Europa nimmt endlich die Klimakrise ernst und passt mit neuen Maßnahmen seine Klimaziele an. Doch sofort folgen dubiose Ausnahmen, die den Umstieg auf erneuerbare Energien bremsen könnten. Wird Europa die ökologische Wende schaffen?
Letzten Sommer haben sich meine Nichten aus dem Mostviertel auf eine schlaglöchrige Landstraße vor den Hof meiner Oma gelegt und »Klimakleber« gespielt. Da auf der Straße jede Stunde ungefähr ein Auto vorbeikommt, weiß ich zwar nicht, wie effektiv diese Protestmaßnahme war, aber ich weiß jetzt definitiv, dass die Klimadebatte in Österreich in der Breite der Gesellschaft angekommen ist.
Losgetreten haben diese Debatte die großen EU-weiten Klimastreiks 2019, bei denen jeden Freitag junge Menschen auf die Straße gegangen sind, um sich für die Einhaltung der Klimaziele und somit für den Erhalt unseres Planeten einzusetzen. Mit Klimazielen ist dabei vor allem die Beschränkung der durch Treibhausgase verursachten Erderwärmung auf 1,5 Grad gemeint, die im Pariser Abkommen 2015 von 195 Staaten und der Europäischen Union beschlossen wurde.
Agnes Zauner, die Geschäftsführerin der Umweltorganisation Global 2000, ist sich sicher, dass die Entscheidungsträger*innen in der EU erst durch die anhaltenden Klimastreiks zum Handeln gebracht worden seien: »Bis 2019 hatte die EU lediglich das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent zu reduzieren. Durch die Proteste schraubte sie das Ziel dann auf minus 55 Prozent hoch.« Aktuell wird unter dem Namen »Fit for 55« eine Reihe von Regulierungen und Gesetzen beschlossen, die diese minus 55 Prozent Treibhausgasemissionen europaweit sicherstellen sollen.
Ausnahme E-Fuels
Eine der wichtigsten Maßnahmen aus dem »Fit for 55«-Paket ist das Aus für Verbrennungsmotoren bei Autos und Klein-LKWs mit dem Jahr 2035. Schließlich macht der motorisierte Individualverkehr mit seinem CO2-Ausstoß etwa 12 Prozent aller Treibhausgasemissionen in der EU aus und ist damit ein wichtiger Hebel für den Klimaschutz. Das bedeutet allerdings nicht, dass ab 2035 nur noch Elektroautos fahren werden, denn es wurde von Deutschland in letzter Sekunde noch eine Ausnahme für E-Fuels in den Beschluss reinreklamiert. E-Fuels sind aus erneuerbarem Strom hergestellte, CO2-neutrale Treibstoffe, die genau so viel CO2 emittieren, wie zu ihrer Herstellung verwendet wurde. Das klingt erst mal gut, doch Klimaforscher Daniel Huppmann vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) sieht das kritisch: »E-Fuels wird es auf absehbare Zeit nicht in ausreichender Menge geben. Sie sind noch im Prototypstadium und die Erforschung bis zur Industriereife dauert sicher noch Jahrzehnte.«
Huppmann treibt die Sorge um, dass durch diese E-Fuel-Ausnahme der Umstieg auf Elektromobilität gebremst werde: »Klar kannst du mit E-Fuels dein Benzinauto weiterverwenden und das Tankstellennetzwerk aufrechterhalten, so wie es sich die deutsche Autolobby wünscht. Aber um welchen Preis? Wenn Europa so an Verbrennern festhält, wird es den Anschluss verpassen, weil die in China hergestellten Elektroautos einfach jetzt schon effizienter und billiger sind, als E-Fuels es vermutlich jemals sein werden.«
Überhaupt scheint der Teufel bei den Klimaschutzbemühungen im Detail zu stecken. So ist zwar der Ausstieg aus fossilen Energieträgern geplant, doch es fehlt an konkreten Ausstiegszeitpunkten. Auch hier wird mit Technologie spekuliert, die es so noch gar nicht auf industriellem Niveau gibt. Carbon Capture and Storage (CCS), also die Abscheidung und dauerhafte Lagerung von CO2, ist in einem noch früheren Forschungsstadium als E-Fuels. Dennoch wird darauf gesetzt, dass CCS-Vorrichtungen in Stromkraftwerke eingebaut werden können. »Die Technologie ist teuer und selbst nicht klimaneutral, weil es keine hundertprozentige Abscheidung gibt und enorm viel Energie benötigt wird«, zeigt sich Agnes Zauner von Global 2000 besorgt. »Deshalb wollen wir auf keinen Fall, dass CCS auch bei Kraftwerken zur Stromerzeugung zum Einsatz kommt. Hier gibt es zum Beispiel mit Wind- und Sonnenenergie günstigere Alternativen. Wir befürchten, dass auf diese Weise der Kohleausstieg verzögert wird – mit fatalen ökologischen und gesundheitlichen Folgen.« Schließlich gehe es ja nicht nur um Energieeffizienz, sondern auch um Energiesuffizienz, also darum, »Energie einzusparen, sodass wir die Grenzen des Planeten respektieren und so weiter auf ihm leben können«.
Schützt die Wirtschaft!
Diese beiden Beispiele zeigen gut, dass es bei den EU-Klimamaßnahmen nicht zuletzt um den langfristigen Erfolg Europas im internationalen Wettbewerb um effiziente und zukunftsträchtige grüne Technologien geht. Das klingt eigentlich ziemlich kapitalistisch und pragmatisch. Umso absurder wirkt der konservative und rechte Backlash gegen die EU-Klimapolitik, der gerade auch in Österreich zu beobachten ist, wo die ÖVP fast jeder EU-Klimaschutzmaßnahme kritisch gegenübersteht und wo die FPÖ gegen den »Ökokommunismus« der EU wettert. Sollte eine starke Wirtschaft in einer Post-CO2-Welt nicht gerade im Interesse der neoliberalen ÖVP und FPÖ sein?
Kurzfristige populistische Erfolge und myopische Klientelpolitik scheinen hier wichtiger. Aber manchmal verstrickt sich diese klimafeindliche Politik dann doch in Widersprüche. Ein Beispiel ist für Daniel Huppmann das Renaturierungsgesetz, laut dem 20 Prozent aller geschädigten Ökosysteme wiederhergestellt werden sollen. Das Gesetz schlägt etwa Grünstreifen auf Feldern, die Wiederbewässerung von Mooren sowie das bewusste brachliegen lassen von Ackerflächen vor. »Die ÖVP hat das Renaturierungsgesetz auf EU-Ebene mit abgelehnt, mit der Begründung, dass es den Bäuer*innen die Lebensgrundlage entziehe. Doch gleichzeitig enteignet die niederösterreichische ÖVP in Wiener Neustadt gerade etliche Bäuer*innen, um dort eine Straße zu bauen, die niemand braucht und von vielen Menschen abgelehnt wird«, so Huppmann. »Es hat sich bereits eine Bürger*inneninitiative gebildet, die ›Vernunft statt Ostumfahrung‹ fordert«, setzt er kampfeslustig nach.
Doch trotz aller Abstriche und Verwässerungen der Gesetze halten Huppmann und Zauner die Maßnahmen aus »Fit for 55« für sinnvoll und einen ersten Schritt Richtung ökologischer Transformation. Es müssen nun aber, da sind sich beide einig, weitere konkrete Schritte folgen. So gibt es schon Pläne, bis 2040 die Treibhausgasemissionen um 90 Prozent zu senken. Hierfür wird wohl das Ergebnis der kommenden EU-Wahl richtungsweisend sein.
Agnes Zauner ist die politische Geschäftsführerin der Umweltorganisation Global 2000 und setzt sich unter anderem gerade gegen den Ausbau des Kraftwerks Kaunertal und damit für die Erhaltung des Ökosystems im Ötztal ein. Daniel Huppmann ist Klimaforscher am Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse, das auch den jährlich erscheinenden IPCC-Klimabericht mit herausgibt. Huppmann und sein Team arbeiten an Softwarepaketen, mit denen Klimaszenarien analysiert und interpretiert werden können.