Am 9. Juni feiert das Musical „Traiskirchen“ im Rahmen der Wiener Festwochen seine Uraufführung. Wir haben uns mit der Regisseurin Tina Leisch und dem Schauspieler Johnny Mhanna über die Entstehung des Stückes und die Schwierigkeiten im Umgang mit dem aktuellen Thema unterhalten.
Tina Leisch und Johnny Mhanna verbinden mit dem Sommer 2015 vor allem eines: Traiskirchen. Als Mitbegründerin des Vereins „Schweigende Mehrheit“ organisiert Leisch dort unter anderem Theateraufführungen mit den Flüchtlingen. Einer von ihnen ist Johnny Mhanna. Im September 2015 entstand so die Inszenierung von Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen“. Zwei Jahre später gestaltet die Gruppe ein Musical über die Bewohner in Traiskirchen. Die Uraufführung findet am 9. Juni im Wiener Volkstheater statt. Eines der Ziele des Musicals ist es dabei, die gängigen Klischees über Flüchtlinge aufzuarbeiten und ihnen entgegenzuwirken.
Wie kam es zu der Idee, nach der Inszenierung der „Schutzbefohlenen“ ein Musical über Traiskirchen zu machen?
Leisch: Das liegt nahe. Wenn Sie im Sommer 2015 in Traiskirchen waren, haben Sie gesehen: Das war eh schon ein Musical, nur dass noch nicht gesungen wurde. Dieser Trubel, diese Szenen, diese ganze Aufgeregtheit, das war sehr dramatisch und auch oft sehr melodramatisch, was da alles passiert ist. Gerüchte hier und da, ich finde ein Musical passt gut zu der Situation.
Mhanna: Wenn man über den Sommer 2015 ein Sprechtheater machen würde, das würde eher ein trauriges Stück und sehr dramatisch und tragisch. Musik schafft Frieden. Musik verbinden viele mit Glück und guten Gefühlen. Deshalb haben auch in Traiskirchen viele Leute gesungen und Musik gespielt oder getanzt. Es gab zum Beispiel eine Gruppe aus dem Irak, die gesungen und Percussions gespielt und dazu getanzt hat, auch damit die Leute Spaß haben konnten. Ein bisschen Musik machte diese komplizierte Situation in Traiskirchen oft erträglicher.
Worauf mussten Sie bei der Arbeit mit einer so aktuellen Thematik besonders achten?
Leisch: Ich finde, es ist auf jeden Fall eine Herausforderung, weil man da fast noch drinnen steckt, weil wir das ja alles selber auch miterlebt haben und zwar nicht als außenstehende Beobachter, sondern wir waren wochenlang in Traiskirchen und haben mit den Leuten gearbeitet, waren in Nickelsdorf und waren sozusagen als politische Aktivisten ein Teil von diesem Sommer.
Wenn man gestern selber noch drinnen gesteckt hat und das heute künstlerisch bearbeitet, bedeutet das, dass man erst einmal drei Schritte zurücktreten muss, um aus dieser sehr parteiischen Sichtweise auszutreten. Natürlich gibt es dann auf der Bühne Personen und Figuren, die uns darstellen. Dennoch muss man zurücktreten und versuchen, das ganze Bild zu erfassen und nochmal zu rekonstruieren: was war da eigentlich, was ist da passiert, was haben wir da für eine Rolle gespielt und wie sieht das aus der Sicht der anderen aus.
Mhanna: Das Besondere am Theater ist, dass es viele Texte aus dem 18. Und 19. Jahrhundert gibt, die jetzt immer noch funktionieren und aktuell sind. Im Fall von diesem Musical glaube ich, dass man 2015 verstehen muss, um 2017 verstehen zu können. Ich bin jetzt zum Beispiel hier und mache dieses Interview, weil ich 2015 in Traiskirchen war. Der Sommer war ein wichtiger Punkt, denn die Masse an Menschen, die hierhergekommen ist, ist ein wichtiges Thema in unserer Gesellschaft. Bei diesem Stück wollten wir nur über diesen einen Ort sprechen und was dort passiert ist. Natürlich sind zwei Stunden dabei eine kurze Zeit, um alles aus Traiskirchen zu erzählen. Aus dem Material des Sommers 2015 könntest du mehr als 100 Hamlets schreiben.
Welche Besonderheiten gab es in der Aufarbeitung der Thematik?
Mhanna: Das Besondere an dem Stück ist, dass in dem Musical Flucht nicht das Hauptthema ist. Das Stück erzählt von den Leuten als Menschen. Meine Figur ist zum Beispiel in Syrien geboren und aufgewachsen und erzählt aus Traiskirchen. Wir sprechen über diese Figuren nicht als Teil der Fluchtthematik sondern als Menschen, die im Sommer 2015 in Traiskirchen waren und was ihnen dort passiert ist. Flucht ist dabei natürlich schon ein Thema, aber wir sprechen nicht direkt über sie.
Leisch: Ich glaube es geht vor allem darum, nicht in diesen Klischees zu bleiben, sondern zu sagen eigentlich sind in dem Sommer 2015 weltweite Konflikte zu uns gekommen. Konflikte, die uns angehen und mit denen wir in vielfacher Weise verbunden sind. Weil es Kriege sind, in denen Europa eine Rolle spielt. Weil es Armut- oder Elendsflüchtlinge sind, die vor Hungersnöten flüchten, die auch deswegen stattfinden, weil der Weltmarkt so ist wie er ist. Der syrische Krieg ist keine Abendnachricht, sondern er hat ein Gesicht, einen Namen. Wenn da 30.000 Syrer kommen heißt das, dass man nicht mehr wegschauen kann, dass da ein Krieg herrscht. Die Idee ist, dass Traiskirchen als Kristallisationspunkt funktioniert für Konflikte, die man sonst gleich wegschieben konnte aber jetzt sind sie plötzlich vor der eigenen Haustüre.
Als schweigende Mehrheit haben Sie viel Kontakt zu beiden Seiten: den Leuten, die Klischees verbreiten und denen, die davon betroffen sind. Hat sich in den letzten Jahren durch mediale Öffentlichkeit aber auch Theaterstücke oder Filme etwas geändert?
Leisch: Ich persönlich habe seit fast 30 Jahren mit Flüchtlingen zu tun und glaube, dass seit 2015 Flüchtlinge und die Frage nach Flucht und der Ursachen eine andere Bedeutung bekommen hat, weil es mehr Leute sind und die Sichtbarkeit dadurch eine andere geworden ist. Aber es ist ein heißes politisches Thema und jede politische Gruppe stürzt sich darauf wie die Raubtiere im Zoo auf Frischfleisch. Jeder will daraus für seine politische Richtung und seine Partei oder Initiative Kapital schlagen. Da geht es nicht immer darum, Gesetze zu ändern, sondern vielmehr, Emotionen zu schüren und Stimmen für die eigene Sache zu gewinnen, mit Hilfe einer bestimmten Hysterisierung von Themen. Man merkt es auf Facebook: es gibt nicht ein einziges vernünftiges Posting, keine Hintergrundinformation, nichts. Sag Kopftuch und jeder bellt los, in dem Ton in dem man immer bellt. Prinzipiell dient es nur dazu, dass alle ihre vorgefassten Meinungen in ihren Echokammern losbrüllen, völlig ohne Sinn und Verstand, ohne Erkenntnis, Verständigung, Empathie oder Einsicht in das, was andere denken oder wollen, ohne dass ein demokratischer Prozess in Gang gesetzt würde. Es geht nur darum, wer lauter brüllt. Auch darum geht’s in dem Musical sehr stark, weil wir diese Meinungsmarken überspitzt vorführen und uns dann fragen ‚gibt es da wirklich Probleme und welche sind das?‘
Kann Theater über solche Themen besser aufklären als Nachrichten?
Mhanna: Ja sicher. Nicht nur heute bei Traiskirchen sondern die letzten 100 Jahre hat gerade Theater die Meinungen der Leute gezeigt, die ein Stück schreiben. Jeder Regisseur oder Schriftsteller zeigt direkt seine Meinung und das Publikum sitzt gegenüber und muss nur zuschauen, sie können in dem Moment nicht gegenargumentieren. Das finde ich gut, denn so musst du als Zuschauer bis zum Ende aufpassen und nicht nur die Schlagzeile lesen, bevor du dir eine Meinung bildest. Du musst dir zu 100 Prozent alles ansehen bevor du diskutieren kannst und das finde ich wichtig. Auch wenn die Leute nicht mit einem übereinstimmen, entsteht eine bessere Diskussion, es ist ein besseres Miteinander und kein Gegeneinander. Nicht wie etwa bei den Zeitungen, wo man oft nur die Schlagzeile liest und sich dann ein Bild von der Situation macht. Aber nur, wenn du auch den Inhalt kennst und alles liest, erfährst du die Details. Im Theater kannst du nichts ausblenden, sondern du musst dir alles ansehen.
Leisch: Menschliche Kommunikation wird dann spannend, wenn ich mir nicht nur die Brocken zuschustere, die mein bestehendes Bild bestätigen, sondern wenn mir jemand mein eigenes Raster durcheinanderbringt und mich zum Nachdenken anregt. Manchmal muss man ein Buch mit 500 Seiten lesen, um sich ein Bild von etwas zu machen. Da geht noch einmal eine Türe zu einer anderen Welt auf und Dinge, von denen man vielleicht nur Schlagwörter kennt, bekommen eine ganz andere Dynamik und Sichtweise. Ich glaube das ist die Aufgabe der Kunst: das wir jenseits dessen, was in den Alltagskommunikationen funktioniert, wo man den Leuten nur Brocken liefert, die das eigene Weltbild bedienen, die Weltbilder in Frage stellt. Denn eigentlich brauche ich Dinge, die mein Raster in Frage stellen und die mich das, was ich glaube zu wissen, hinterfragen lassen. Eigentlich brauche ich Verunsicherung und Erschütterung von Denkmustern und Einordnungsframes, von denen ich glaube, dass die Welt so ist.
Die Uraufführung von „Traiskirchen. Das Musical“ am 9. Juni im Wiener Volkstheater ist bereits ausverkauft. Weitere Vorstellungen finden am 15. Und 17. Juni statt. Tickets findet ihr hier.