Unterm rosaroten Schleier

Wer moderne Kunst langweilig findet, sollte vielleicht aufgerissenen Auges die Bildende besuchen. Hier ist sie geheimnisvoll, mysteriös und manchmal auch radikal oberflächlich.

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Am sechsten Mai 1527 erstürmten außer Kontrolle geratene habsburgische Soldaten Rom. Tagelang wurde geplündert, zerstört, gemordet und vergewaltigt – der sogenannte Sacco di Roma. Die brutalen Wütereien reichten auch über das damals übliche Maß hinaus. Nicht zuletzt ging es hier um Rom. Die Schätze, die die Renaissance im Kirchenstaat angehäuft hatte, wurden dezimiert, schließlich wurde sogar der Papst selbst gefangengenommen. Als die Landsknechte abzogen, war die Würde der ewigen Stadt mehr als angekratzt.

Am 19. November 2015 eröffnete im Xhibit der Akademie der bildenden Künste die Ausstellung "Aufgerissenen Auges: Transmanieristische Reaktionen". Der Kurator Christian Hetlinger trägt einen Kaftan und verliest eine alchemistische Zutatenliste: "1 Babynarwal, 2 Ballone, 3 Musikinstrumente, 4 Halbgötter, …" Das mondäne Kind im elegant gewellten Rock meint, dass doch mindestens 100 Leute anwesend seien. Oder doch Tausend? Aber kennen täte sie nur fünf. Währenddessen eine Performance: Brigitte Wilfing schöpft tief aus dem Repertoire symbolischer Gesten. Ob wohl wegen des verstörend lang gehaltenen römischen Grußes das Fotografieren streng verboten sei? Dann strömen alle in die Ausstellung.

Der Manierismus scheint ein Gebot der Stunde zu sein

Der Manierismus scheint ein Gebot der Stunde zu sein. Es gilt die Regeln und Restriktionen aufzubrechen, die sich Gestaltung und Kunst im großen Projekt der Moderne selbst auferlegt haben – oder vielleicht weniger sie aufzubrechen als sie aufzuweichen, sie durch Verpackung und Verschleierung der Alltäglichkeit zu entziehen. Die plakativen, dick aufgetragenen Ansagen, das angestrengte Wollen werden dem manieristischen Auge, das nach Luftigkeit verlangt, unerträglich. Gleichzeitig ist es aber auch der verpflichtenden Ironie überdrüssig. Der Kunst ihre heilige Ernsthaftigkeit zurückzugeben und sie vor dem Staub des Profanen zu bewahren, ist die Aufgabe des Manierismus. Er sucht das durch künstliche Expressivität und das gelehrte Spiel mit Symbolen, Chiffren und Bedeutungen zu erreichen.

Im Italien des 16. Jahrhunderts geschah genau das. Als Reaktion auf die analytische Ausgewogenheit der ausklingenden Renaissance wurden Werke geschaffen, die freier im Ausdruck waren und mehr Wert auf Dynamik als auf Harmonie legten. Wenn die Renaissance dem Andenken der Antike den Schleier heruntergerissen und Europa zurück auf den Weg der rationalen Erkenntnis gebracht hat, so wollte der Manierismus besagten Schleier kunstvoll wieder auf die enthüllte Statue drapieren und ihr so ihren sinnlichen wie übersinnlichen Reiz zurückgeben. Es ging nun nicht mehr um eine Antike der großen Taten und Erkenntnisse, sondern um eine der geheimnisvollen Gärten und der darin verborgenen Offenbarungen.

Ein Garten der Künste

Nicht umsonst fiel im Zuge der Eröffnungsreden in der Bildenden das Wort "Entsäkularisierung". In der Ausstellung, die sich den heiligen Garten von Bomarzo zum Vorbild genommen hat, scheint sich in der Tat das meiste höheren Geheimnissen hingeben zu wollen. Das Kuratorium, Ruby Sircar und der bereits erwähnte Christian Hetlinger, hat die Räume mit Objekten vollgestopft. Die Wände sind mehrreihig und dicht behängt, wobei aktuelle Arbeiten mit solchen aus der Sammlung der Akademie vermischt sind. Auf Beschriftungen wurde verzichtet, was den Eindruck verstärkt, sich hier in einem kunstvoll angelegten Garten zu befinden – und nicht in einer kühlen Exposition von Einzelwerken.

Die Aufgabe der Skulpturen des Sacro Bosco von Bomarzo erfüllen die zahlreichen Installationen und Objekte: ein pastellfarbenes Fliesenpodest, aus dem eine Schokoladequelle in ebensolchem Rosa entspringt, ein Paar metallischer Vorrichtungen mit mysteriösen Lederpölstern, diverse Quasten und eine Locke Dürrs, um nur einige zu nennen. Hier wandelt man wirklich aufgerissenen Auges, so wie es die im Begleittext besprochene Sphinx von Bomarzo fordert. Der Boden des hintersten Raumes, verheißungsvoll-beklemmend mit "Eternal Night" betitelt, ist überhaupt fast gänzlich von einer tülligen Textilflut bedeckt, der es aber an einer Brücke mangelt, die das Erreichen der anderen Kunstwerke, einer Liebesgrotte, die das Kind von vorhin als Hüpfburg nutzt, und einer geisterhaft in einem Kasten schwebenden Banane, ermöglicht hätte. Das Betreten der Stofffläche mit Schuhen wird einem nämlich von einer gestrengen Dame harsch und gänzlich unmanieristisch verwehrt.

Als Reaktion auf die entzauberte Realität

Man begegnet den transmanieristischen Reaktionen tatsächlich wie Fundstücken in einem Garten voller Kuriositäten. Nur wenige Stücke fallen wegen fehlender Sprezzatura auf. Etwaige Mängel an Professionalität oder Tiefgang stören nicht weiter. Auch die verhüllten Gestalten mit ihren ominösen Instrumenten, die sakrale Anordnung von Roland Rainer-Sesseln um ein DJ-Pult oder die wirklich wie die Einführung in einen Geheimkult wirkende Lecture Performance mit aufgebahrtem Nacktem im Anatomiesaal, alle im Rahmen des leider auf die Eröffnung beschränkten Performanceprogramms, machen sich gut. Da verwundert es nicht, dass die Klasse für kontextuelle Malerei von Hans Scheirl die diesjährige Ausstellungsausschreibung mit diesem Konzept für sich entscheiden konnte. Als einziger echter Wermutstropfen bleibt die Unterrepräsentation virtueller und digitaler Positionen, die sich nicht nur ihre Faszination mit der Oberfläche mit dem Manierismus teilen.

Es ist alles andere als ein Zufall, dass die Bildende gerade jetzt diesen programmatischen Fingerzeig versucht. Genauso wie der Manierismus des 16. Jahrhunderts die Reaktion auf eine entzauberte Realität war, in der etwas wie der Sacco di Roma möglich ist, sind manieristische Tendenzen auch heute ein Schutzmechanismus der Kunst, die den nur allzu konkreten Unsicherheiten der Welt einen Spiegel des Geheimnisvollen vorhalten möchte. Der Rückzug in eine mysteriöse Gegenwelt gilt hier als Protest gegen die Umstände, die sich nicht mit dem Queeren, dem mystisch Ästhetischen oder dem radikal Oberflächlichen auseinandersetzen wollen. Ob der Fingerzeig richtungsweisend war, wird sich zeigen, dass aber Auswege vor den sich vermarktenden Resten der modernen Kunst benötigt werden, ist jetzt noch klarer als zuvor.

Die Ausstellung "Aufgerissenen Auges: Transmanieristische Reaktionen" kann noch bis 10. Jänner im Xhibit der Akademie der Bildenden Künste am Schillerplatz besucht werden.

Bild(er) © Alle Fotos von der Eröffnung: Marlene Mautner
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