Auf »Sahar«, seinem zweiten Album, besticht Tamino-Amir Moharam Fouad, wie er mit vollem Namen heißt, mit seiner einzigartigen Stimme, poetischen Gedanken und wunderschönen Melodien. Vor seinem Wien-Konzert am Donnerstag sprach der belgisch-ägyptische Musiker mit uns über das neue Album, die Schönheit im Alltag, sein zukünftiges Leben in New York und darüber, was es bedeutet, Colin Greenwood von Radiohead in seiner Touring-Band zu haben.
Dein erstes Album »Amir« war ein überraschender, großer Erfolg. Nachdem du die Promotion und Tournee abgeschlossen hattest, kam jedoch gleich die Pandemie. Wie hast du dich in dieser unsicheren Situation gefühlt, nachdem du offensichtlich viel Arbeit in deine Karriere gesteckt hattest, die gerade erst in Schwung kam?
Tamino: Ich war eigentlich sehr glücklich. (lacht) Bis dahin waren ich und mein ganzes Team sehr auf meine Karriere fixiert, und darauf, was ich alles erreichen muss. Aber alles hat ein Ablaufdatum, und nach einer Weile geht es nicht mehr um Kreativität oder die Musik, sondern darum, Erfolge zu erzielen. Ich war ausgebrannt und müde von dieser Fixierung auf Erfolg, und ich war froh darüber, nach Hause zu gehen und einen Zustand der Ruhe zu erreichen, in dem niemand etwas von mir wollte. Glücklicherweise wurde ich auch von meinem Management und meinem Label in Ruhe gelassen, weil jeder wusste, dass es keinen Sinn hat, Musik zu veröffentlichen, wenn man sie nicht live spielen kann.
Dafür konnte ich eine Zeit lang ein normales Leben führen, was es mir ermöglichte, Freundschaften zu schließen und erwachsen zu werden, aber eben nicht im Zusammenhang mit der Arbeit. Ich war so jung, als alles anfing – es musste eine Phase geben, in der ich wachsen konnte. Und auch jetzt habe ich immer noch das Gefühl, dass ich einiges aufzuholen habe. (lächelt)
»The First Disciple«, die erste Single deines neuen Albums »Sahar«, wurde von deiner Bewunderung für Kahil Gibrans Buch »Der Prophet« und von der Enttäuschung inspiriert, die aufkam, als du später negative Dinge über den Autor erfahren hast. Kannst du die Kunst vom Künstler trennen?
Die Kunst von der Person zu trennen, ist für mich ganz natürlich. Normalerweise tue ich das immer, wenn ich neue Musik, Gemälde oder Bücher entdecke, denn meistens weiß ich nicht viel über die Person, über die Fehler, die sie begangen hat, über das Gute, das sie bewirkt hat. Aber ich weiß, dass diese Arbeit etwas in mir auslöst, dass sie mir gefällt. Natürlich: Wenn eine gewisse Grenze überschritten wird, würde ich den Künstler oder die Künstlerin nicht unterstützen. Umgekehrt: Künstler*innen, die wirklich vorbildlich human handeln, schätze ich vielleicht als Person, aber deren Kunst wird dadurch auch nicht automatisch besser.
Es gibt aber auch Künstler*innen wie etwa Patti Smith oder Nick Cave, von denen ich ein echter Fan bin – sowohl im Hinblick auf ihre Kunst als auch auf ihre Person. Ich stelle sie auf ein Podest, obwohl ich das eigentlich gar nicht tun müsste, denn sie stehen – zu Recht – bereits darauf. Sie haben sowohl die schwierigen als auch die schönen Seiten der Dinge erlebt und zeigen, wie man mit der Komplexität des Lebens wunderbar umgehen kann.
Mir scheint, dass Schönheit in allen Aspekten deiner Kunst eine grundlegende Rolle spielt – von der Musik bis zur visuellen Darstellung. Das Schöne an sich hat natürlich viele Facetten, aber wie würdest du das, was du in deinem Leben als Schönheit erlebst oder empfindest, beschreiben?
Es ist sehr schwer, Schönheit zu definieren, und sie verändert sich auch ständig. Ich erkenne aber mehr und mehr, dass fast alles Schöne aus der menschlichen Erfahrung kommt. Einen Sonnenuntergang könnte man als objektiv schön bezeichnen, aber es muss einen Menschen geben, der ihn als schön empfindet. So wie die Schönheit eines Konzerts viele Menschen braucht, die zusammenkommen, um sie zu erfahren und miteinander zu teilen. Das gilt für alles, auch für Beziehungen, wie ich mehr und mehr feststelle und was ich in der Vergangenheit, als ich oft in meinen Gedanken lebte, unterschätzt habe. Ich versuche nun, so aufmerksam wie möglich zu sein, um eine tatsächliche Verbindung herzustellen, den Moment zu erleben und Schönheit zu erfahren.
»Sahar« enthält sehr intime, subtile, in gewisser Weise transzendentale Lieder. Wie entstand diese eigene Welt in deiner Antwerpener Wohnung?
Eigentlich ohne ein klares Konzept. Ich spiele viel auf der Oud, einer arabischen Laute, die mich stark inspiriert hat. Ich übe viel und schreibe jeden Tag Songs darauf. Selbst die Klangfarben, die ich verwende, sind einfach aus ihr entsprungen. Aber sobald ich die Songs geschrieben habe, wird ein Großteil der endgültigen Arrangements und der Instrumentierung im Studio mit anderen Musiker*innen erarbeitet.
Apropos andere Musiker*innen: Wie fühlt es sich an, dass Colin Greenwood, der Bassist von Radiohead, einer der einflussreichsten Bands der letzten Jahrzehnte, mit dir spielen und arbeiten wollte und jetzt mit dir auf Tour ist?
Die Faktizität seiner erstaunlichen Karriere, seiner Kreativität und seiner früheren Arbeit ist in meinem Kopf immer präsent. Doch selbst das würde meines Erachtens nicht ausreichen, um eine Aura um ihn herum aufzubauen. Das Schöne an ihm ist seine unglaubliche Leidenschaft: Wenn er die Bühne betritt, möchte man präsent sein, man möchte im Moment sein und man möchte schätzen, was man tut, weil man jemanden sieht, der so emotional den Augenblick erleben kann. Tatsächlich weint er oft während der Auftritte. Ich habe in meinem Leben wirklich viel mit Gleichgültigkeit zu kämpfen, und er ist eine Mahnung, denn er hat schon alles gesehen, ist in der Welt gereist und trotzdem genießt er auf der Bühne jeden Moment und … weint. Ich würde sagen, das ist das schönste Geschenk dabei, wenn man mit ihm zusammenspielt.
Deine Texte sind oft poetisch, und Songs wie »A Drop of Blood« zeigen, dass du ein ernstzunehmender Lyriker bist. Es scheint etwas zu sein, das dir am Herzen liegt.
Ich danke dir. Ja, es ist so. Sehr sogar. Aber komischerweise beginne ich immer noch mit der Melodie. Es fängt mit einer Idee für die Melodie oder die Harmonie an, aber dann beende ich den Song nur, wenn mir ein guter Text einfällt. Nur wenn ich das Gefühl habe, dass ich mit dem Song etwas zu sagen habe, möchte ich ihn auch beenden.
Der Albumtitel »Sahar« bezieht sich auf die Zeit vor der Morgendämmerung. Aber was soll der neue Tag für Tamino bringen?
(lacht) Nun, die letzte Zeile des Albums lautet: »Before I step into darker days.« Es klingt also eher etwas düster, aber für mich macht es Sinn. Das Ende ist offen, wir wissen nicht, wohin der Weg führen wird, und ich habe das Gefühl, dass es dieses Mal ein dunklerer Weg sein wird. Vielleicht auch weil ich bald nach New York ziehe. Ich habe dort eine Zeit lang gelebt und war immer traurig, wenn ich wegmusste. Aber es ist eine Umgebung – um David Bowie zu zitieren –, in der die Füße nicht wirklich den Boden berühren. Ich fühlte mich in New York wohl, aber auch ein wenig unsicher, weil ich, als ich dort war, mit all den Dingen konfrontiert wurde, die ich noch lernen will und muss.
Tamino ist am 16. Februar 2023 in der Arena Wien live zu sehen.