Tod, Tarot und "Call Me Maybe"

Nach dem Totalverlust kommt der Hype. Tom Krell hat sein Innerstes nach außen gekehrt. Schmerz ist für How To Dress Well ein fruchtbarer Boden für neue Songs, für die "intim" nur ein Hilfsausdruck sein kann.

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Tom Krell ist "How To Dress Well". Irgendwie ist das eine Art von R&B. Village Voice interpretieren das B in "Rhythm and Blues" dabei eher als Bedroom denn als Blues. Rhythm and Bedroom also. Krells bestechender Falsettgesang ist in vertrackte und quere Klangflächen gebettet, die schwer zu dechiffrieren sind. Poppiger als das Vorgängeralbum ist das trotzdem. Die neue Platte heißt "Total Loss" und reflektiert einige schwere Schicksalsschläge, die innerhalb kürzester Zeit auf Krell eingeprasselt sind.

Im The Gap-Interview spricht Tom Krell über Tod, Tarot und "Call Me Maybe" von Carly Rae Jepsen.

"Total Loss" heißt dein neues Album. Diese Frage hast du wahrscheinlich schon oft beantwortet, trotzdem muss ich sie dir stellen: Wonach hast du die Platte benannt?

Das Album ist ins Rollen gekommen, als ich gerade in einer ziemlich intensiven Phase steckte, die von Verlust geprägt war. Mein bester Freund ist gestorben, ich habe mehr oder weniger die wichtigste Beziehung meines Lebens verloren. Es sah damals so aus, als würde ich die Liebe meines Lebens verlieren. Mein Onkel ist gestorben – ein sehr wichtiger Mensch in meinem Leben. Sein Tod hat meine Mutter in eine Spirale von Depressionen gestürzt, aus der sie sich nicht erholt hat. Sie verließ ihr Bett zwölf Wochen lang nicht, und sprach nicht mehr. Es hat meine Familie komplett zerrüttet.

All diese biographischen Sachen waren mein persönlicher Quell, die Songs zu schreiben und einen Weg zu finden, den Gefühlen und der Traurigkeit zu begegnen. Aber nicht so, dass es mich hinunterzieht, sondern ein Weg, die Trauer zu würdigen und sich mit den Dingen auseinanderzusetzen, aber genauso eine kreative Energie daraus zu entwickeln.

Ist genau das nicht am Schwierigsten überhaupt, aus Schmerz und Verlust produktive Energie zu entwickeln?

Die Versuchung ist für mich sehr groß, in einen melancholischen und depressiven Zustand zu verfallen, und ich glaube das ist für viele Menschen so. Entweder du erleidest Schmerz und wirst unglaublich depressiv, oder du schiebst alle Emotionen zur Seite und versuchst, dass dich das alles gar nicht berührt. Keines von beiden war eine Option für mich. Das Album zu schreiben war für mich die Suche nach diesem Mittelweg.

"Total Loss" handelt für mich von diesem Scheideweg: Du bist in einer furchtbaren Situation, und versuchst, da wieder rauszukommen. "Total Loss" ist ambivalent. Es kann dich entweder genau ebendahin zurückwerfen, oder Ausgangspunkt für einen neuen Start sein.

Ein sehr spiritueller Freund hat vor kurzem Tarot-Karten für mich gelesen. Die Karte, die mich repräsentiert hat, war die Karte des Todes.

Das kann aber zweierlei heißen: Verlust, Suizid, Selbstzerstörung … oder auch ein neues Selbstvertrauen. Interessant für mich ist, wie man durch die Phasen von "Total Loss" gehen kann, um optimistischer zu werden. Ich glaube, dass echte Glückseligkeit nicht möglich ist, wenn man sich der Trauer verschließt.


Dein neues Album ist nicht so fragmentarisch wie der Vorgänger, die Beats sind viel präsenter, und es ist auch ein klein wenig poppiger. Willst du leichter zugänglich sein?

Wenn ich etwas schaffe, dann soll das etwas sein, das intim und schön ist. Das ist mein Ziel. Die erste Platte war ein Entwurf von Intimität, tief verwurzelt im Konzept von Einsamkeit – beinahe eine Art autistische Verschlossenheit. Auf "Total Loss" interessiere ich mich viel mehr für Intimität, bei der auch andere involviert sind, es ist offener und sozialer, aber trotzdem still, intim und schön. Das Album ist zugänglicher und poppiger, aber trotzdem gibt es diese skurrilen Details. Das kann etwa die Art und Weise sein, wie die Stimme aufgenommen worden ist, ein seltsames Piano-Loop, oder komische Beatprogrammierungen.

Positiv ist anzumerken: Man hört deine Stimme besser als je zuvor.

Das war mein Hauptziel. Auf dem Album sind elf Songs drauf, aufgenommen habe ich um die 24. Viele von den anderen sind ziemlich heavy und noisy, aber die Stimme ist trotzdem wie ein roter Faden. Du kannst die körnige Stimme echt gut hören – ohne Tuning oder irgendwelchen Verbesserungen. Auch wenn sie in Sounds vergraben ist, geht es trotzdem um den rohen, spirituellen Charakter der Stimme.

Fühlst du dich manchmal verletzlich, vor deinem Publikum, vor deinen Fans?

Das ist eines meiner Ziele. Je größer die Venues werden, desto mehr beängstigt mich das. Ich will, dass sich die Leute mit den Songs emotional verbinden können. Nicht "Emo"-mäßig, eher auf sehr intensive, fast spirituelle Art. Ich will, dass die Leute dann das Selbstvertrauen finden, das auch selbst zu tun. Natürlich bedeutet das für mich, dass ich mich dieser Verletzlichkeit aussetzen muss.

Zu Beginn hast du anonym auf einem Blog veröffentlicht.

Es ist eigentlich sonderbar, wenn ich mir überlege, wie sich meine Musik verbreitet hat. Ich habe sie an all jene Blogs gesandt, die ich lese und an die Labels, die ich respektiere. Zwei Blogs haben mich gleich von Beginn weg sehr unterstützt, "Rose Quartz" und "Friendship Bracelet". Von da an hat sich’s verbreitet und multipliziert. Am Anfang hatte ich zehn oder zwölf Hörer pro Woche. Dann waren’s hundert, und auf einmal tausend. Vor sechs Wochen habe ich die Single "Ocean Floor For Everything" veröffentlicht. Die wurde innerhalb von vier Tagen 100.000 Mal angehört.


Gibt es Nachteile, wenn man als Künstler auf einer Hype-Welle schwimmt?

Nein, gar nicht. Nach "Love Remains" habe ich eine Tour gemacht, Festivals und eine Europa-Tour, und meine ersten Konzerte in Tokio und Australien. Das ist alles zu einem Zeitpunkt passiert, als die Platte ziemlich gehyped wurde. Alle Konzerte waren gut besucht, alle waren total neugierig. Ich glaube, dass auch viele "beiläufige Fans" da waren.

Aber diese letzte Tour jetzt war ohne dazugehöriges Release. Kein Buzz. Die, die gekommen sind, waren echte Fans. Solche, die von der Musik berührt sind. Die Shows in New York waren ausverkauft, Toronto war ausverkauft. In Montreal aber waren ca. 70 Leute in einer Halle für 200.

Montreal ist lustig. Dort will keiner für ein Konzert etwas bezahlen. Das ist mehr Berlin als Berlin. Total pleite und Do-it-Yourself.

Die Konzerte an der Westküste waren ähnlich – manche waren ausverkauft, manche waren weniger gut besucht. Aber jeder, der da war, war überzeugt von dem Projekt.

Neben deiner Musik bist du hauptberuflich Philosophie-Student. Kann das eine nicht ohne das andere?

Ich glaube dass es etwas gibt, das beidem zugrunde liegt. Ich habe lange Zeit Philosophie studiert, ohne Musik zu machen. Aber wer weiß? Vielleicht mache ich jetzt für lange Zeit Musik ohne Philosophie? Ich habe beides sehr gerne, aber langfristig sind es wohl zwei ganz unterschiedliche Ausdrucksarten von mir, die mir helfen, ein volles Leben zu führen.

Dein Musikgeschmack ist sehr eklektisch. Was beeinflusst dich?

All das, was starke Affekte auslöst. "Call Me Maybe" zum Beispiel öffnet mir die Augen, ich will herumhüpfen wenn ich den Song höre. Es werden schöne Gefühle darin beschrieben.

"Before you came into my life, I missed you so bad", das sind "How To Dress Well"-Lyrics.

Ich höre auch viel harten Gangsta-Rap. Dann fühle ich mich "big as fuck", wenn ich das höre. Am Ende des Tages ist die Musik die ich höre aber so etwas wie Xiu Xiu, Tracy Chapman, oder Mariah’s "Memoires Of An Imperfect Angel". Das Album bewegt mich total. Aber ich denke mir auch: Aha, hier macht sie das, dort tut sie das – ich weiß, wie das aufgebaut ist. Ich kann das auch machen.

Was ist mit Justin Timberlake und Janet Jackson?

Ich liebe Justins Stimme. Er hat geniale Momente, aber hauptsächlich mag ich seine Stimme. Janet…."The Velvet Rope" ist seit Jahren eines meiner Lieblingsalben. Ich höre das, und es regt mich zum Denken an und ist so emotional und vielseitig. Das war mein Paradigma für "Total Loss", ein Album zu schaffen, das ganz unterschiedlich ist und nicht repetitiv.

"Total Loss" erscheint am 14. September 2012 auf Domino.

Bild(er) © Domino
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