Auf die Frage des elften Albums "Who’s Bad?" kann es nur eine Antwort geben: Die Goldenen Zitronen. Im Interview sprachen die Hamburger über die aktuelle Poplandschaft, den Verzicht auf Feindbilder und darüber, wie der Punk zum Krautrock kommt.
Ihr habt euch immer weiter entwickelt und sagt, ihr spielt die ganz alten Sachen nicht mehr. War die Musik früher noch nicht so wichtig, sondern mehr der Inhalt?
Kamerun: Es war einfach eine andere Form. Die Musik war da auch schon superwichtig.
Gaier: Wir waren halt mehr oder weniger Jugendliche und zwar in einem ganz anderen Kontext. Es war die Zeit vor dem Mauerfall. Die politischen Verhältnisse waren komplett anders. Im Punk-Milieu der Achtziger waren Hardcore und Straight Edge Themen, die einen Zwanzigjährigen beschäftigten. Unsere Strategie war es, das mit Fun Punk zu veralbern. Dann kam der Mauerfall und damit schon ein anderer Erwachsenwerdungs-Prozess.
Was hat zu eurer ersten Umorientierung geführt?
Kamerun: Wir waren mit unserer Situation als Band im Fun Punk-Kontext nicht ganz zufrieden. Wir standen vor einem Publikum, das Dinge anders sah als wir. Da haben wir uns entschieden, eine andere Richtung einzuschlagen. Wir haben uns sozusagen gegen unsere eigenen Fans gewendet. Die Platte hieß dann auch „Fuck You“. Das war ein bisschen ambivalent, gegen das, was uns selber anhing, aber auch gegen die Plattenindustrie, was wiederum auf dem Cover zu sehen ist.
Auf Tourneen haben die Backstage-Pässe irgendwann echt genervt. Wenn der eigene Manager erst mal reinkommt, alles absperrt und sein Produktionsbüro aufbaut, dabei aber die Leute nicht mehr reinkommen, mit denen wir uns verabredet haben … Da haben wir gemerkt, das wollen wir wirklich nicht.
Punk ist eigentlich das Paradebeispiel für eine ursprünglich subversive Musikkultur, die inklusive ihrer Ausdrucksmittel vom Mainstream geschluckt wurde. Man könnte sagen, dass sich der Mainstream inzwischen alles angeeignet hat.
Kamerun: Der Mainstream hat es verstanden, dass gerade die radikalsten Ausbrüche sich am besten verkaufen. Deswegen ist es gar nicht so leicht, neue Wege zu finden, weil die ja vielleicht auch wieder brauchbar sind. Eigentlich ist es mittlerweile so, dass die radikalste Kunst am schnellsten im Museum landet. Oder im Privatfernsehen. Wir sind aber immer noch nicht brauchbar (lacht).
Weil jeder Stil irgendwann vom Mainstream geschluckt wird und ihr selbst ja verschieden Stile ausprobiert, könnte man da sagen, man wird dadurch freier und bekämpft den Mainstream sozusagen mit sich selbst?
Kamerun: Ja, wenn man den Wunsch hat, immer neu anzufangen, ist man dadurch auch ein bisschen freier. Aber trotzdem musste ich mich bemühen, diesen Zustand erst mal herzustellen und von Null zu beginnen. Das Musizieren ist gar nicht unser Problem. Wir treffen uns und fangen an. Das funktioniert ganz gut, auch losgelöst von einer popkulturellen Debatte, davon jetzt etwas rockiger oder elektronischer klingen zu wollen. Das steckt alles in uns drin und wir versuchen es zu vermeiden zu sehr zu verdeutlichen, was wir genau machen oder zu konzeptionell zu werden.
Lange Zeit haben wir das mit uns herumgetragen. Es gab Spex-Analysen ohne Ende. Wir waren in drei Jahrzehnten dreimal auf dem Cover. Das verdeutlicht, dass wir da ernst genommen wurden. Aber es kann einen auch behindern, wenn man immer wieder seine eigene Erklärung vor sich hat. Man muss davon anscheinend wieder Abstand nehmen. Zum Glück kann das diese Band.
Heißt das, von der aktuellen Popmusik inspiriert euch nichts?
Kamerun: Doch, bestimmt. Wir hören ja alles Mögliche. Wir haben vorhin über die neue Kanye West gesprochen. Den Künstler mag man vielleicht ablehnen, aber ich finde die Platte unglaublich gut, wirklich beeindruckend. Dass das auch noch Mainstream sein soll, finde ich aufregend.
Gaier: Das hatte ich schon vor zehn Jahren mit Missy Elliott. Da dachte ich zum ersten Mal: Was ist jetzt noch Mainstream und was ist Indie oder Underground?
Unsere eigene Arbeitsweise ist eine andere. Wir vertrauen oft auf die Interaktion in der Band. Mainstream bedeutet schon immer, dass man Entwürfe umsetzt und nicht mit dem live Gespieltem hantiert, mit dem, was im Moment entsteht. Deswegen kam in den letzten Jahren dieser Krautrock-Vergleich. Ich fühle mich auch verwandt zu Bands wie Can. Der Hintergrund ist zwar ein völlig anderer, aber man kann natürlich etwas in der Arbeitsweise wiederfinden: das Definieren von sehr unwahrscheinlichen Ideen, die in einer Session entstehen.
So eine gewisse Soundtüftelei habe ich schon entdeckt.
Gaier: Ja, die Neigung haben wir auch. Wir haben ein Rieseninstrumentarium herum stehen. Die Saz, die bei „Typ, Lederjacke, in der Ecke stehend“ und „Rittergefühle“ zu hören ist, habe ich mir zu Weihnachten gewünscht. Das ist ein türkisches Instrument und toll daran finde ich, dass es extrem präsent ist, aber nicht so voll macht wie eine Gitarre. Die Idee war mit einer Saz Rock zu machen, den es von den türkischen Leuten nicht gibt.
Im letzten Abschnitt, Die Goldenen Zitronen über Entpolitisierung, Wut, Frust, Gustav und 1000 Robota.