Vom Verbindenden der Pissrinne – Klo-Kultur auf Festivals

Das Häusl ist einer der wenigen Orte, an denen wir wirklich gleich sind. So schön dieser egalitäre Gedanke auch ist – der Anblick von Dixi-Klos auf Festivals hat selten jemanden philosophisch gemacht. Dabei gibt es über die öffentliche und mobile Toilettenkultur so viel nachzudenken.

Wenn die Stimmung kippt, kippt meist auch das Häusl. © Theresa Ziegler
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© Theresa Ziegler. Wenn die Stimmung kippt, kippt meist auch das Häusl.

Wer im mobilen Klohäuschen sitzt, oder – wie die meisten – zehn Zentimeter über der Schüssel in die Hocke geht, denkt wenig an dessen Entstehungsgeschichte. Die Story ist allerdings leicht nachverfolgbar. Ein Blick zurück auf das Jahr 1973. Fred Edwards, ein in Deutschland stationierter US-Soldat, geniert sich, seine Notdurft unter seinen Kameraden zu verrichten. So genannte Donnerbalken sind eben nicht jedes Soldaten Fall. Er baut sich also sein eigenes Klohäusl – das erste in Europa. Schon dieses sieht verdächtig nach dem klassischen Dixi aus, auf dem wir heute mehr oder weniger sitzen: blaue Fiberglaswände, ein Loch, drei Herzen im Logo. Aus Edwards Marke Dixi, kombiniert mit dem Unternehmergeist von Harald Müller, der 1983 Toi Toi gründete und 14 Jahre später Dixi aufkaufte, entstand letztendlich die ADCO-Unternehmensgruppe, zu der die Toi Toi & Dixi GmbH mittlerweile gehört. Heute sind sie Weltmarktführer im Business mit mobilen Toiletten.

Dabei hat das Unternehmen zwei Hauptkunden: Bauarbeiter und Besucher von Festivals oder Großveranstaltungen. Rund zwei Drittel der anschlussfreien Toiletten stehen auf Baustellen, das restliche Drittel machen Festivals und (Groß-)Veranstaltungen aus, wie Herbert Hanappi, Geschäftsführer von Toi Toi Österreich verrät. 3.000 mobile Toi Toi-Toiletten sind in Österreich im Einsatz, 400 davon braucht das Nova Rock, am ACDC- Konzert vor zwei Jahren in Spielberg waren 750 mobile Toiletten im Einsatz.

© Toi Toi Austria
© Toi Toi Austria

Der Trend in Sachen Häusl geht zu komfortablen Containern, teilweise mit fancy Marketing, die auf nicht einsehbaren Unterflur-Wassertanks stehen oder mittels Rohren und Pumpen an den nächstgelegenen Kanal angeschlossen sind. Die klassischen anschlussfreien Kabinen werden mit Saugschläuchen geleert, was bei Festivals oft zum Spektakel wird. »Wir bieten einen Standby-Service an und stellen Personal zur Verfügung, das rasch eingreift, wenn es zu Verstopfungen oder Störungen kommt«, erklärt Hanappi. So wie uns ganz früher die Mama beim Runterspülen geholfen hat, hilft uns beim Festival eben das Toilettenpersonal.

Gemeinsam Pipi machen

Das Schamgefühl bei Pipikacka, ob gegenüber Mama oder Festival-Arbeitern, ist aber anerzogen. Man denke ans antike Rom, als beim gemeinsamen Latrinenbesuch Geschäfte verhandelt wurden. Eine Gesellschaft muss stark ausdifferenziert sein, um einen derart intimen Raum wie die private Toilette überhaupt zur Verfügung zu stellen. Festivals sind in dieser Hinsicht aber eine ganz eigene Gesellschaft. Auf ein eigenes Klo zu verzichten, fällt hier vergleichsweise leicht. Dass wir heute bei Großveranstaltungen weniger Hemmungen haben, neben Bier, Regen und Bands auch das Häusl zu teilen, hat laut Dr. Martina Padberg einen guten Grund: »Gerade auf Festivals gibt es diese Pissoir-Rinnen, die von Männern un- heimlich ungehemmt benutzt werden, auch mit der Akzeptanz, dass alle anderen Blick- möglichkeit haben. Wenn ein bestimmtes Erlebnis oder eine Erfahrung die Menschen stark miteinander verbindet – und das ist in gewisser Weise auf einem Festival genauso wie im Krieg – scheinen solche Schamgrenzen ein Stück weit einzubrechen.« Martina Padberg ist Co-Kuratorin der Wanderausstellung »Besetzt! Geschichten im stillen Örtchen«. Präsentiert wird dabei eine kulturgeschichtliche Abhandlung der Toilette, ausgestellt in Dixiklos. Momentan stehen diese im Museum für Kommunikation in Nürnberg.

Politikum Klo

Im 19. Jahrhundert entstand das Konzept der modernen öffentlichen Toilette. Die Gendertrennung wurde aber erst später notwendig. »Die Überlegung, dass sich auch Frauen so lange in der Öffentlichkeit aufhalten, dass sie die Möglichkeit brauchen, eine Toilette aufzusuchen, war erst der nächste Schritt«, sagt Martina Padberg. Noch heute gäbe es Länder wie Afghanistan, in denen es für Frauen keinen Zugang zu allgemeinen Klos gibt, um sie bewusst vom öffentlichen Leben auszuschließen. Doch auch abseits solcher Extreme gibt es gerade beim Thema Toilette, Öffentlichkeit und Gender Aufholbedarf. Die binäre Gendertrennung von Toiletten wird immerhin mancherorts schon infrage gestellt und anderweitig gelöst. Das anschlussfreie Toilettenhäuschen gilt dabei eigentlich als Unisex-Pionier. Der Quasi-Monopolist Toi Toi bewirbt aber auch im Jahr 2017 die Superior- Line seiner Sanitärcontainer noch mit »Für Sie… betörend feminin« und »Für Ihn… konsequent männlich«.

Pipi with a view © Toi Toi Austria
Pipi with a view © Toi Toi Austria

Nichtsdestotrotz zählt auf Festivals meistens weniger die Politik der Klohäuschen als ihre Logistik. »Da gibt es eine Berechnungsmatrix mit vielen Faktoren, unter anderem: Anzahl der Personen, Dauer und Art der Veranstaltung, wie viel getrunken wird, weiblicher und männlicher Anteil am Publikum«, erklärt Hanappi. Damit errechne man gemeinsam mit dem Veranstalter und der zuständigen Behörde eine Stückzahl. Außerdem wird die richtige Positionierung der Toiletten im Vorfeld geplant. Wahrscheinlichkeitsrechnung mit Körperfunktionen. Nur schlechtes Wetter könne man nicht vorhersehen, was schon mal zu einer überdimensionierten Anzahl an Toiletten führe, meint Hanappi. Wenn bei der Klosituation allerdings das Angebot weit unter der Nachfrage liegt, verfällt der Mensch wohl in Unmut oder Wildnis. Beides will kein Veranstalter.

Häusl-Marketing

Screenshot http://www.johnprivy.com/

Das Problem bei der Zivilisierung des Wildpinklers ist der Ruf des mitunter zweifelhaften Komforts, der dem klassischen anschlussfreien Toilettenhäuschen vorauseilt. Man kann den Klokonzernen aber nicht vorwerfen, sie würden ihr Angebot nicht weiterentwickeln wollen. Die ADCO-Unternehmensgruppe hat ein neues Projekt in Aufrag gegeben, das sich John Privy nennt – John wie Porta John, das englischsprachige Dixi- Klo, und Privy, ein altmodisches englisches Wort fürs Outdoor-Klo. Dafür hat man sich die Unterdruck-Spülung von Flugzeugen abgeschaut. John Privy arbeitet aber nicht nur mit Unterdruck, sondern auch mit einem zielgruppenorientierten Marketing-Konzept – bestehend aus Festivalfotos mit tief stehender Sonne und dem euphemistischen Claim »Enjoy… The Crowd… The Feeling…« Die Orthografie des Toilettenmarketings hat anscheinend viel mit drei Punkten zu tun. Festival-Besucher nutzen auch ohne Werbung naturgemäß irgendwann eines der Toiletten- Angebote. Die spezielle Beziehung zwischen Klohäuschen und Festivals wird jetzt aber auch von den Herstellern selbst als besonders inszeniert.

Man soll nicht nur müssen müssen, sondern müssen wollen. Im Sommer soll das neue Vakuumsystem bei der Beachvolleyball-WM auf der Donauinsel erstmals getestet werden, Besucher von Festivals wie dem Primavera kamen eventuell schon in Kontakt mit der hippen Klo-Variante. Während mehr Komfort zu begrüßen ist und dessen Vermarktung uns immerhin ein Lächeln ins Gesicht zaubert, haben Unternehmen in diesem Bereich natürlich einen Vorteil: Die Nachfrage dürfte konstant gleich bleiben.

Diese Häusl-Story ist Teil unseres Festival-Specials im aktuellen The Gap 163. Darin geht es zum Beispiel auch um konkrete Festivals, die sicher auch super Toiletten bereitstellen. 

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