In seinem – auch formal – außergewöhnlichen Dokumentarfilm »Die dritte Option« beschäftigt sich Thomas Fürhapter mit den biopolitischen Implikationen der Pränataldiagnostik. Ein Gespräch darüber, was in unserer Gesellschaft als normal und was als abnormal gilt, welche Rolle ökonomische Kriterien dabei spielen und wie freiwillig die Entscheidung für den Spätabbruch einer Schwangerschaft tatsächlich sein kann.
Dein Film behandelt ein sehr emotionales Thema: Was tun, wenn man erfährt, dass man möglicherweise ein behindertes Kind bekommt? Im Wesentlichen also die Entscheidung zwischen Leben und Tod. Die Form, die du dafür gewählt hast, ist hingegen eher nüchtern. Wie kam es dazu?
Für mich war der Ausgangspunkt eigentlich nicht, was man tun soll, wenn man als Elternteil in so eine Situation kommt – also nicht die moralische Frage, ob das jetzt richtig oder falsch ist. Sondern die Beobachtung, dass dieses Thema meistens privatisiert wird. Es wird auf ein individuelles Problem der Eltern und auf die moralische Frage dieser Entscheidung reduziert. Was dabei gerne ausgespart wird, sind die Voraussetzungen für diese Entscheidung. Auf welcher Wissensbasis sie zustande kommt, warum sie als »selbstbestimmte« Entscheidung präsentiert wird – der ganze biopolitische Rahmen. Es wird überhaupt nicht als politisches oder gesellschaftliches Phänomen beschrieben, sondern als persönlicher Schicksalsschlag.
Aber zur Nüchternheit der Form: Das hat eigentlich mehrere Ursachen. Das Thema wird natürlich als ein sehr emotionales wahrgenommen und auch noch zusätzlich emotionalisiert, indem es privatisiert und individualisiert wird. Dem wollte ich etwas entgegensetzen – die Emotion ein bissl rausnehmen, um so einen Denkraum aufzumachen und sich zu fragen: Was geht da eigentlich vor sich? Mich hat eher interessiert, wofür das ein Symptom ist und was das über unsere Gesellschaft aussagt. Und nicht, ob die Entscheidung für bzw. gegen einen Spätabbruch moralisch richtig bzw. falsch ist.
Wie würdest du den gesellschaftlichen Diskurs zum Thema Pränataldiagnostik hierzulande einstufen?
Pränataldiagnostik ist mittlerweile so zur Routine geworden, dass man sich darüber kaum Gedanken macht. Man wird schwanger, geht zur Frauenärztin und ist dann in dieser Maschinerie drinnen. Das ist für die meisten Frauen einfach ein integraler Bestandteil der Schwangerschaft, etwas Normales; das macht man so. Und es wird wohlwollend und positiv argumentiert, dass es ja im Sinne der Sicherheit und der Gesundheit ist: »Wir wollen ja nur das Beste für dich.« Welche gesellschaftlichen und politischen Implikationen das hat, welche historischen und ökonomischen, das wird eher ausgespart.
Zugespitzt formuliert, ist die Pränataldiagnostik ja ein biopolitisches Instrument zur Bevölkerungsregulierung. Es wird damit entschieden, wer ein Teil unserer Gesellschaft sein soll und wer nicht. Ich glaube, die Normfrage, die da dahintersteckt, an die denkt kaum jemand. Vor allem daran, dass bei diesen Vorstellungen von Normalität auch ökonomische Kriterien eine wesentliche Rolle spielen – Arbeits- und Leistungsfähigkeit; man muss produktiv sein.
Du nimmst im Film auch auf die Konstruktion von Behinderung Bezug. Dass das Behindert-Sein etwas ist, das gemacht wird. Genauso wie das Normal-Sein etwas ist, das gemacht wird.
Dass Behinderung, Normalität, der behinderte Körper oder der Körper überhaupt eigentlich ein Diskursprodukt ist, diesen Gedanken finde ich interessant. Ein behinderter Körper wird als eine Art Unfall der Natur gedacht, als etwas Objektives. Aber das ist natürlich nicht so, weil unsere Einschätzung davon abhängig ist, welche Vorstellungen wir von einem »normalen« Körper haben. Der behinderte Körper weicht von unseren Normvorstellungen ab und deshalb haben wir da eine Kategorie, die in der Natur so eigentlich nicht vorkommt. Eine sprachliche Konstruktion.
Ist es ein modernes Phänomen, dass man Behinderung auf diese Weise wahrnimmt? Im Film wird etwa die Einführung der Statistik im 19. Jahrhundert als wichtiger Faktor genannt.
Ich habe dieses Statement reingenommen, weil ich interessant gefunden habe, wie sich mit den Naturwissenschaften und der modernen Medizin, mit diesem Quantifizieren des menschlichen Körpers auch der Behinderungsbegriff verändert hat. Es hat natürlich früher auch abweichende Körper gegeben, aber Behinderung in unserem heutigen Verständnis als etwas, das gemessen, in Zahlen übersetzt und dann in Verhältnis zu einem Durchschnittswert, also zu anderen Zahlen, gesetzt wird – ich glaube, das ist das Neue an unserem Verständnis von Behinderung.
Was nicht heißen soll, dass früher alles besser gewesen ist. Überhaupt nicht. Heutzutage ist zum Beispiel Inklusion ein Riesenthema. Was aber auch wieder – bei allem gesellschaftlichen Fortschritt – problematisch sein kann. Die Frage ist: Wieso wird so viel Energie für Integrations- und Inklusionsfragen aufgewendet, aber warum werden eigentlich die Exklusionsmechanismen kaum thematisiert – etwa diese Kategorisierung in normal und abnormal.
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