Witness the Shitness

Lieber Gott, lass Muschihouse Marke Klangkarussell und Flic Flac nicht das sein, was von Österreichischer Musik der Zehner Jahre übrig bleibt. Bitte.

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Dezember 2009: Als die Nuller Jahre ihren verdienten Ruhestand einfordern, und ein völlig neues, noch gänzlich unberührtes Jahrzehnt wie ein Silberstreif am Horizont aufflackert, richtet die österreichische Musiklandschaft, gespannt wie ein Flitzebogen, ihr Augenmerk auf eine naheliegende Zukunft, die so viel Gutes verspricht. Die noch ungeborenen Zehner Jahre präsentierten sich in utero unschuldig wie ein Lämmchen und schüren einen kleinen Funken Hoffnung, dass nun endlich Schluss ist mit seichtem silbermondesken Genöle, wie es so oft aus den Abteilungen Stürmer, Luttenberger-Klug oder Mondscheiner tönte. Das war ja anfangs noch ganz nett und radiotauglich wie nichts Gutes, irgendwann reicht’s dann aber auch. Es ist der Anbruch einer neuen Ära. Von jetzt an wird alles besser.

Februar 2014: Wir sind im Arsch. Holt mal bitte jemand die Luttenberger-Bratzen zurück aus der Versenkung, die können auch gerne wieder Zeilen wie "morgen werde ich gestern schon allein gewesen sein" trällern, das werden wir schon irgendwie verkraften. Aber was ist bloß schief gelaufen? Wir befinden uns gerade mal im zweiten Quartal einer Dekade, die so viel Potential zu haben schien, in die wir all unsere Hoffnungen gesteckt hatten. Später hätten wir noch unseren Enkeln erzählt, von den guten alten Zehner Jahren, die so wunderbar und so toll waren, und dass es damals halt noch gute Musik gab. Stattdessen werden wir davon erzählen, wie Muschihouse alles andere unter sich begraben hat.

Samplebeats x Saxophone

Vor gut zwei Jahren wurde ein Track eines bis dato unbekannten DJ-Duos aus Salzburg namens Klangkarussell auf Soundcloud hochgeladen. "Sonnentanz" wurde in weiterer Folge geshared, gepostet und gebloggt was das Zeug hält. Binnen kürzester Zeit hatte man dann eine europaweite #1 – in den Niederlanden, in England, Belgien und Schweiz war der Song "nur" Nummer Drei in den Charts – und alle waren glücklich. Damals war wohl noch nicht bewusst, welche ewig gleich klingende Songlawine man damit losgetreten hat.

Plötzlich konnte man förmlich dabei zusehen, wie ein fades Saxophon dem nächsten faden Saxophon ins Ende kroch. Gefühlige, repetitive, dauerentspannte, wirklich unangenehm klingende Saxophone. Über eine korrekte Genre-Einordnung ist man sich in den weiten Abgründen des Internets auch noch uneinig, von schlicht und einfach "Dance" oder "Deep House" über "Sunday Chill" bis hin zu "Jazz House" (!) stößt man auf so einiges an Definitionsversuchen. Jazz House my ass. Das ist Muschihouse in seiner vollendetsten Form.

Hits Hits Hits

DJ-Kombos aus ganz Europa schossen plötzlich wie Pilze aus dem Boden, und wir reden hier nicht von lecker Schwammerln sondern der unliebsamen Variante am Fuß. Die setzen dann entweder wie Klingande und Faul & Wad Ad auf die bekannte Saxo-Gedudel-Methode oder sind noch phlegmatischer als ihre Musik klingt und klatschen den standardmäßigen Muschi-Beat direkt auf den nächstbesten Singer-Songwriter-Track. So geschehen bei "Waves" von Mr Probz oder Asaf Avidans "One Day / Reckoning Song" (auch: Das Lied dessen Text die eine Blonde auf irgendeinem Poetry Slam verdichtet hat und den dann jeder so inspirierend fand und am liebsten sofort als Wandtattoo haben wollte). Letztendlich bleiben die eh alle One-Shit-Wonders.

Klangkarussell 2.0

Aber nun gut, das kam ja alles nicht aus Österreich. Muss man sich also nicht dafür verantworten. Soll aber nicht heißen, dass wir nicht noch ein mindestens genau so preiswert klingendes Ass im Ärmel hätten. Flic Flac aus Wien werden als "die neuen Klangkarussell" betitelt (Oh Gott) und waren unter anderem Anstoß für Milky Chances "Stolen Dance" (OH GOTT). Mit ihrem "Remix" (Beat-Draufklatsch-Methode) von Bedouin Soundclashs "Brutal Hearts" dürfte auch bald ein Charthit vorhanden sein. Lord have mercy.

Wir haben Dubstep überlebt. Wir werden auch Muschihouse überleben. Und wir sind natürlich total froh, dass endlich jemand mit Musik sein Geld verdienen kann, dass Musik aus Österreich auch von hier aus erfolgreich sein kann. Wir wissen eh, dass es leicht ist auf Klangkarussell und Flic Flac einzudreschen. Wir wollen einfach nur nicht, dass das von diesem Jahrzehnt übrig bleibt. Dafür gibt es zu viel anderes, für das es sich hier zu leben lohnt: Dorian Concept, Cid Rim, Salute, Ken Hayakawa, Sohn, Nvie Motho, Joyce Muniz, Wolfram, Wandl, Motsa, HVOB, Elektro Guzzi, Sam Irl … Daran würden wir uns dann so viel lieber zurückerinnern.

Wahrscheinlich kommt aber sowieso was auf uns zu, das alles bisher Dagewesene an Shitness nochmal übertrifft. Dudelsäcke auf billigen Elektrobeats oder so. Realistisch gesehen werden wir uns also in einem Jahr Muschihouse zurückwünschen. Fürs Erste sind wir aber eher für Wegwünschen. It was the best of times, it was the worst of times!

Nachtrag: Mit Naxxos aus Graz gibt es noch ein weiteres DJ-Duo, das extra penetrante Saxophone und S-Budget-Beats in seine Tracks einbaut. Erfrischend!

Shitstorms werden auf der Twitter-Page des Autors entgegengenommen.

Bild(er) © Bella Lieberberg, Lichtdicht Records, Sony Music / Geturshot, Universal Music
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