Eine Tanz-Performance reist durch Europa, ein Filmemacher reist mit. Was uns ein Dokumentarfilm über abstrakte darstellende Künste erklären kann.
Schwitzige Körper, junge Körper, schlanke Körper; nackte Haut, angespannte Muskeln und elektronische Beats. Inspiriert von 90er-Jahre-Raves hat Gisèle Vienne mit »Crowd« eine Performance über den Sehnsuchtsort Tanzfläche inszeniert. Ausgelassen und ekstatisch mimen die Darsteller*innen das Nachtleben, indem sie das exemplarisch hedonistische Geschehen für die Bühnensituation – verdreckter Boden, Scheinwerferlicht – verlangsamen.
Das Bedürfnis des Publikums, ein Werk verstehen zu wollen, plagt die bildende wie die darstellende Kunst – zumindest dann, wenn nicht offensichtlich Ästhetik oder bloße Unterhaltung im Vordergrund stehen. Zwischen trotziger Kritik und einer Art fear of missing out, einer Angst, dass einem ein elementares Bruchstück entgangen sein könnte, welches das Gesehene in einen größeren Zusammenhang setzt, hängt stets eine Klage im Raum: »Ich verstehe es nicht.« Was also hat eine Performance zu sagen, die uns eineinhalb Stunden lang mit tanzenden Körpern konfrontiert? Nimmt man individuelle Vorerfahrungen, Erwartungshaltungen und den Umstand, dass verschiedene Menschen immer verschiedene Dinge sehen, als gegeben, so kann man sich im Erfassen einer Performance auf die subjektiven Eindrücke fokussieren: Was sehe ich?
Teile des Dokumentarfilms »Wenn es Liebe wäre (Si c’était de l’amour)« vom österreich-französischen Filmemacher Patric Chiha geben uns ein Gefühl dafür, wie es sein könnte, die Performance in einem Theaterraum zu erleben – die frenetische Ekstase, tanzende Leiber in Slow Motion, untermalt von pumpenden Bässen. Doch der Film dekonstruiert auch: Der Schweiß der Performer*innen ist künstlich, manches Tattoo bloß aufgemalt, wie wir nach 80 Minuten Laufzeit wissen. Der Theaterabend ist noch im Entstehen.
»Let go and Schwung«
Gisèle Viennes »Crowd« ist vor allem ein Stück über Körper, die miteinander in Beziehung gesetzt werden. Über Körperkontakt in liebender Umarmung und Verschränkung – bis hin zu unerträglicher Nähe. Aktionen werden in Zeitlupe ausgespielt, Handlungen verzögert. Im Moment des Innehaltens, der »suspension of the action«, entsteht eine Intensität der Vorgänge. Eine Steigerung von Emotionen. »(The play is) orientated towards light, space and music. I’m trying to open up this sensitivity to varied forms of eroticism that’s going on between humans«, erklärte Gisèle Vienne in einem Interview zu »Crowd«.
Patric Chiha zeigt diese Szenen und bricht sie, indem er die Regieanweisungen offenlegt. Um den Hedonismus auf die Bühne zu bringen, verlangt es Präzision in den Bewegungsabläufen. Der Rhythmus muss stimmen, jede Bewegung koordiniert sein; nur dann kann die Gruppe als eine Art Organismus die Tanzfläche als Mikrokosmos menschlichen Seins abbilden. Chiha geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er die Darsteller*innen zu Wort kommen lässt. Sie geben bereitwillig Einblick in das Untereinander und Miteinander, in die Gefühle zueinander und die Lust aneinander, in Verletzlichkeit und Zurückweisung.
Dem Stück wie auch dem Film wohnt eine gewisse Düsternis inne. »Wenn es Liebe wäre« zeigt nicht nur, wie eine Theater-Performance zustande kommt, er legt auch offen, wie viel den Performer*innen abverlangt wird, die auf der Bühne alles geben sollen. Welcher Schmerz – auch nach dem Schlussapplaus, nach Beendigung einer Probe, abseits der Bühne – mitgetragen wird.
»Jeder empfindet Liebe«
Welches tiefere Verständnis kann aber letztendlich durch den Film gewonnen werden? Was hat er über die Theaterperformance zu erzählen? Was also sehe ich?
Die Konstruktion der Figuren, die auf die Bühne gebracht werden, ist dem Stück inhärent. Ebenso sind es die Narrative, die sich durch »Crowd« ziehen. Doch erst durch die Dekonstruktion, durch den Fokus auf die einzelnen Elemente, durch die Frage danach, was Performende in ein Stück einbringen und wie ihre Körper miteinander in Beziehung stehen, werden sie sichtbar. »It’s a secret. The piece; you feel it but you don’t understand it«, hat Patric Chiha über seinen Film gesagt und über die Art, wie die Figuren des Bühnenstücks angelegt sind. Wie hätten diese Hintergründe gesehen werden können? Woher weiß ich, welche der Darsteller*innen wen mag und dies in die Performance einfließen lässt? Doch man muss diese Nuancen im Miteinander nicht sehen, damit sie in der Aufführung existent sind.
So hat das Erklären der ausführlichen Backstorys durch manch Darsteller*in auch entzaubernde Wirkung. Die großen Emotionen werden im Übererklären banal. Es sind dann eher die kleinen Gesten, die Emotionen spürbar machen und real anmuten. Während es unangenehm wird, wenn das Eindringen des Realen in die Performance überhandnimmt, fasziniert das Offenlegen, an welchen Stellen die Grenzen verschwimmen.
»Wenn es Liebe wäre« von Patric Chiha läuft zur Zeit in den heimischen Kinos.