Wir sind keine Anarchisten. Aber manche Gesetze sind sinnlos und dumm. Darf man sie deshalb gekonnt übersehen, als Zivilcourage, als Dienst an der Allgemeinheit und sich selbst?
Ute Bock, Flüchtlingshelferin (© Kramar für fischka.com)
"Gesetze nicht ignorieren, aber Änderung fordern" Prinzipiell hat man sich an die Gesetze eines Landes zu halten. Ich könnte meine Arbeit nicht nach wie vor machen, wenn ich mich nicht an die Gesetze halten würde. Gerade im Flüchtlingsbereich ist es wichtig mit den zuständigen Behörden zu kooperieren. Die Erfahrungen, die ich im Alltag sammle, versuche ich stets bei diversen Zusammentreffen mit PolitikerInnen und anderen EntscheidungsträgerInnen vorzubringen. Im Asylbereich gibt es noch immensen Verbesserungsbedarf. Ein Beispiel ist das „Nichtarbeitendürfen“ von AsylwerberInnen, die dadurch viele Jahre zur Untätigkeit und Abhängigkeit gezwungen werden. Dieses Gesetz kann man allerdings nicht ignorieren, sondern muss versuchen mit Hilfe von engagierten Einzelpersonen, Medien, Institutionen etc. eine Änderung zu fordern. Ignoranz wird meiner Meinung nach sicher nichts verändern. Die grundsätzliche Einstellung MigrantInnen gegenüber müsste sich ändern. Es hat sich ja keiner ausgesucht, wo er geboren wird. Es ist ein Zufall, dass wir hier sind und die anderen dort. Ich bin Erzieherin und nicht Polizist oder Richter. Meine Aufgabe ist es, jungen Menschen zu einer Ausbildung oder einer Arbeit zu verhelfen und sie zu unterstützen, ein einigermaßen lebenswertes Leben führen zu können. Für mich müsste jeder Mensch dieselben Möglichkeiten und Chancen haben. Ich glaube nicht, dass es klug ist, eine Gruppe von Unzufriedenen und Benachteiligten zu schaffen. Selbst wenn es einmal so sein sollte, dass diese Menschen in ihre Heimat zurückkehren können oder müssen, ist es besser, sie haben hier etwas gelernt, sind hier gut behandelt worden und können das hier Erfahrene in ihre Heimatländer mitnehmen, als dass sie Unzufriedene sind, die das Gefühl haben, zu kurz gekommen zu sein, Alkoholiker, Drogenabhängige und Kriminelle sind. Ute Bock, 70, betreibt das Flüchtlingsprojekt Ute Bock und setzt sich für menschengerechte Behandlung von Asylwerberinnen und –werbern in Österreich ein.
Freda Meissner-Blau, Grand Dame der Grünen (© Manfred Werner)
"Rechtsstaat und notwendiger Ungehorsam"
Sie haben mit Ihrer sehr überzeugenden Aufzählung existenter oder drohender, höchst sinnloser, ja teilweise sogar gesellschaftspolitisch schädlicher Gesetze meine Überzeugung einen Augenblick ins Wanken gebracht. Dennoch: Auch auf die Gefahr hin Menschen, die mich als widerständige Bürgerrechtlerin, die nicht nur einmal Gesetze übertreten musste, kennen, zu irritieren und zu enttäuschen, bin ich der Meinung, dass die Gesetze auf einem Übereinkommen der Bevölkerung basieren (basieren sollten!)und die tragenden Säulen des Rechtsstaates sind. Wenn Letzterer flöten geht, haben wir eine Diktatur, Monarchie oder Chaos. Alles schon ausprobiert, keines sehr erfreulich. Man hat eben erst bei Grün loszufahren. Was also mit den sinnlosen Gesetzen machen? Einerseits drohende Sinnlosigkeiten (Burkaverbot etc.) verhindern. Das ist durchaus möglich durch und mit engagierten Bürgerinnen und Bürger. Dazu ist eine Absage an das zutiefst österreichische „Die da oben machen sowieso was sie wollen, kannst nix mochn!“ nötig, oft genügt eine gewitzte und kluge Minderheit. Die Erfahrung lehrt, dass es möglich ist Schwieriger ist es schon mit dem schon existierenden Blödsinn. Um ihn obsolet zu machen, braucht es die Mithilfe von gewählten Repräsentantinnen, Repräsentanten und der Medien. Ist aber auch machbar, sonst wäre das Koalitionsabkommen zwischen Rot und Schwarz zum Bau von vorläufig einem und geplanten sechs AKWs seinerzeit nicht – ausschließlich durch die Bevölkerung und gleichgesinnte Journalisten – gestürzt worden! Andere Beispiele gibt’s en masse. Da konnten auch die tief involvierten Lobbys nichts ausrichten. Geht’s ans Leben selbst, bei Ökozid, der Vergiftung unserer Lebenssphäre, der aus Profitgründen motivierter Zerstörung letzter Naturräume, ist meine Ansicht ziviler Ungehorsam nicht nur notwendig sondern „jedes Bürger Pflicht“! Freda Meissner-Blau, 85, ist die Grande Dame der österreichischen Grünen und war wesentlich an ihrer Gründung beteiligt.
Niko Alm, Publizist und Polit-Aktivist (© Ingo Pertramer)
"Der ORF muss ein soziales Medium werden." Die Regeln für unser Zusammenleben ändern sich permanent. Wer sein Handeln nicht an unveränderlichen, göttlichen Gesetzen ausrichtet, sondern an die Rechtsstaatlichkeit glaubt, wird gelegentlich seinen Skeptizismus auch auf bestehendes Rechtsgut anwenden wollen. Da kann es dann schon passieren, dass ein Gesetz als sinnlos befunden und im Falle persönlicher Betroffenheit auch gezielt ignoriert wird. Manchmal wird dieses Ignorieren auch zum Gebot, wenn geltendes Recht die eigene Handlungsfähigkeit einschränkt und nach subjektivem Gefühl eine Reparatur in einem angemessenen Zeitrahmen aussichtslos ist. In diesem Sinne ist der ORF auch in Social Media aktiv, wenn auch etwas schaumgebremst, was mit Sicherheit der unpräzisen Gesetzeslage geschuldet ist. Die Herstellung von Rechtssicherheit könnte natürlich als Folge politischer Willensbildung über den Gesetzgeber erwirkt werden. Anscheinend ist die Erfolgsaussicht für ein zeitnahes Ergebnis aber so gering, dass nur das Beharren auf die eigene Interpretation dessen, was Recht ist, zum gewünschten Zustand führt. Konkret ist nämlich äußerst fraglich, ob der ORF überhaupt ein sinnloses Gesetz ignoriert, oder ob die Gerichtsbarkeit schlicht und einfach manchmal von derselben Leseschwäche erfasst ist, die uns schon bei PISA den drittletzten Platz in Europa beschert hat. Nicht bereit gestellt werden dürfen laut ORF-Gesetz: „soziale Netzwerke sowie Verlinkungen zu und sonstige Kooperationen mit diesen, ausgenommen im Zusammenhang mit der eigenen tagesaktuellen Online-Überblicksberichterstattung“. Dass hier ein Verbot von Facebook-Pages und Twitter-Accounts mit zivilem Ungehorsam quittiert wird, ist für mich nachvollziehbar. Als GIS-Kunde erwarte ich mir sogar einen Informationsversorgung über diese Kanäle. Niko Alm, 37, ist Geschäftsführer im Super-Fi Mikromischkonzern, Publizist und Polit-Aktivist.
porrporr (© Porrporr)
"Niemand hat das Recht zu gehorchen." - Hannah Arendt Ob ein Gesetz sinnvoll oder sinnlos ist hängt immer davon ab, wem diese Frage gestellt wird, bzw. welche Lobbyinggruppen intervenieren, um Politiker_innen etwas Sinnloses als Gesetz unterzujubeln. Wie geht der Staat also mit Gesetzen um? In Kärnten/ Koroska werden verfassungsrechtlich garantierte Rechte, wie die zweisprachigen Ortstafeln, von Landeshauptleuten seit Jahrzehnten ignoriert. Bei Abschiebungen wird allzu oft versucht Kinder, Familien oder Menschen, die im Herkunftsland großer Bedrohung ausgesetzt sind, möglichst schnell in den Abschiebeflieger zu setzen. Damit werden diesen Menschen rechtliche Berufungs-Möglichkeiten in Österreich vorenthalten und die Causa schnell vergessen. Wer erinnert sich an das Amtsmissbrauchsverfahren gegen Ernst Strasser wegen der illegalen Abschiebung von 72 Flüchtlingen nach Tschetschenien? Zumindest einige Menschen konnten durch zivilen Ungehorsam vor der Abschiebung bewahrt werden. Ein anderes Beispiel ist die Einführung von sogenannten "Bettelverboten" in verschiedenen Bundesländern. Gesetzlich völlig unsinnig, da Handlungen die das "Bettelverbot" vorgibt zu verhindern, bereits davor gesetzlich geregelt waren – politisch motiviert beschlossen, um die menschenverachtende Stimmung gegen Randgruppen gesetzlich zu legitimieren. Ein paar Euro können für manche Menschen viel bedeuten, egal ob das Betteln "illegal" sein soll. Eine Ablehnung von Gesetzen die zu Menschenrechtsverletzungen führen, sollte eine moralische Verpflichtung sein. Ich halte mich hier an David Thoreau und sehe es als Pflicht Ungehorsam gegenüber dem Staat zu leben. Speziell in einem postnazistischen Staat wie Österreich. Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht! - Bertolt Brecht Porrporr ist ein anonymer politischer Aktivist, der sich via Blog und Twitter regelmäßig und intensiv in politische Debatten einmischt. Das The Gap-Schwestermagazin Biorama hat ihn hier portraitert.
Ziviler Ungehorsam kann viele Formen annehmen. Es muss nicht immer das Vermummungsverbot oder der Mafiaparagraph sein. Oft werden Verordnungen und Gesetze von Handelnden gezielt ignoriert: Vorratsdatenspeicherung, verdeckte Angestelltenverhältnisse aus gefühlter ökonomischer Notwendigkeit, das Facebook-Verbot für den ORF, ein mögliches Burka-Verbot bzw. Verbot von Beschneidungen, Aufzeichnung eines Korruptionsgesprächs, Einreiseverbote, uvm. Ein befreundeter Bauer schlachtet bei sich am Hof, verkocht das und serviert das seinen Gästen. Was verboten ist. Es gibt sicher gute Gründe dafür – wir tippen auf Hygiene –, trotzdem gibt es ebenso gute Gründe es zu machen, wenn alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen eingehalten werden. Das ist nun leider nicht sinnvoll kontrollierbar und öffnet Missbrauch alle Türen, also sagt Papa Staat lieber gleich nein.
Manchmal hat man sich sogar daran gewöhnt, dass Gesetze lässig ignoriert werden, selbst wenn sie eher sinnvoll sind. So etwa beim Thema Schwarzarbeit. Man kann vielleicht sogar vage begründen, warum das für die Betroffenen gar kein grober Nachteil sei. Wenn dann aber die Möbelpacker vor der Tür stehen, fragen wohl nur wenige beim Chef nach, ob die Arbeiter auch sicher sozialversichert sind. Man hat sich daran gewöhnt. Unbezahlte oder schlecht bezahlte Praktika fallen ebenfalls in die Kategorie „Tolerierte Übel“. Auf Praktikanten und freien Mitarbeitern liegt in vielen Firmen ein großer Teil der Arbeit. Man weiß, dass das ungerecht ist. Man weiß Ärzte und LKW-Fahrer sollten ihre vorgeschrieben Ruhezeiten einhalten. Gesetze sind dann sinnlos, nicht etwa weil sie nicht einleuchtend wären, sondern weil sie an der Praxis vorbeigehen. Und manchmal stehen sie sogar zu dem im Widerspruch, was als menschenwürdig empfunden wird. Soll man sie also ignorieren?