Die Geschichte davon, wie queere New YorkerInnen sich in der Nacht auf Samstag, den 28. Juni 1969, wegen einer Polizeirazzia des Szenelokals Stonewall Inn in der Christopher Street zur Wehr setzen und damit einen Wendepunkt für die Lesben- und Schwulenbewegung einleiteten, ist weit über die USA hinaus bekannt. Die Emanzipationshistorie der österreichischen LGBTIQ+-Bewegung kennen vor allem jene, die diese miterlebt haben. Zeit, mit ihnen darüber ins Gespräch zu kommen.
Einen erheblichen Einfluss auf die queere Geschichte hatte auch hierzulande die Aids-Krise. Die Ausbreitung des HI-Virus in den 80er- und 90er-Jahren erschütterte die LGBTIQ+-Community in teils verheerendem Ausmaß und bedrohte ein sich gerade erst herausbildendes Selbstvertrauen queerer Menschen. Aus historischer Perspektive strukturierte man sich durch die Krise jedoch auch neu. Wichtige Institutionen wie die Aids Hilfe wurden gegründet. Der Life Ball wurde ab 1992 veranstaltet und bot queeren Menschen seit seinem Bestehen eine große Bühne.
Nicht nur entstand wegen der Aids-Pandemie wichtige Infrastruktur im LGBTIQ+- Zusammenhang, es fand auch ein Zusammenrücken innerhalb der Community statt. So nahm es auch die 2015 verstorbene Historikerin, Autorin und Aktivistin Ines Rieder wahr, die sowohl mit der Situation in den USA als auch mit jener in Wien vertraut war und 1988 das erste Buch über Frauen und die Aids-Krise verfasste. »Ich glaube die Aids-Krise und der Umgang damit, das war so die politische Schule für die Lesben und Schwulen, das war so ihre Möglichkeit, sich zu profilieren. Und da wurden sie auch als Einheit wahrgenommen«, wird sie in der »Stonewall in Wien«- Broschüre zitiert.
»Sichtbar ’96«
Die Aids-Krise legte aber auch rechtliche Probleme der Community offen, die sich zu drängenden Forderungen formulieren ließen. »Wenn einer starb, stand der andere auf der Straße, weil zufällig der falsche den Mietvertrag unterschrieben hatte. Oder man durfte einander nicht im Krankenhaus besuchen. Man war zu dem Menschen, der einem am nächsten war, gesetzlich ein Fremder«, so Brunner. Er sieht die Krise als einen Katalysator, um auch unterschwellige Diskriminierung in der Rechtsmaterie offenzulegen. »Das Strafrecht war immer offensichtlich, die Strafrechtsparagrafen hat man immer benennen können. Die anderen Diskriminierungsformen waren zum Teil schwer zu benennen.« Die Forderung einer Neuregelung, nach einem reformierten Partnerschaftsrecht und schlussendlich auch nach der »Ehe für alle« finden hier ihren Ursprung.
Von den Polizeirazzien in den 60er-Jahren, über die Räumung von Infoständen der HOSI in den 70er-Jahren, der Hausbesetzung der Villa und dem gemeinsamen Kampf gegen Aids machte Wien Mitte der 90er-Jahre einen großen Schritt, was die Sichtbarkeit queerer Menschen im öffentlichen Stadtraum betraf. Gemeint ist die erste Regenbogenparade, die am 29. Juni 1996 unter dem Motto »Sichtbar ’96« veranstaltet wurde. Das Veranstaltungsteam, dem auch Andreas Brunner angehörte, hoffte auf 5.000 TeilnehmerInnen. 25.000 Menschen kamen. Viele, die bei dieser ersten Parade dabei waren, reden heute noch davon. Brunner arbeitete zu dieser Zeit noch in der schwul-lesbischen Buchhandlung Löwenherz und erinnert sich daran, wie ein Kunde einige Tage nach der Parade zu ihm kam, ihn umarmte und erzählte: »Am Anfang bin i nu hinterm Bam gestanden – i hob ned gewusst, wos des is. Owa zum Schluss hob i auf der Stroßn mitgetanzt.« Ein Sinnbild dafür, wie sich die Ringstraße zu eigen gemacht wurde, um aus dem Versteck herauszutreten.
Wenn die Emanzipationsgeschichte der LGBTIQ+-Bewegung ein Prozess ist, dann dauert dieser noch immer an – wenn auch mit neuen Zielsetzungen. In den letzten Jahren und Jahrzehnten bemühte man sich vor allem darum, neben der Anerkennung gleichgeschlechtlicher PartnerInnenschaften und der Durchsetzung von nicht-diskriminierenden Adoptionsrechten, die »Ehe für alle« zu ermöglichen. Auch für Trans*-Personen hat sich vieles getan, was Eva Fels bestätigen kann: »Sie sind wesentlich gesünder. Es gibt noch immer erhöhte Depressionsraten unter Transleuten, aber es ist nicht das, was ich damals gesehen habe. Die Leute haben mehr Selbstbewusstsein.« Viel zu tun bleibt trotzdem noch. Zum Beispiel gibt es noch immer nicht die Möglichkeit, den eigenen Vornamen unabhängig vom eigenen Geschlecht zu wählen. Die Stadt Wien verlangt nach wie vor eine Diagnose zur »Transsexualität«, bevor geschlechtsangleichende Operationen vorgenommen werden können, und es werden noch immer medizinisch nicht notwendige Interventionen an intergeschlechtlichen Menschen durchgeführt. Um gegen die Diskriminierung HIV-positiver Menschen zu arbeiten, klärt die Aids Hilfe in Kampagnen darüber auf, dass HIV-Positive unter wirksamer Therapie nicht ansteckend sind. Der Situation queerer Geflüchteter widmet man sich beim Verein Queer Base, und auch mit Vereinen wie Afro Rainbow Austria und Mi Gay rücken Belange von LGBTIQ+-Migrant- Innen in den Vordergrund. Das Erzählen der Emanzipationsgeschichte von queeren Menschen legt hier hoffentlich ein Potenzial offen – ein Erkennen, was die LGBTIQ+-Bewegung erreicht hat und dass man sich darauf nicht ausruhen muss.
Die HOSI Wien bietet jeden Donnerstag einen Coming-out-Treff an, jeden Mittwoch steht der Lesbenabend auf dem Programm. Die Türkis Rosa Lila Villa bietet mit dem »Lila Tipp« mittwochs ein Beratungsangebot zur Lesben- und Trans*-Bestärkung an. Gruppentreffen von Trans X finden zweimal pro Monat statt – ebenfalls in der Villa. Kosten- freie Tests auf HIV und weitere Geschlechtskrankheiten sowie allgemeine Beratung durch die Aids Hilfe kann wochentags außer dienstags in Anspruch genommen werden. Hilfsangebote von Afro Rainbow Austria und Queer Base werden auf www.afrorainbow.at und www.queerbase.at vorgestellt.