Dauercamper und gewobene Träume

Beach House veröffentlicht mit "Bloom" einer der ganz großen Alben des Jahres. Warum sie aber lieber nicht über Musik reden und Torrents scheiße finden, hat das Duo im Interview verraten.

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Ganze sechs Jahre hat das selbstbetitelte Debüt des Duos aus Baltimore nun schon auf dem Buckel, eigentlich Ewigkeiten, wenn man bedenkt, dass Begriffe wie Chillwave oder Dream Pop erst kürzlich in die hießige Popberichterstattung hineinkrochen. 2006 war alles noch Gitarren-Indie und kam aus England, daneben vielleicht ein paar frühe New Rave-Zuckungen. Die Platte war schnell wieder vergessen, doch Carpark Records, die sich dieses Duo annahmen, pushten unbeirrt weiter und sollten dann bald schon den ganzen Haze-Gaze-Hype um Toro Y Moi, Memory Tapes und Young Magic losspulen. Womit wir beim Thema wären.

Permanent Vacation

Die Vermutung, dass das ganze Cillwave-Phänomen eng mit der aktuellen Wirtschaftskrise verbunden ist – diese Theorie am Namen Beach House festzumachen, stößt bei Victoria Legrand im Interview auf wenig Verständnis. Auf die zugegeben etwas plumpe Frage, warum sie sich denn für diesen Namen entschieden haben, kommt nur ein beiläufiges "Der klang halt gut, wir haben mit einigen Namen rumgespielt und der ist dann hängengeblieben. Wir machen das öfter, so entstehen auch unsere Songs." Und so ist dann auch Beach House entstanden. "Wir haben einfach angefangen, Musik zu machen, eher nebenbei ist dann dieses Projekt hängengeblieben. Und wir haben einfach weitergemacht. "Also erstmal entspannen, die Popmusikgeschichte nicht neu aufrollen oder manisch durch den eigenen Referenzwolf drehen müssen. Das Album heißt also auch deshalb "Bloom", weil hier etwas schönes wie von selbst passiert – und doch ist der vollen Blüte auch immer Vergänglichkeit eingeschrieben, Vanitas und barockes Metaphernspiel. In einem der ersten Beach House-Songs von 2006 "Childhood" singt Legrand dann auch treffend: "All my toys are dead", sechs Jahre später wird das in "Myth" endlich aufgehoben: "You can’t keep hangin‘ on / To all that’s dead and gone" und so klingen Beach House 2012, erwachsener irgendwie, aber nicht gesetzt, nur halb settled.

Dauercamper und Touristen

Der Soziologe Jean Didier Urbain beschreibt in seinem Buch "At The Beach" zwei verschiedene Arten des Urlaubers, zum einen sei da der Villégiauter (in etwa "Dauercamper") und der Tourist. Der Tourist ist routinierter Abenteurer, hält sich ungern länger am selben Fleck auf und braucht die Abwechslung. Der Dauercamper ist dagegen eher ungern Flaneur und sehnt sich nach seinem abgesicherten Gärtchen oder dem Haus am Strand. Und genau zwischen diesen Spannungsfeldern lassen sich auch Beach House einordnen. Doch das Ferienhaus am Strand kann auch ein ökonomischer Ort sein. Während die Babyboomer der 70er Jahre sich langsam aus dem Geschäft zurückziehen, zirkelt ihr Nachwuchs in der Krisenschleife und zieht von den Collegestädten wieder in den elterlichen Keller zurück. Da bietet das Haus am Strand einen Sehnsuchtsort, einen Fluchtpunkt, ein Kindheits-Refugium, der zugleich das einfache Leben verspricht, aber gleichzeitig eine Art Statussymbol das Lebens der Erwachsenen ist.


Was zum Anfassen

Aus den Kindern der 80er Jahre sind inzwischen bereitwillige Musikarchivare geworden und die Ü30-Party, die man sonst so verschmäht hat, werden zu einer glücklichen Option, die eigene Nostalgie mit ein paar Wodka-Red Bulls am DJ-Pult zu kompensieren. Beach House passen auch in diese Ecke, ihr Sound scheint zeit- und raumlos zu sein und verdankt sich trotzdem zutiefst den Datenhalden der Popmusik aus den 70ern, 80ern und 90ern, mit mäandernden Gitarren, ein paar glockenhellen Tönen hier und da über aus Synths gewobenen Träumen. Das soll keine Kritik sein, vielmehr eine Bestands- und Befindlichkeitsaufnahme. Während sich andere Post-Chillwaver nun erneut am Früh-90er-Rave abmühen und eine Art Second Generation Manchester anfeuern, liegt es gar nicht mal so fern, sich ein wenig zurückzulehnen und gemütlich aus der Zeit zu fallen. Die Musik von Beach House erinnert an Vergangenes, aber nicht so sehr als Abziehbild oder vergilbte Postkarte, eher an einen Naturzustand.

Während ihre Songideen weitergehend aus Tour entstehen, sie die Versatzstücke unterwegs zusammenklauben, ein Riff hier und ein paar Eindrücke und Textfetzen da, wird das Album dann im eigenen Referenzfeld und "in Sicherheit" produziert. Das Duo schafft es dabei, an den üblichen Referenzfeldern vorbei ihren Sound zu verfeinern und konsequent weitere Nuancen hinzuzufügen. Klar, da ist ein bisschen Shoegaze drin, ein wenig Dream Pop, hypnagogisches Zittern und auch kühle Wellen aus der Vergangenheit. Aber darüber redet man nur noch, wenn man sonst auch auf Teufel komm raus Portishead den Trip-Hop-Stempel aufdrücken muss. Und da wissen wir ja mittlerweile Bescheid, dass die Band für sich steht. "Bloom" ist nun das Album, mit dem Beach House dasselbe macht. Auch wenn der Vorgänger "Teen Dream" schon einschlägig abgefeiert wurde, spielen die zart aufgebauschten Melodien in "Wild", "Wishes" oder "Myth" auf so vielen Levels in den allerersten Liga.

Leck!

Zwei Tage vor dem Interview ist "Bloom" ins Internet gesickert. Nicht unbedingt eine ungewöhnliche Sache. Doch für Alex Scully, der inzwischen 29 ist und somit auch zu einer Generation gehört, die noch ein Leben vor dem Internet kennt, durchaus ein Grund wütend zu werden. Es gehe darum, etwas zum Anfassen zu haben, wenn man sich ein Album holt, meint er. Er wünscht sich die alten Zeiten zurück, in denen eine Platte noch etwas besonderes war. Könnt ihr euch an euren ersten Download erinnern? Scully erinnert sich an Massive Attack-CDs und Indie-Alben. Wenn ihr aber das Album noch nicht runtergeladen habt oder dauernd streamt, dann holt es euch am besten bald in die gute Vinyl-Stube. "Bloom" ist in seiner zurückhaltenden Schönheit wohl eine Platte des Jahres. Beach House sind reifer geworden, der Sound blüht jetzt so richtig auf.

"Bloom" von Beach House erscheint am 15. Mai via Cooperative. Die Band spielt am 13. November im Wiener Flex.

www.beachhousebaltimore.com/

Bild(er) © Lyz Flyntz
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