„Wir romantisieren alles“

„Die klingen ja wie Joy Division“ murmelt ein Besucher während des „The Drums“-Konzertes am Frequency Festival. „Die klingen ja wie die Beach Boys“ schreiben Musikmagazine. Sänger Jonathan Pierce und Schlagzeuger Connor Hanwick über Fluch und Segen einer Single, Elvis Presley und den Glauben an eine Welt, die gar nicht existiert.

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Das Faible für Vintage-Mode sieht man ihnen an. Mit zersausten Retro-Frisuren und Sonnenbrillen sitzen Johnathan und Connor in einem Interviewraum im Pressebereich des Frequency-Festivals. Die Interviewumgebung hier ist denkbar undankbar. Die beiden ließen sich aber von dem künstlich geschaffenen Drei-Quadratmeter-Raum, umgeben von weißen, hohen Plastikwänden und dem von Skunk Anansie verursachten Lärmpegel nicht davon abhalten, ihre geistigen Ergüsse in das Aufnahmegerät hineinzumurmeln.

Die BBC sieht in den vier US-amerikanischen Jungs die ultimativen Abräumer des Jahres 2010 und der NME bezeichnete „The Drums“ als „New York’s official coolest new band“. Die Single „Let’s go surfing“ war ausschlaggebend für den Hype um die Band aus Brooklyn. Die Jungs sind von dem ewigen „Beach Boys“-Vergleich genervt. Sie haben nie 60s Surf Musik gehört, gehen selbst nicht surfen – Connor mag nicht einmal Strände. Und tatsächlich: So leichtfüßig und optimistisch wie „Let’s go surfing“ kommt die restliche Platte nicht daher. Ganz abgesehen davon, dass es absurd ist, die „Beach Boys“ und „Joy Division“ in einem Atemzug zu nennen, lassen sich die Songs der „The Drums“ ganz und gar nicht in dieses Korsett zwängen.

Ihr habt nie Surfer-Musik gehört, geht selbst nicht surfen und Connor mag nicht mal Strände. Warum zum Teufel habt ihr die Nummer „Let’s go surfing“ eigentlich aufgenommen?

Jonathan: Jeder, der sich mit unserer ersten EP und dem Album beschäftigt, wird merken, dass uns das Vintage-Amerika der 1950er und 1960er Jahre fasziniert. Unsere Songs sind Momentaufnahmen und Surfen ist eben ein Phänomen dieser Zeit.

Connor: Wir haben mit Surfen nichts am Hut. „Let’s go surfing“ ist überhaupt kein biografischer Song. Es muss ja nicht jeder Song einer Band autobiografisch sein. Die Ramones waren nie in der High School und haben „Rock’n’Roll High School“ aufgenommen. Elvis hat den „Jailhouse Rock“ gesungen obwohl er nie im Gefängnis war. Es geht hier um objektive Ideen. Songs sind nicht immer wahr sondern manchmal Fiktion oder einfach nur eine Idee.

„Let’s go surfing“ ist jedenfalls nicht stellvertretend für eure Platte. Aber jeder hört diesen Song und kennt euch dank diesem Song. Nervt euch eigentlich die Single-Hörkultur – also dass Leute eine Nummer rauf und runter hören und das war’s dann?

Connor: Man kann einen Song mögen und auch gleichzeitig wissen, dass er nicht stellvertretend für eine Band ist. Wir freuen uns wahnsinnig, dass die Leute zu unseren Konzerten kommen weil sie uns mögen. Es spielt dabei keine Rolle warum sie welchen Song mögen. Wichtig ist ja nur, dass sie zu unseren Konzerten kommen.

Jonathan: Außerdem heißt es nicht, nur weil Leute einen Song sehr gerne hören, dass sie unser Album nicht mögen.

Dank NME und BBC seid ihr „the next big thing“. Der ganze Hype um euch – hat euch der mehr genutzt oder mehr geschadet?

Jonathan: Ich glaube, dass wenn du dich als Band dem Hype nicht vollständig verschreibst, er dir nur helfen kann. Uns hat er geholfen bekannt zu werden und dabei hat sich für uns musikalisch nichts verändert. Wenn die Leute sagen wir sind „the next big thing“ setzt uns das nicht unter Druck, weil wir das Album, also die Musik die wir lieben, gemacht haben bevor der Hype begonnen hat. Es gibt sicher Bands, die sich vom Hype vereinnahmen lassen. Wir haben das nie nahe an uns rangelassen. Wir sind realistisch, wir haben hundertmal gesagt, dass nichts für immer währt: Vielleicht sind wir jetzt der heiße Scheiß, aber nächstes Jahr ist es eine andere Band. Ich glaube es ist wichtig alles realistisch zu sehen um sich auf das, was man tut, konzentrieren zu können. Menschen und Kritiker kommen und gehen, heute lieben sie dich, morgen hassen sie dich. Wir versuchen, das alles zu ignorieren und machen so gute Songs wie wir können und das ist das eigentliche Ziel dieser Band.

„We started the band because we were depressed and wanted to write songs that made us less depressed“ habt ihr in einem Interview verlautbart. Inwiefern kann Musik-Machen eine Therapie sein?

Connor: Ich glaube nicht, dass dich Musik vor etwas bewahren kann, weil dich nichts vor irgendetwas bewahren kann. Gefühle wie Freude oder Einsamkeit können aber mit einem Song, einer Geschichte oder einem Foto eine Sekunde oder in unserem Fall drei Minuten verknüpft sein. Du fühlst dich in diesem Moment Eins mit jemanden oder etwas. Ein Song kann dich manchmal auch einfach ablenken, aber wenn das so ist, dann ist es meiner Meinung nach eine ziemlich wertvolle Ablenkung.

Mit eurer Musik wollt ihr zwei Gefühle beschreiben: Einerseits das schöne Gefühl der Hoffung und des Träumens und andererseits das Gefühl der Einsamkeit. Mit diesen zwei Extremen spart ihr den riesigen Graubereich des alltäglichen Lebens aus. Gibt es diesen Graubereich für euch nicht?

Jonathan: Wir leben alle in unseren eigenen Realitäten und ich glaube wir alle sind wahnhaft seit Beginn unseres Lebens. Wir romantisieren alles und es geht uns gut dabei. Wenn du in einer Band bist kannst du es dir erlauben noch mehr zu romantisieren. Seit ich in dieser Band bin, glaube ich an eine Welt, die nicht wirklich existiert.

Connor: Ich glaube nicht, dass wir das Gefühl des alltäglichen Lebens aussparen. Der Alltag ist ja auch per se nichts Schlechtes. Die Gefühle der Hoffnung oder der Einsamkeit sind eben Gefühle, die wir jeden Tag haben. Unser alltägliches Leben ist nicht außergewöhnlich großartig oder besonders „rock’n’roll“ – wir sind auch tagtäglich mit Gefühlen wie Isolation, Hoffnungslosigkeit, Trauer und Verzweiflung konfrontiert. Die konstruierte Realität der Drums ist ein romantischer Zufluchtsort des langweiligen Alltags. Wir können dem entfliehen. Dabei folgen wir den Regeln des Pop: Bei Popmusik geht es um Eskapismus, es geht einfach darum, dass es dir drei Minuten lang gut geht.

www.thedrums.com

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