Versatzstücke als fiktionale Realität

Edward Hoppers Gemälde haben die Filmindustrie immer begeistert: Casablanca, Psycho und jüngst: Shirley – Visions Of Reality. Die Transformation von Malerei zu Filmsets haben dem Film von Gustav Deutsch drei österreichische Filmpreise eingebracht. Nun gibt es einen Katalog dazu.

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Am Anfang war die Inspiration: Edward Hopper gilt allgemein als einer der bedeutendsten US-amerikanischen Maler des 20. Jahrhunderts – bereits zu seinen frühen Heydays wurden dem Meister des Amerikanischen Realismus‘ Retrospektiven gewidmet. Als Sujet diente Hopper das wiederkehrende Muster der Isolation, seine meist einsamen Figuren finden sich in tristen Räumen und Landschaften wieder, eine kühle Grundstimmung dominiert sein Werk, ebenso wie auch bei österreichischen Malern der Zwischenkriegszeit wie etwa Franz Sedlacek.

Der Einfluss Hoppers auf das Kino – der 1967 Verstorbene war selbst großer Freund des Film Noir – ist allgegenwärtig: Die düsteren und dystopisch anmutenden Gemälde wurden direkt als Vorbilder für das Szenenbild von Hollywoodklassikern verwendet, so gilt sein Bild „Houses By The Railroad“ (1925) als Inspiration für das Wohnhaus Norman Bates‘ in Hitchcocks „Psycho“, „Nighthawks“ (1942) fand noch im Jahr seiner Entstehung seinen Niederschlag in Curtiz’ „Casablanca“. Auch Wim Wenders und Jim Jarmusch bedienten sich der Gemälde Hoppers für die szenische Ausgestaltung ihrer Filme. 2013 erschien mit Frauke Finsterwalders „Finsterworld“ ein weiterer Streifen, der Hoppers Kunst aufgreift.

Aus Malerei wird ein Szenenbild

Auch Gustav Deutsch, Wiener Filmemacher und Künstler, nähert sich Edward Hopper, diesmal auf eine nie dagewesene Art. Sämtliche Szenenbilder aus „Shirley – Visions Of Reality“ wurden von Hoppers Gemälden übernommen. Diese wurden als dreidimensionale Filmsets rekonstruiert und ausgestattet – ein interdisziplinäres Projekt, an dem Künstler aus der Malerei, Objektgestaltung, Musik, dem Tanz und dem Modedesign beteiligt waren. Wie bei den Originalbildern wird die Wirklichkeit nicht abgebildet, sondern einzelne Versatzstücke werden zu einer fiktionalen Realität vereint.

„Shirley – Visions Of Reality“ bewegt sich damit an der Schnittstelle von Filmkunst und Bildender Kunst. Die Handlung folgt der gesellschaftskritischen linksalternativen Schauspielerin Shirley, die von der kanadischen Tänzerin Stephanie Cumming porträtiert wird, durch die amerikanischen 1930er bis 1965er und zeigt das Verhältnis Shirleys zu den damals gegenwärtigen politschen und gesellschaftlichen Strukturen der McCarthy-Ära und ihre Beziehung zu einem Fotojournalisten der New York Post, Stephen, der von Christoph Bach dargestellt wird.

Das Film erreichte einige internationalen Anerkennung, so wurde er nach seiner Uraufführung auf der Berlinale 2013 in 12 Länder verkauft und auf insgesamt 25 Festivals präsentiert. Auch in heimischen Gefilden wurde „Shirley – Visions Of Reality“ critically acclaimed, fünf Nominierungen zum Österreichischen Filmpreis 2014 – kein Film hatte mehr – folgten drei Auszeichnungen in den technischen Kategorien Beste Kamera (Jerzy Palacz), Bestes Kostümbild (Julia Cepp) und in der Kategorie, die ja das besondere von „Shirley – Visions Of Reality“ auszeichnet: Bestes Kostümbild für Gustav Deutsch und Hanna Schimek.

Aus einem Film wird eine Ausstellung

Nach Veröffentlichung des Filmes fand im Künstlerhaus eine Ausstellung von Gustav Deutsch und Hanna Schimek statt. Dabei wurden die dreidimensionalen, lebensgroßen Settings des Szenenbildes aus ihrem filmischen Zusammenhang gelöst und im Künstlerhaus rekonstruiert. Die Sujets reichen von Objekten mit symbolhaften Bedeutungen – wie Schirme, Koffer, Lampen, Telefone und Bücher – bis zu sich oftmals wiederholenden Mobiliar, dem charaktisierende Stimmungen zugeschrieben werden können, wie verwaiste Sessel, gefühlskalte Büromöbel oder Furcht einflößenden Fauteuils. Die Ausstellung zeigte diese anamorphotisch dargestellten Sitzmöbel in neuen Konstellationen.

Dabei sollte angeregt werden, die Frage von Original und Kopie genauer zu betrachten: Durch die permanente Verfügung von originalen Kunstwerken durch das Internet, stellt sich die Frage der Bedeutung des Originals und dessen mehrfachen Reproduktionen und Replikationen und: Kann eine Kopie jemals als eigenständiges Werk betrachtet werden? Deutsch und Schimek zeigen, dass das möglich ist.

Aus einer Ausstellung wird ein Buch

Im Anschluss an die Ausstellung, die parallel zum Film im Wiener Künstlerhaus gezeigt wurde, erschien nun der Katalog zur Ausstellung: „Shirley – der Film. Visions Of Reality – die Ausstellung.“ Als Nachschlagewerk und Nachschau zu den vorangegangenen Darstellungsformen gedacht, wird der umfassende Bildband von Textbeiträgen von Brigitte Felderer, Kuratorin und Kulturtheoretikerin an der Angewandten und Olaf Müller, Europa-Herausgeber des Film Comment Magazin, ergänzt. Thomas Edlinger führt außerdem Interviews mit Gustav Deutsch und Hanna Schimek. Der ausführliche Bildabschnitt zeigt Originalbilder Edward Hoppers, dokumentiert die Ausstellung und bietet zusätzlich Bilder von den Dreharbeiten und viel Material zum Making-Off wie Storyboardzeichnungen, Malerei- und Kostümentwürfe, sowie Lichtskizzen und vieles mehr.

Durch die ästhetisch äußerst anmutende Aufmachung ist das Buch auch für diejenigen interessant, die weder Film noch Ausstellung besucht haben, die Zusammenhänge erschließen sich schnell. Außerdem weckt der Katalog das Interesse, den Film doch noch zu sehen. Ein etwaiger DVD-Termin steht allerdings noch nicht fest.

Der Katalog „Shirley – der Film. Visions Of Reality – die Ausstellung“ von Gustav Deutsch und Hanna Schimek erschien bereits im Verlag für Moderne Kunst.

Bild(er) © Jerzy Palacz (x3) / Michaela C. Theurl / Jerzy Palacz
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