt verhindert. Was denkst du darüber, dass Pop in den Universitäten angekommen ist?

Das fing in den 80ern an. Meine Freunde und ich machten ein Fanzine, das sehr professionell aussehen sollte. Wir lernten Wissenschaftler kennen, die schon über Musik und Jugendkultur schrieben und denen unser Magazin sehr gefiel. So trafen wir auch auf Leute wie Simon Frith und traten der IASPM, der International Association for the Study of Popular Music, bei. Damals konnte man sich im Soziologestudium mit Popmusik und Jugendkultur beschäftigen, aber heute kann man Lady Gaga studieren. In Amerika ist das sehr verbreitet. Ich glaube, es gibt sogar Kurse über Rockkritik.

Eigentlich darf ich mich nicht darüber beschweren, weil einige meiner Texte zwar nicht in wissenschaftlichen Zeitschriften, aber in Kunstmagazinen und anderen intellektuellen Publikationen erschienen sind. Ich habe vor Kurzem selbst Kurse gegeben und mich mal für einen Job in diesem Bereich beworben. Ich war in Museumsprojekte involviert, habe für Kataloge geschrieben usw.

Einerseits verdient die Musik diese Ernsthaftigkeit, diese Art von Analyse, Anerkennung und Prestige. Andererseits denkt ein Teil von mir, es sollte mehr um verschwitzte Räume mit Bands und DJs gehen. Es ist schwierig, den Geist der Musik in einem Museum einzufangen und dort Sound zu präsentieren. Ich bin sozusagen korrumpiert durch meine Beteiligung. Würde mich jemand fragen, ob ich eine Museumsausstellung kuratieren will, würde ich wahrscheinlich zustimmen.

Die Kritiker, die den Rolling Stone gegründet haben, sind jetzt in ihren 50ern und 60ern und einige davon ziemlich einflussreich und wohlhabend. Sie wollen ihre Kultur legitimieren und bewahren, als Teil der westlichen Hochkultur. Natürlich möchten sie Dylan als bedeutenden Literaten ihrer Ära sehen, als den Byron oder Goethe ihrer Generation. Menschen, die mit der britischen Musikpresse aufgewachsen sind, mich eingeschlossen, sind jetzt wichtige Personen im Verlagswesen. Deswegen gibt es immer mehr Bücher über verschiedene Aspekte von Popmusik. Egal, ob es nun eine großartige Zeit für die Musik ist oder nicht, es ist eine wirklich gute Zeit für Bücher über Musik.

Bild(er) © Joy Press; Ventil Verlag
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