„Comfort Food für’s Publikum“ – We Are Scientists im Interview

Als We Are Scientists haben es sich Keith Murray und Chris Cain zum Ziel gemacht ihr Publikum mit Spaß und einer ordentlichen Portion Comfort Food für die Ohren zu versorgen. Darüber wie ihnen das auf ihrem mittlerweile sechsten Album „Megaplex“ gelungen ist, haben wir mit ihnen gesprochen.

Im vergangenen September habe ich euer Konzert in der Fluc Wanne gesehen. Es war ein Sonntag und ich deshalb nicht unbedingt im fittesten Zustand. Euer Konzert hat mir aber ziemlich viel der am Wochenende verloren gegangenen Energie wieder zurückgegeben. Würdet ihr sagen, dass das eine eurer größten Stärken ist – müde, verkaterte Menschen wieder zum Leben zu erwecken?

Keith: Es ist bestimmt eines unserer Ziele unserem Publikum etwas von unserer Energie abzugeben.  Der Grund dafür, warum wir einfach so verdammt gut darin sind, ist, dass wir alle im selben Boot sitzen. Wir beginnen eigentlich jeden Tag unserer Tour ziemlich müde und ziemlich hungover. Vielleicht ergibt sich genau daraus, diese sofortige Verbindung mit dem Publikum.

Was mich aber, auch für meinen eigenen Alltag, schon interessieren würde, ist wo diese Energie – vor allem nach all den Jahren des gemeinsamen Spielens –herkommt?

Chris: Ich glaube, dass das erst in den vergangenen Jahren passiert ist, wir waren davor eigentlich eine ziemlich langweilige Band. Wir haben uns nun auch endlich dagegen entschieden, wie früher, im Sitzen zu spielen.

Keith: Das ist natürlich ein Scherz. Eine wirklich ernst gemeinte Erklärung könnte sein, dass ich noch nicht ganz überwunden habe, dass Menschen tatsächlich dafür bezahlen und teilweise weite Strecken zurücklegen um uns spielen zu sehen. Ich habe eigentlich in all den Jahren nie begonnen, das als selbstverständlich anzusehen. Das hilft mir eigentlich immer in diese Stimmung und Spiellaune zu kommen.

In kleineren Locations, wie der Fluc Wanne, kommen Freude und Energie natürlich auch nochmal um ein Vielfaches besser und einfacher rüber. Sind euch große oder kleine Locations lieber?

Keith: Ich glaube, dass kleinere Locations insgesamt schon einfach mehr spaß bringen. Es wird einfacher, diese Form von Magie möglich zu machen, die du bei deiner ersten Frage angesprochen hast. Da geht es vor allem einfach darum, möglichst nahe am Publikum dran und nicht 10 Meter und 10 Security-Angestellte vom Publikum getrennt zu sein. Für mich ist es außerdem schwerer, wenn ich das Publikum nicht sehe. Andererseits fühlt man sich irgendwie professioneller, wenn man in einer richtig großen Location spielt.

Chris: Ich denke, dass das in einer ähnlichen Form auch für das Publikum gilt. Man kann ein Konzert bestimmt auch als Teil einer großen Menge richtig genießen, aber ich glaube, dass man dann nie auf so eine physische Ebene kommt.

© Groenland Records

Ich fand es auch schön, euch beide in Wien beim Merch-Stand zu sehen, plaudernd und natürlich auch Selfies machend. Wie findet ihr euer Publikum?

Keith: Wir haben schon ein ziemlich cooles Publikum. Leute, mit denen ich mich im Allgemeinen gerne unterhalte. Ich finde es ziemlich gut, dass wir uns nach einer Show noch mit Leuten unterhalten können. Andernfalls würden wir oft tage- und wochenlang nur mit denselben fünf Leuten sprechen (lacht).

Chris: Ich finde es wichtig in Kontakt mit dem Publikum zu bleiben. Da geht es auch um ganz kleine Dinge. Zum Beispiel darum, welche Merch-Produkte sie mögen. Oder welche Songs gut finden. Finden diese Gespräche vorher statt, wie in Wien im September, kann das sogar Einfluss darauf haben, was letztlich dann auf der Setlist landet.

Wo wir schon beim Thema Publikum sind – wie hat sich euer Publikum verändert, auch altersmäßig?

Chris: Ich finde es immer wieder ziemlich cool, dass wir es schaffen junge, neue Fans mit unserer Musik zu begeistern. Aber klar, es sind auch viele dabei, bei denen wir es geschafft haben sie von Beginn weg mitzunehmen. Für uns natürlich sehr angenehm, weil wir uns dadurch nicht wie die ältesten Typen im Raum fühlen. Jedenfalls ist von tatsächlichen Teenagern, über postpubertäre Studenten bis hin zu Fiftysomethings alles dabei.

Bleiben wir mal kurz bei euren nicht mehr ganz so jungen Hörern, die auf euren Konzerten nach nostalgischen Momenten suchen, die sie an ihre besten, in Indie-Clubs verbrachten Nächte erinnern. Geht es euch manchmal auf die Nerven, wenn sie immer und immer wieder nach „After Hours“ oder „Nobody Move Nobody Get Hurt“ verlangen? 

Keith: Tatsächlich ist es so, dass mich ein Song wie „The Great Escape“ nicht mehr wirklich berührt. Wenn ich mich daheim mit meiner Gitarre hinsetze, würde es mir niemals einfallen diesen Song zu spielen. Bei Konzerten ist das natürlich etwas anderes. Wenn ich merke, dass das Publikum schon zu diesem Song hinfiebert, macht er natürlich wieder Spaß.

Chris: Das lässt sich ganz gut mit dem Job eines Stand-Up-Comedians vergleichen. Einem, der diesen einen Witz hat, der sein Publikum regelmäßig fertig macht, weil er so lustig ist. Selbst wird er ihn nicht mehr lustig finden, aber er wird das Resultat – die lachende Menge – so sehr mögen, dass er ihn natürlich immer und immer wieder erzählt.

Keith: Außerdem sollte man in diesem Punkt fair bleiben – ich habe einen Song wie „The Great Escape“ schließlich um ein Vielfaches öfter gehört als jeder Einzelne aus dem Publikum.

Sechs Alben ist schon eine recht beachtliche Menge – Gratulation dazu erstmal. Gab es jemals einen Punkt an dem ihr euch gedacht habt, dass fünf Alben vielleicht genug sind. Dass ihr es damit schon allen gezeigt habt?

Keith: Aufhören war eigentlich nie eine Option. Und ehrlich gesagt, sind mir die letzten, die aktuellsten Alben auch die liebsten. Deshalb ist es so, dass wenn ich an Album Nummer 7, 8 oder 9 denke, ich mich eigentlich total darauf freue. Wenn wir uns verabschieden, dann mit einem richtigen Knall und so, dass wir auf das was wir hinterlassen richtig stolz sein können und nicht dann, wenn sich möglicherweise niemand mehr für uns interessiert.

Also so wie bei vielen Österreichischen Schifahrweltmeistern, denen immer nahegelegt wird, sie sollten doch am Höhepunkt ihrer Karriere, lieber aufhören.

Chris: Ja so ungefähr, wobei ich glaub, dass es vielleicht eher größere Bands sind, die sich das in dieserForm überlegen. Coldplay zum Beispiel, obwohl bei denen dieser Punkt vielleicht schon vorüber ist. Aber da möchte ich mich nicht weiter dazu äußern (lacht).

Wie ist das bei euch mit der Arbeitsaufteilung und wie läuft euer Arbeitsprozess im Allgemeinen ab?

Chris: Eigentlich schreibt jeder für sich, wobei ich jetzt lange Zeit gar keine Songs geschrieben habe. In der Regel ist es Keith, der die Songs schreibt und sie mir dann zeigt. Ich habe aber wieder ein wenig mit dem Schreiben begonnen. Trotzdem scheint Keith aber immer noch deutlich mehr und natürlich auch deutlich besser. Die Songs entstehen dann gemeinsam, auch mit unserem Produzenten und Drummer. Gerade in letzter Zeit war es aber so, dass wir selbst immer mehr in den Bereich der Produktion hineingekommen sind. Das ist möglicherweise die größte Veränderung für uns als Band. Normalerweise hatten wir da immer Produzenten, die das für uns gemacht haben, während wir auf der Couch saßen und Videospiele gespielt haben (lacht).

Keith: Das stimmt natürlich so nicht, aber es ist tatsächlich so, dass sich unsere aktuellen Songs vom Beginn ihrer Konzeption bis zur finalen Albumversion sehr viel stärker verändern und wir an diesem Veränderungsprozess auch mehr beteiligt sind. Das ist neu für uns, aber deshalb umso spannender – wir empfinden es fast als zweite Phase des Songschreibens – was für uns auch der spannendste Teil unseres Jobs ist.

Chris: Der am wenigsten lustige Part ist das Aufnehmen. Es ist furchtbar.

© Groenland Records

Ihr wart ja ungeheuer produktiv in den letzten beiden Jahren und habt 90 Songs geschrieben. 10 davon haben es aufs Album geschafft. Ist die Trennung von Songs schmerzhaft?

Keith: Ich finde es eigentlich ziemlich einfach. Die zwei spannendsten Dinge daran in einer Band zu sein, sind erstens Konzerte zu spielen und zweitens Songs zu schreiben. Wenn die Songs geschrieben sind, ist für mich der größte Spaß eigentlich schon vorbei. Außerdem kann mich ja trotzdem weiterhin mit den Songs beschäftigen, die es nicht geschafft haben, weil andere einfach noch besser waren. Das Spannende daran einfach 90 Songs für ein Album zu haben, ist 90 Songs zu schreiben.

Chris: Vielleicht machen wir aber auch einfach mal eine ganze Box voller Songs und nennen sie „Garbage Dump“.

Aber ihr müsstet sie trotzdem alle aufnehmen …

Keith: Ja, das wäre in der Tat furchtbar. Obwohl, wenn der Druck weg ist, dass die Aufnahmen auch wirklich gut sein müssen, was bei einer Box mit dem Titel „“ naheliegend wäre, dann ist es nicht ganz so schlimm.

Chris: Wirklich schlimm ist es dann, wenn man einen Tag lang versucht einen Snaredrum-Sound aufzunehmen und niemand wirklich weiß, wie er am Ende des Tages eigentlich klingen soll. Man verliert sofort die Perspektive.

Keith: Um noch kurz bei diesem Thema zu bleiben – ich finde es wirklich schwer, im Zuge der Aufnahme, eine wirklich inspirierte Performance hinzulegen, vor allem wenn es um die Instrumente geht. Wenn ich schreibe, bin ich viel freier und mache vielleicht Fehler, die dann am Ende des Tages aber gut klingen. Das im Studio zu machen ist kaum möglich. Der Spaß geht einfach verloren.

Aber der Spaß kommt später, wenn es darum geht die Songs live zu spielen, wieder zurück?

Keith: Ja, auf jeden Fall.

Chris: Man kann das ganz gut mit Schauspielerei vergleichen – eine Sache, die wir auch kurz probiert haben. Eine Szene oft zu wiederholen ist uns genauso schwer gefallen. Ich habe deshalb großen Respekt vor Schauspielern, die das können. Könnte aber vielleicht auch an ihren Gagen liegen.

Keith: Stimmlich liefere ich eigentlich auch dann die besten Performances ab, wenn wir die gute, verträgliche Version schon aufgenommen haben, der Rest der Band aber noch mehr hören möchte. Und ich bin schon total genervt und versuche dann eine wirklich schlechte, genervte Version hinzuklatschen, die dann meistens besser ist als die, die zunächst für albuntauglich gehalten wurde. Die Energie kommt erst dann so richtig ins Spiel.

Ich kenne den Begriff Megaplex eigentlich nur im Zusammenhang mit diesen großen Blockbuster-Tempeln.  Würdet ihr sagen, dass jeder der neuen Songs ein kleiner Blockbuster für sich ist?

Keith: Ja, auf jeden Fall. Viele Black Panthers und Wonderwomen. Der ein oder andere Arthouse-Film hat sich trotzdem darauf verirrt – aber nicht die ernsten, sondern nur die richtig lustigen. Ein paar koreanische Horrorfilme sind aber auch darunter.

Wie entstand die VR-Idee beim Video zu „One In One Out“?

Keith: Wir wussten, dass wir ein paar Videos für das Album brauchen, also haben wir mit unserem Freund Jed Mitchell gesprochen. Er hat schon zwei Videos für Helter Seltzer gemacht. Wir haben ihn einfach gefragt, ob er sich in letzter Zeit für Technologien und Software interessiert hat, die aber nicht gut genug waren um sie für seine ernsthaften Jobs zu verwenden. Nach einigen Testshoots kam dann das dabei heraus. Wir haben die Geschichte zum Video um diese neue Technologie herum gebastelt.

Chris: Wir haben die Geschichte zum Video also um diese neue Technologie herum gebastelt. Das passt ja auch ganz gut, zu all den anderen Dingen, die sonst noch in dem Album stecken …Kino, Blockbuster und eben vor der Realität davon ins Kino zu laufen. Ähnliches gilt ja auch für die Musik selbst, in die man sich flüchten kann. Und mit VR legt man hier halt noch eine Dimension drauf.

„One In One Out“ ist ja irgendwie auch die logische Hitsingle. Ist das etwas das ihr schon während des Schreibprozesses im Kopf habt?

Keith: Ich würde schon sagen, dass ich die schlechte Angewohnheit besitze jeden Song so zu schreiben, als wäre es die logische Hitsingle. Bei „One in One out“ ist mir das einfach noch ein wenig besser gelungen als beim Rest der Songs. Mir ging es speziell bei diesem Album auch einfach darum, jeden Song nach Spaß und deshalb besonders catchy klingen zu lassen.

Wurde es euch in irgendeiner Weise angekreidet, gerade jetzt, wo politisch sowohl in Europa als auch in den USA viele Dinge in Schieflage geraten sind, ein Album zu machen, das in erster Linie einfach nur Spaß macht?

Keith: Wir mussten diese Position tatsächlich schon verteidigen. Das ist einfach nicht was wir mit unserer Musik bezwecken wollten. Es gibt eine ganze Reihe anderer Bands, die mit ihrer Musik auf solche politischen Missstände reagieren – deshalb sehe ich auch gar nicht die Notwendigkeit, dass wir das ebenfalls machen. Wie wir ja schon festgestellt haben, liegen unserer Qualitäten woanders, wir helfen verkaterten Menschen wieder auf die Beine und bieten unseren Hörern und Hörerinnen die Möglichkeit kurz einmal in eine andere, bessere Realität zu flüchten.

Habt ihr manche der neuen Songs schon live gespielt?

Chris: Wir haben erst „Your light has changed“ live gespielt. Irgendwie hat es sich so entwickelt, dass wir immer nur einen neuen Song pro Show spielen. Aus Höflichkeit, weil wir unser Publikum natürlich nicht langweilen wollen, also warten wir mit den neuen Sachen immer ein bisschen. Wir sind eher eine Band, die ihr Publikum mit Comfort Food versorgt, vor allem dann, wenn Sonntag ist und Teile des Publikums verkatert sind.

Das neue Album „Megaplex“ von We Are Scientists erscheint am 27. April via Groenland Records. 

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