Nicht nur in Österreich steht uns nach den diesjährigen Wahlen ein potenzieller Rechtsruck ins Haus. Doch während sich der rechte Rand hierzulande unter einem Banner vereint, ist die Lage europaweit komplizierter. Was verbindet und was trennt die europäische Rechte?
»Ich will die EU zerstören«, verkündete Marine Le Pen 2014 süffisant in einem Spiegel-Interview. Damit ist die Chefin der rechten französischen Partei Rassemblement National (RN) in guter Gesellschaft am rechten Rand Europas. Schon seit jeher befinden sich die rechten Parteien eher unfreiwillig in der EU und sie haben sich auch immer wieder für deren Auflösung oder zumindest für den Austritt ihres jeweiligen Landes eingesetzt. Um 2015 herum stand dabei für die Rechten die Angst im Zentrum, im europäischen Binnenmarkt nicht bestehen zu können. Diplomatisch ausgedrückt. In den Worten Le Pens klingt das dann so: »Die EU ist ein antidemokratisches Monster und ich möchte es davon abhalten, fetter zu werden, weiter zu atmen, alles zu greifen mit seinen Krallen und seine Tentakel in jeden Teil unserer Legislatur zu strecken.« Was Le Pen mit diesem Bild verschwörerisch andeutet, ist eine typisch rechte Einflüsterung, der zufolge EU-Regulierungen immer nur die jeweils anderen Länder reicher machen, während sie die Wirtschaft im eigenen Land immer nur hemmen. So einfach ist die Weltwirtschaft also. Aber es geht noch einfacher, wie der britische Rechtspopulist Boris Johnson zeigte, als er 2015 »Take back control« auf Busse plakatieren ließ und prompt mit dem Brexit »belohnt« wurde.
Geeint durch Hass
2015 drehte sich dann allerdings der politische Wind. Als im damaligen Sommer vor allem durch den anhaltenden Bürgerkrieg in Syrien vermehrt Menschen in Europa Schutz und Asyl suchten, wurde Migration vom nationalen Dauerbrenner zum zentralen Thema in der EU. Statt flüchtenden Menschen Schutz zu gewähren, hetzten die rechten Demagog*innen im Chor gegen sie. Egal ob Geert Wilders in den Niederlanden, Matteo Salvini in Italien, Viktor Orban in Ungarn oder Marine Le Pen in Frankreich. In diesem antimuslimischen Rassismus fanden die rechten Parteien Europas einen gemeinsamen Nenner – egal ob rechtspopulistisch oder rechtsextrem.
Vergessen waren Austrittsbestrebungen und das wirtschaftliche Gegeneinander Anfang der 2010er-Jahre. Nun wurde unter dem Motto des christlichen Abendlandes das Gemeinsame im rechten Europa hervorgehoben und es stand bald die Frage im Raum, ob man eine große rechte Partei im europäischen Parlament bilden solle. Denn die Rechten sind im Europäischen Parlament bislang in zwei Fraktionen aufgespalten: in die rechtspopulistische Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer, kurz ECR, die derzeit 68 der 705 Sitze im EU-Parlament hält, und in die rechtsextreme Fraktion Identität und Demokratie (ID) mit 58 Sitzen. In der ECR sind die wichtigsten Parteien die italienische Fratelli d’Italia und die polnische Prawo i Sprawiedliwość (PiS; Recht und Gerechtigkeit), während die ID vor allem von der französischen RN und der deutschen AfD (Alternative für Deutschland) getragen wird. Die FPÖ, die sich auch in der ID tummelt, hat dort derzeit drei Sitze.
Von rechts bis rechter
Während die Hetze und der geschürte Hass gegen Muslim*innen Rechtsextreme wie Rechtspopulist*innen vereint, gibt es doch gravierende Unterschiede. Der Rechtsextremismusexperte Andreas Peham unterscheidet dabei zwischen rechtspopulistisch, rechtsextrem und neofaschistisch: »Am einen Ende des rechten Spektrums befinden sich die neofaschistischen Parteien. Sie sind offen gewalttätig und zeichnen sich durch einen positiven Bezug zum deutschen Nationalsozialismus oder zu faschistischen Strömungen in ihrem Land aus. Das bedeutet auch, dass sie sozialistisch – im Sinne von antikapitalistisch – sind, was auch mit Antiamerikanismus einhergeht.« Beispiele für neofaschistische Parteien sind etwa die griechische Chrysi Avgi oder die italienische Casapound. Ein Blick auf die Sitzverteilung zeigt allerdings, dass neofaschistische Parteien im EU-Parlament kaum vertreten sind.
Getrennt dank Russland
»Am anderen Ende des rechten Spektrums befinden sich die rechtspopulistischen Parteien«, so Peham. »Sie bewegen sich im Gegensatz zu den Neofaschist*innen innerhalb des rechtsstaatlichen Systems und sind neoliberal und proamerikanisch eingestellt.« Also stimmgewaltige Hetzreden statt offener Straßengewalt. »Die rechtsextremen Parteien sind zwischen Neofaschismus und Rechtspopulismus angesiedelt, also zwischen antikapitalistisch und neoliberal. Teils mit Nähe zu gewalttätigen Vorfeldorganisationen, wie die FPÖ derzeit mit den Identitären, und teils ohne, wie mittlerweile die RN.« In diesen Parteien gibt es demnach oft weltanschauliche Widersprüche, wie man zum Beispiel bei der rechtsextremen FPÖ beobachten kann, die einerseits mit Slogans wie »Fair. Sozial. Heimattreu« das National-Soziale betont, und andererseits die neoliberal motivierte Einführung des 12-Stunden-Arbeitstages mitgetragen hat.
Aber trotz dieser Unterschiede zwischen Rechtspopulist*innen und Rechtsextremen war ab 2015 der antimuslimische Rassismus als Thema so stark, dass 2020 / 2021 die Vereinigung der ECR und der ID zu einer starken rechten EU-Partei im Raum stand. Doch dann überfiel Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine und die davor verborgenen Gräben wurden sichtbar. Die ECR stellte sich auf die Seite der Ukraine und setzte sich für Waffenlieferungen ein, während die Parteien der ID-Fraktion stramm auf der russischen Seite standen und noch immer stehen. Das bedeutet, dass es auch in der kommenden Periode im EU-Parlament wohl zwei getrennte rechte Fraktionen geben wird.
Ein Blick auf jüngste nationale Wahlen und Umfragen zeigt allerdings, dass sowohl die Parteien der ECR als auch jene der ID deutlich an Stimmen zulegen werden. Obwohl Migration oder – anders ausgedrückt – rassistische Hetze weiterhin Thema sind, hat sich die Welt weitergedreht und die fortschreitende Klimakatastrophe ins Rampenlicht gerückt. Rechte Tiraden bezeichnen die als Green Deal bekannten EU-Klimaschutzmaßnahmen als »Ökokommunismus« (FPÖ / AfD). Und wenn der ID-Präsident Marco Zanni vom »grünen Kreuzzug gegen Hausbesitzer« schreibt, dann wird ein fiktiver Kampf der Häuslbesitzer*innen gegen die grünen EU-Eliten heraufbeschworen. Womit wir wieder bei den am Anfang thematisierten rechten Verschwörungsantworten auf wirtschaftliche Ängste wären und damit bei Le Pens’ Tentakeln. Nur dass diese nun grün sind.
Andreas Peham arbeitet beim Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW). 2011 hat er das Buch »Extreme Rechte in Europa« in der Edition Steinbauer veröffentlicht.