Simon Says

Am 21. Dezember 2012 geht die Welt unter. Den Untergang des Pop hat Simon Reynolds (angeblich) schon 2011 verkündet. Der Prophet über die heiligen Hallen des Pop, den wunden Punkt der Schriftgelehrten und die eigene Schuld.

Du unterscheidest im Buch subjektives, emotionales Retro und das heutige, ironische und objektivere Retro. Ist das nicht wiederum dein subjektiver Eindruck? Kannst du ein Beispiel nennen oder erklären, inwiefern es heutzutage nicht mehr subjektiv ist?

Ich denke, jede Literatur beinhaltet subjektive Elemente, vielleicht sogar jede gute. Ich habe meine eigene Perspektive und aus der kann ich nicht raus. Das will ich auch gar nicht. Ich habe versucht etwas zu finden, woran man diese Dinge messen kann. Wie viele neue Genres tauchten in den Nullerjahren auf, im Vergleich zu den vorangegangenen Jahrzehnten? Das war mein Maßstab, der, glaube ich, nicht nur für mich Gültigkeit hat. Allerdings hat jeder eine andere Meinung, was als Genre zählt. Disco oder Heavy Metal? Klar. Aber ist Hypnagogic Pop ein eigenes Genre? Es gab in den 2000ern zwar zahlreiche Micro-Genres, aber keine großen Bewegungen mit neuer Kleidung und Sprache. Nichts, das so groß war wie Hip-Hop oder Punk.

Ich habe in meinem Leben viele Leute getroffen, die dachten, dass Mitte der 60er der Höhepunkt der Popmusik war und dass sie damals etwas an sich hatte, das verloren gegangen ist. Darin steckt der wahrhaftige Wunsch, zu dieser Zeit gelebt zu haben.

Ich weiß nicht, ob es zum z. B. bei dieser neuen Version von House eine richtige Sehnsucht gibt. Bei Octo Octa ist es, glaube ich, keine Nostalgie im Sinne eines wirklichen Schmerzes, eines Verlangens.

Es gibt eine andere Gruppe, Miracle’s Club aus Portland, einer sehr hippen Hipster-Stadt. Im Video zu ihrem Song »Church Song« waren alle ihre Freunde involviert, die sich lustige, hippe Klamotten angezogen haben und seltsame Tanzbewegungen machen. Ich denke, dass sie auf Youtube Videos von alten Techno-Shows und House-Sendungen aus den späten 80ern und frühen 90ern durchgesehen und die Bewegungen einstudiert haben. Aber es sieht nicht wirklich wie damals aus, sondern wirkt eigenartig. Auch die Musik ist nicht stimmig, der Gesang ist für richtigen House nicht voluminös genug. Sie haben eine Party namens »Ecstasy« gefeiert und den charakteristischen Grafikstil der Hacienda, des großen Techno-Clubs in Manchester, kopiert.

Oft geht es das um die Fertigkeiten beim Reproduzieren, die Freude am Altmodischen und eine Wertschätzung von Stilisierung. Es ist weniger emotional als ästhetisch. Ich mache mir Gedanken darüber, dass die ganze Energie für Dinge verwendet wird, die auf der Vergangenheit aufbauen, und nicht dafür den Stil des Hier und Jetzt hevorzubringen.

Gibt es deiner Meinung nach einen Zusammenhang zur Tatsache, dass Pop keine Jugendkultur mehr ist – zumindest nicht exklusiv?

Etwas zu haben, was deine Eltern hassen oder woran sie nicht interessiert sind, ist ein Gedanke, der verloren gegangen ist. Nur im Dubstep findet man ihn noch. Es gibt ein witziges Video auf Youtube, mit dem Titel »Elderly people react to Dubstep«. Einige ältere Menschen sind ziemlich hip und fühlen sich an Jimi Hendrix erinnert. Die meisten finden, dass es keinen Sinn macht und nur schrecklicher Lärm ist.

Aber was macht man, wenn seine Eltern cool sind oder einen guten Musikgeschmack haben? Lehnt man dann The Velvet Underground ab? Das ist gute Musik, die will man nicht verpassen.

Ich weiß nicht, ob das hier genauso ist, aber in Großbritannien gehen die Eltern mit ihren Kindern zu den großen Rockfestivals. Es gibt keinen Generationenkonflikt mehr. Was die Eltern mögen, wird nicht mehr so stark abgelehnt und umgekehrt.

Ich wollte meine Eltern damals nicht abschrecken, aber sie mochten meine Musik definitiv nicht, sondern Jazz, Klassik und Musicals. Ich mochte das eigentlich auch, aber Pop war mein Ding.

Pop ist dein Job, aber auch dein Hobby, z. B. das Plattensammeln. Deine Frau hat zu dem Thema ebenfalls publiziert. Pop ist also Teil deines gesamten Lebens. Hast du jemals davon die Schnauze voll, gerade wegen der ganzen Retro-Manie?

Es gab zwar Zeiten der Langeweile – aber nein, eigentlich nicht. Ich habe ein großes Interesse an älterer Musik entwickelt. Erstaunlicherweise gibt es sogar über die Musik, über die schon sehr viel geschrieben worden ist, noch etwas zu sagen, wenn man eine Verbindung zu übergreifenden Themen herstellt. Mein nächstes Buch wird z. B. über Glam Rock sein.

Möglicherweise würde ich auch über Filme gute Texte schreiben, wenn ich es versuche. Aber es ist Musik, die mich zu Bestleistungen bringt. Ich habe oft gehört: »Simon, du könntest alles Mögliche machen, warum beschränkst du dich auf Musik?« Aber ich fühle mich nicht eingeschränkt. Ich habe das Gefühl, dass über Musik zu schreiben mein Mittel ist, über alles zu schreiben.

Bild(er) © Joy Press; Ventil Verlag
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