Ich würde auch Österreich regieren

Ein wahnsinniger Souverän auf seinem Feldzug durch die Welt, die Anarcho-Punk-Pop-Fahnen an die Lanze geheftet. Tobias Jundt ist Kaiser abseits Palfrader’schen Klamauks, bierernst darf man den Chef der in Berlin ansäßigen Truppe Bonaparte trotzdem nicht nehmen.

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Tobias Jundt bezeichnet sich selbst als "realistischen Träumer", der “schon auch mal Österreich regieren” würde. Beruflich ist Jundt Rampensau bei Bonaparte, sowie Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste. Auch am Mozarteum in Salzburg hat er schon unterrichtet. Sascha, der Tourmanager der Band, hat zuvor mit Affen gearbeitet. Da scheint es nur konsequent, dass er sich eines wahnsinnigen Despoten und dessen tollkühner Crew annimmt, die mal in Zirkuskostümen, mal als Piraten, weltweit Hedonismus mit Botschaft verkünden.

“Sorry, We’re Open” heißt das neue Album von Bonaparte. Darauf finden sich Freunde wie Housemeister und Deichkind ein, zum Videodreh der Single “Quarantine” schaute sogar Bela B. vorbei, “ein Freund des Hauses”.

The Gap hat den stinkenden Tobias Jundt in Wien getroffen. Dreckig und verschwitzt vom Sziget-Festival in Budapest hatte der vor dem Interview-Marathon im Hotel Triest nicht einmal Zeit gehabt sich zu duschen.

Warum entschuldigt ihr euch mit dem neuen Album, dass ihr wieder da seid? Habt ihr Angst vor irgendjemandem?

Nein. Wir sind nur ein bisschen höflicher geworden. Du weißt ja wie das entsteht, wenn du die amerikanischen Türschilder durchschneidest und verkehrt herum zusammen machst – was wir des Öfteren gemacht haben – dann ergeben sich diese Sätze, die ich vom Gefühl her sehr mag: "Entschuldigung wir haben offen" oder "Kommen sie rein, wir haben geschlossen". Ich mag Gegensätze, die ein gewisses Gefühl erzeugen. Bonaparte ist schon eine Band, die sich nicht unbedingt ein Blatt vor den Mund nimmt. Man kann es auch so interpretieren: Entschuldigung dass wir gerade raus unsere Meinung sagen. Es kann auch eine Anspielung auf die sexuelle Ausrichtung sein. "Sorry, We’re Open", wir sind offen für vieles. Da gibt es eine Million Interpretationsmöglichkeiten für den Titel. Es kommt aber eigentlich von etwas Physischem, nämlich diese Schilder auseinander zu schneiden.

Wie lange bastelst du an deinen Kostümen? Wenn man sich so ansieht wie aufwendig die sind, entsteht fast der Eindruck, ihr schneidet und bastelt genauso lange an den Kostümen wie ihr an der Musik bastelt.

Ich bastle schon mehr an der Musik. Die Kostüme sind eine Mischung aus Dingen, die wir selber machen, Sachen die sich verändern, Sachen die wir auf Tour finden und solchen, die wir auf Reisen gefunden haben. Da gab’s immer Stationen, wo ich Sachen gefunden habe, die später unglaublich wichtig wurden. Manche Dinge habe ich mir gekauft, lange bevor es Bonaparte überhaupt gab, und ich wusste nicht warum.

Wie lange hast du diese Mütze (siehe Bild links) schon?

Diese? (nimmt sie ab, riecht daran, setzt sie wieder auf) Schon lange. Stinkt wie Sau. Aber heute stinke ich ja sowieso, weil wir am Sziget in Budapest nicht duschen konnten, und da ich heute Interviews habe, war ich der einzige, der noch nicht duschen gehen konnte. Heute spielen wir ja leider nicht in Wien.

Am liebsten spielen wir eigentlich jeden Tag. Das ist schlimm aber wahr.

Man hat immer das Gefühl, man hat jetzt nicht alles gegeben, wenn man nicht spielt. Das gehört zum Tag, so wie man isst, trinkt, und die Toilette aufsucht.


Was ist dein Lieblingskostüm?

Ich glaube mein Pyjama. Ich habe im Tourbus ein rotes Pyjama, und Bertil, unser Lichtmann, hat ein blaues. Und seit er das blaue hat, musste ich ein bisschen nachdoppeln, und habe jetzt meinen Morgenmantel auf Tour mitgenommen. Ich glaube das ist mein liebstes Kostüm. Aber das trage ich nicht auf der Bühne, ich bin ja nicht Udo Jürgens.

Aber gut. Ich habe gelogen. Wenn ich ein Kleidungsstück wählen müsste, dann wären das ganz klar weiße Boxerschuhe.

Ohne diese Schuhe spiele ich nicht, und wenn es diese Schuhe nicht mehr gibt, dann gibt es auch Bonaparte nicht mehr.

Das habe ich schon 2006 gesagt, und das wird so sein.

Ich hoffe sie halten noch eine Zeit lang.

Ja? Das ist schon die fünfte Generation, aber wenn ich einmal keine mehr finde, müssen wir entweder welche herstellen lassen oder es ist aus. Wenn es die Schuhe nicht mehr gibt, ist das ein Zeichen, dass sich Bonaparte zur Ruhe setzen sollen.

Wieviel Demokratie gibt es bei der Band Bonaparte unter Kaiser Jundt?

Ich wäre kein guter Kaiser, wenn ich mir nicht alle Ideen anhöre. Manchmal sage ich sehr schnell nein, und manchmal plant man auch etwas weiter, oder probiert das umzusetzen, und merkt ganz am Ende: Das funktioniert jetzt nicht oder fühlt sich nicht richtig an. Es braucht schon jemanden, der im Zweifelsfall Entscheidungen trifft.

So wie ich in der Schweiz aufgewachsen bin, dachte ich immer: Alle sind gleich, alle haben die gleichen Rechte, Demokratie ist das Beste, nur Demokratie ist richtig, alles andere sind irgendwelche Zurückgebliebenen. Aber seit ich diese Band habe, muss ich leider eingestehen, dass es durchaus Sinn macht, wenn es einen Souverän gibt. Die Frage ist, auf der Ebene, die ein bisschen mehr Entscheidungsmacht hat: Wie wird da entschieden? Es ist unglaublich wichtig, dass die Leute tatsächlich Entscheidungen treffen, die für die Gesamtheit das möglichst lange Überleben des Projekts garantieren, oder eben eines Staates oder eines Landes. Das Chaos braucht Banden, und dafür ist der Kaiser da. Aber ich glaube wir haben es ganz gut, in unserem kleinen Mikrostaat.

Also ich würde schon auch mal Österreich regieren, wenn ich muss.

Wie viel Freakshow geht, ohne dass man sich selbst karikiert?

Das ist eine sehr sehr gute Frage. Grundsätzlich: Man macht etwas und dann ist es ein Spiegel von etwas, und irgendwann wird man selbst zum Spiegelbild oder zu dem, was man karikiert. Das ist eine schwierige Frage. Es gibt Momente, in denen man denkt: Jetzt treten wir aber an einer Stelle, oder werden zu dem, wovon wir eigentlich eine Persiflage mache wollten. In dieser Musik, die man macht oder in der Kunst, die man macht, nimmt man eine Rolle ein, und irgendwann muss sich jeder fragen: Kann ich das jetzt noch bringen, stimmt das jetzt noch für mich? Bei uns ist das eigentlich recht einfach. Wir spielen alles, bei dem wir fühlen, dass es für uns stimmt. Wenn etwas nicht mehr stimmt, dann machen wir es nicht mehr.

Es gibt Leute die hassen uns, es gibt Leute die vergöttern uns. Ich glaube irgendwo in diesem Feld sehen wir das selber auch.

"Sorry, We’re Open" erscheint am 17. August bei Warner.

Im Herbst kommen Bonaparte für vier Gigs nach Österreich:

29.10.2012 A – Salzburg – Republic

30.10.2012 A – Wien – Gasometer

31.10.2012 A – Graz – Listhalle

01.11.2012 A – Innsbruck

Bild(er) © Melissa Hostetler, Martin Riedl
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