Das Kollektiv Total Refusal veröffentlicht seit Jahren beeindruckende, intelligente wie unterhaltsame Kurzfilme, die es in prominenten Computerspielen erzeugt. Die beim Locarno Film Festival 2022 uraufgeführte, bei bisher 100 internationalen Festivals gezeigte und mehrfach ausgezeichnete Arbeit »Hardly Working« ist neu in der Cinema Next Series kostenfrei zu streamen. Wir haben die »pseudo-marxistische Medienguerilla« Total Refusal zum Interview gebeten.
»Hardly Working« ist die nächste Veröffentlichung in der Cinema Next Series, die regelmäßig auf der Streamingplattform Kino VOD Club kostenlos spannende Filme von heimischen Filmtalenten präsentiert.
In euren eigenen Worten: Worum geht es in »Hardly Working«?
Total Refusal: »Hardly Working« ist ein Essayfilm zum Thema Arbeit und die damit einhergehende Darstellung von Normalität im Spätkapitalismus innerhalb des Videospiels »Red Dead Redemption 2«. Ursprünglich eine Arbeitsethnografie, beobachteten wir NPCs (Nicht-Spieler-Charaktere) und ihre end- und sinnlosen Handlungsabläufe im Spiel. NPCs verrichten »Bullshit-Jobs« – im Sinne einer rein performativen Tätigkeit – und stärken damit die soziale Ordnung, die das Spiel vermittelt. Der Film behandelt den NPC als »animal laborans« (Hannah Arendt), dessen Arbeit den Status quo nicht verändert, sondern verstärkt. NPCs sind Sisyphos-Maschinen, die in ihren endlosen Routinen feststecken. Bei Glitches brechen sie aus der Normalität aus und wirken dadurch in der Fehlerhaftigkeit menschlich. Der Avatar ist im Spiel, um aufzusteigen, reich zu werden und die Spielewelt zu dominieren. Der NPC hingegen ist in seiner Masse und seiner unveränderlichen Rolle und Routine die Repräsentation der Arbeiterklasse im Spiel.
NPCs gibt es ja in sehr vielen Games: Was machte »Red Dead Redemption 2« besonders interessant für eure Reflexion zu Arbeit und Arbeitsroutinen?
NPCs beleben die Welt von »RDR2« in einem bisher nie dagewesenen Detaillierungsgrad. Ihre Alltagsschleifen betreffen nicht nur die Choreografie von Arbeit, sondern ebenso Freizeit und ein im Spiel oft dysfunktional dargestelltes soziales Leben. In diesem Spiel bedeutet das, dass sie organisch auf Wetter und Umgebung reagieren, sich eine Pfeife aus der Hosentasche ziehen, sie mit einem Streichholz anzünden, das Streichholz aus der Hand schnippen etc. Manche der einfachen Backdrop-Charaktere weisen eine individuelle Biografie auf – wie Alkoholismus oder das Betrauern von verstorbenen Angehörigen am örtlichen Friedhof. Jeder NPC ist darüber hinaus von Schauspieler*innen motiongecapturet.
Wir haben ja schon eure Filme »Operation Jane Walk« und »How to Disappear« in der Cinema Next Series veröffentlicht. In einem The-Gap-Interview zu diesen Filmen sagt ihr, dass euch eure Ideen zu möglichen Filmen während des Spielens kommen. Wie kann man sich das vorstellen? Ihr zockt und zockt und irgendwann kommt jemandem von euch eine Idee für einen Film?
Wir spielen Spiele, da kommen Ideen her – das stimmt. Aber in letzter Zeit orientiert sich die Projektaufnahme eher an Themen, die wir als Marxist*innen bedeutend finden. »Hardly Working« ist eine Studie zur massenmedialen Repräsentation von Arbeit. Zukünftige Projekte handeln von Individualismus, dem Verhältnis von Demokratie und Kapitalismus, unserem toxischen Naturbegriff etc. Manche Ideen entstehen aber auch durch die Inspiration aus der Gaming-Community.
Könnt ihr eigentlich noch »frei« gamen? Oder denkt ihr jedes Mal, wenn ihr etwas spielt: »Wie könnte man daraus einen Film machen?«
Absolut. Gaming bleibt weiterhin eine genussvolle, entspannte Tätigkeit. Vor allem, weil wir auch viele Spiele spielen, von denen wir im Vorhinein wissen, die eignen sich nicht zur künstlerischen Aneignung. Das Problem ist ein anderes: Die meisten von uns arbeiten zu viel und können deshalb nicht so viel spielen, wie es eigentlich erwünscht wäre.
Eure Filme werden gerne als »Interventionen« beschrieben (und gefeiert). Das passt vermutlich zu eurer Selbstbeschreibung, eine »pseudo-marxistische Medienguerilla« zu sein. Aber woher, glaubt ihr, könnte es kommen, dass diese interventionistische Qualität eurer Filme in der Wahrnehmung so im Vordergrund steht?
Der interventionistische Gestus entsteht durch die Entfremdung des Massenmediums, durch ein »transformatives Spielen«, wie es in der Spielewissenschaft heißt. Der Avatar wird so verwendet, wie es vom Spiel nicht vorgesehen ist. Und weil sein zweckentfremdetes Gameplay auf der rein medial repräsentativen Ebene auftritt, wird die spielfremde Handlung zur interventionistischen Choreografie. Auf der erzählerischen Ebene schaffen wir über Voiceover oder Ähnliches einen Filmessay. Diese beiden Elemente sind bei uns miteinander verzahnt. Wir betonen das interventionistische Moment deshalb vor dem essayistischen, weil wir davon ausgehen, dass sich das großteils Videospiel-unaffine Publikum darunter eher etwas vorstellen kann, als wenn wir von einem Essay sprechen, der in einem Videospiel entwickelt wurde.
Wie ist das eigentlich mit den Rechten für die Games, derer ihr euch bedient? Beim Publisher Rockstar Games anzurufen, wäre vermutlich, wie beim Disney-Konzern nachzufragen, ob man was mit »Star Wars« machen darf. Nehmt ihr euch einfach die Freiheit – und auch das Risiko? –, diese Spiele künstlerisch zu nutzen?
Das ist die Rechtefrage, die am häufigsten an unser Kollektiv gestellte Frage. Wir sind Parasiten, verwenden Corporate-Eigentum von Big-Budget-Konzernen, die teilweise mit Spielen wie »GTA V« über eine Milliarde Dollar Gewinn machen. Es gibt Millionen von Youtuber*innen, Twitcher*innen oder Tiktok-Leuten, die Videospiele screencapturen, kommentieren, verfremden, sich die digitalen Welten aneignen. Sehr wenige verdienen sehr viel damit. Würden uns die Studios verklagen, wäre wenig zu holen, aber viel schlechte Presse die Folge.
Es gibt eine Game-Art- und Machinima-Szene, die bei einer klagewütigen Spieleindustrie austrocknen würde. Knackiger wird’s bei kommerzieller Nutzung bzw. beim Ankauf oder Verleih von Filmen bei bzw. an Fernsehstudios. Mithilfe des Senders Arte bekamen wir aber von Ubisoft Entertainment die Rechte für zwei unserer Filme in Hinblick auf das Bildmaterial. Bei Rockstar Games wollte Arte auch die Rechte für uns anfragen, aber einer der Anwälte des Studios teilte uns freundlich mit, dass Rockstar prinzipiell »Nein« sagen würde. Deshalb sollten wir da auch nicht offiziell anfragen. Die Chance, dass das Studio schlimmstenfalls beanstandet, unsere Arbeit aus dem Fernsehprogramm zu nehmen, sei sehr gering, meinte ihr eigener Anwalt. Für Langfilme benötigt man die Rechte, ansonsten raten wir allen, sich sonst keine Gedanken zu machen. Spielefirmen wie Bohemia Interactive artikulieren sogar die Freigabe ihrer Bildrechte. Deshalb haben drei französische Machinima-Filmemacher mit »Knit’s Island« auch genau in deren Spiel ihren Langfilm gedreht.
Eine Interview-Reihe in Kooperation mit Cinema Next – Junger Film aus Österreich.