»Was kann man denn damit machen?« – Über den Wert eines Studiums

Eigentlich wollte unsere Autorin nur einen Text über eine ihr allzu bekannte Frage und den Umgang damit schreiben. Dabei stellte sich heraus: Das Problem liegt viel tiefer.

Ich habe diese Frage oft gehört. Ich musste sie auf Partys und Familienfeiern, in Supermärkten und Cafés beantworten. Manchmal hatte mein Gegenüber mehr Verständnis, manchmal weniger. Oft war ich schlagfertiger, als ich dachte, dann fiel mir wieder keine Antwort ein; hin und wieder hatte ich gar keine Lust darauf, das bedeutete dann: Themenwechsel. Die Rede ist von der Frage, die vielen (ehemaligen) Studierenden der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften bekannt vorkommen wird: »Was kann man denn damit machen?«

Sicher, meist wird sie mit guten Intentionen gestellt: von Oma, die nicht weiß, was man nach der Schule macht, von Freunden vom Land, die schon im Berufsleben stehen, von der besten Freundin, die Wirtschaft studiert; sicher, man könnte diese Frage als Small Talk abtun, als Interesse an der eigenen Person. Man soll ja viele Fragen stellen, und nur über das Wetter reden oder sonstige Small-Talk-Szenarien durchklopfen – das geht ja auch nicht. Eigentlich. Denn bei genauerer Betrachtung ist diese Frage durchaus auch Teil eines größeren Narrativs darüber, was es heißt, ein mehr oder weniger wertvolles Mitglied unserer Gesellschaft zu sein bzw. als solches betrachtet zu werden.

Arbeit und Bildung sind überall

Laut Studien schätzen Menschen innerhalb von Sekunden ein, ob sie jemanden sympathisch finden. Ebenso haben wir es seit den Stammbüchern zu Kindergarten- und Volksschulzeiten und durch »Und was machst du so?«-Gespräche auf Partys gelernt, Menschen anhand verschiedener Kategorien – wie etwa Alter oder eben Arbeit bzw. zukünftiger Arbeitsbereich – Fragen zu stellen. Und da viele eine Arbeit haben oder haben wollen, bzw. sich in irgendeiner Form von Ausbildung befinden – eignen sich Gespräch über Schule, Uni und Arbeit meist, um ein Gespräch anzufangen. Dies geschieht im Alltag, oft unbewusst, wie ein Programm, das sich von selbst abspielt, ein ständiges Rauschen im Hintergrund.

Der Mechanismus lässt sich nicht nur in alltäglichen Situationen beobachten, sondern auch auf dem Dating-Markt: Laut der Partnerbörse Elite Partner bevorzugen Männer Frauen, die als Ärztin, Krankenschwester oder Wissenschafterin arbeiten, während Frauen Männer bevorzugen, die als Arzt, Handwerker oder Architekt tätig sind. Selbst in Castingshows, die eigentlich ein anderes Ziel verfolgen (den nächsten »Superstar« oder die »große Liebe« finden) werden Menschen mit ihren Jobs oder Studien verbunden: Da ist es dann die empfindsame Ethnologie-Studentin Eva, die sich mit einer Ballade in den Recall singt, oder der fröhliche Fernfahrer Ferdinand, der die Frau fürs Leben sucht. Die Bespiele sind erfunden, sie könnten sich aber so oder zumindest so ähnlich in einer Reality-TV-Show zugetragen haben.

Auch in aktuellen Diskussionen über die Arbeit der Zukunft oder das bedingungslose Grundeinkommen wird mitunter über den identitätsstiftenden Beitrag von Arbeit diskutiert. Und die berühmte Studie »Die Arbeitslosen von Marienthal« machte die die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf den Menschen sichtbar. (Fehlende) Arbeit – und damit verbunden Bildung sowie Ausbildung – sind also zentrale Themen alltäglicher wie gesellschaftlicher Diskurse.

»Bildung statt Ausbildung«

Doch vor der Arbeit kommt – zumindest bei einigen – die Zeit des Studiums: So waren im Wintersemester 2017/2018 laut Statistik Austria 382.945 Menschen für ein Studium an einer österreichischen Universität eingeschrieben. Es ist seit der Einführung der Bologna-Struktur viel über die Verschulung des Studiums und Zugangsbeschränkungen, über (Un-)Sinn der neuen Studienpläne und Abschlüsse geschrieben worden. Im Herbst jährt sich zudem der Beginn der Studierendenproteste #Unibrennt zum zehnten Mal. Den Studierenden ging es auch um die Kritik an diesem neuen System; ein Slogan der Proteste lautete: »Bildung statt Ausbildung«.





Strategien zum Umgang mit der Frage »Was kann man denn damit machen?«
• Mit »nichts« oder »alles und nichts« antworten.
• Das Gegenüber mit dem Thema der aktuellen Seminararbeit nerven.
• Statistiken zitieren, wonach mitunter vor allem BWL- und Jus-Studierende von Arbeitslosigkeit betroffen sind.
• Erfolgsstorys von StudienabbrecherInnen – wie etwa Mark Zuckerberg, Bill Gates, Mick Jagger oder Steve Jobs – ansprechen.
• Damit antworten, dass unsere Generation niemandem Erfolg schuldet.
• Einfach ironisch mit »Ich werde eh einmal Influencer« antworten.
• Jede Diskussion damit beenden, dass sich die Arbeitswelt ohnehin in den nächsten Jahrzehnten stark verändern wird. Stichwort: Roboter.

Womit wir wieder bei der Frage »Was kann man denn damit machen?« wären. Stellt auch sie – ob der/dem FragestellerIn bewusst oder nicht – den (späteren) ökonomischen Wert der Person, der die Frage gestellt wird, in den Mittelpunkt; ist denn auch sie ein weiterer Beleg für die Ökonomisierung der Gesellschaft bzw. der Bildung; schwingt doch bei der Frage ein gewisser Unterton mit und der Gedanke, dass die Studien A, B oder C nur Daseinsberechtigung hätten, wenn sie zu den Jobs D, E oder F führten. Dass man überhaupt studiere, um damit später »etwas machen« zu können. Dass gerade Studien der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften vielmehr darauf ausgelegt sind (oder zumindest sein sollten), kritisches Denken zu schulen und bestehende gesellschaftliche Paradigmen zu hinterfragen sowie die eigene Persönlichkeit durch die Auseinandersetzung mit wissenschaftlicher Literatur zu prägen – das scheint viele nicht besonders zu interessieren.

Dass ebenso gerade viele Studierende dieser Studien während ihres Studiums und/oder danach unzählige (nicht oder schlecht) bezahlte Praktika machen (müssen) und dadurch praktische Erfahrungen erhalten, dass es oft diese Studierende sind, die besonders viel Leidenschaft und viel Einsatzkraft für ihr (Studien-)Gebiet haben, und dass ohnehin seit Jahren vom Konzept des lebenslangen Lernens die Rede ist – das soll hier nur am Rande erwähnt werden. Ebenso der Umstand, dass die Frage »Was kann man denn damit machen?« und die damit einhergehende Reduktion auf den ökonomischen Wert eines Menschen sich auch in anderen Bereichen zeigt: Etwa bei der Diskussion darüber, ob ein Land nur »gut ausgebildete« Flüchtlinge aufnehmen soll oder wie wir mit Menschen mit Behinderungen oder arbeitsunfähigen Menschen umgehen (sollen).

Platz für alle

Viel wurde in den letzten Jahren auch über MINT-Fächer geschrieben, also jene aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. So spürt Österreich, unzähligen Artikeln zufolge, den IT-Fachkräftemangel besonders stark. Die oft zitierten »brotlosen« Studiengänge fallen in Diskursen eher zurück. Dass nicht jedeR ein MINT-Fach studieren kann oder sogar will, das sollte – trotz deren Wichtigkeit – nicht weiter erwähnenswert sein. Vielmehr könnte man sich gerade in Anbetracht des aktuellen und vermutlich auch noch in Zukunft bestehenden Hypes um Technologien fragen, warum es nicht schaden würde, hätten Geistes-, Sozial- und KulturwissenschafterInnen hier etwas mehr zu sagen.

So schreibt etwa der irische Universitätsprofessor und Autor John Naughton in einem Artikel in The Guardian: »Now mathematics, engineering and computer science are wonderful disciplines – intellectually demanding and fulfilling. And they are economically vital for any advanced society. But mastering them teaches students very little about society or history – or indeed about human nature. As a consequence, the new masters of our universe are people who are essentially only half-educated. They have had no exposure to the humanities or the social sciences, the academic disciplines that aim to provide some understanding of how society works, of history and of the roles that beliefs, philosophies, laws, norms, religion and customs play in the evolution of human culture.«

Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften schärfen den Geist. In einer krisengeprägten Gesellschaft – man denke etwa an die Finanzkrise(n) oder die Klimakrise – sind sie essenzieller denn je.

Barbara Fohringer studierte im Bachelor Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie Deutsche Philologie an der Universität Wien und im Master Kommunikationswissenschaft an der Universität Salzburg. Sie schreibt für uns – wenn sie nicht gerade ihrem Ärger über ungute Smalltalk-Fragen Luft macht – vor allem über Filmschaffen(de).

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