Joseph Gordon-Levitts hinreißendes Regiedebüt »Don Jon« ist nach »The Look Of Love« und »Lovelace« ein weiteres Beispiel für das aktuelle Kokettieren des Indie-Kinos mit Porno. Schon wittern Filmfestivals und das Feuilleton einen Trend. Aber wie neu ist der Ausflug in die Tabuzone wirklich?
Kunst und Kalkül: Die Seventies und Eighties
In den 70er Jahren kam es zu einer wahren Explosion des Pornofilms, die heftig auf das Independent-Kino ausstrahlte. Kaum ein Streifen dieser Ära beteiligte sich nicht zumindest in einer Nebenszene am Boom. Die gegenseitige sinnenfreudige Umarmung führte dabei unbestritten zu Meisterwerken, spätere Kultregisseure wie Alejandro Jodorowsky, Walerian Borowczyk und Nagisa Oshima nutzten sie für die Kritik an repressiven Systemen und verfolgten die tabubrechende Entgrenzungstheorie der Erotik im Bataille‘schen Sinne.
Der Billig-Porno „DeepThroat“ wurde schließlich 1972 auch außerhalb seiner Sparte ein Kassenschlager. Er einte die Massen und Lager, versöhnte Unten und Oben und galt in intellektuellen Kreisen gar als progressives Kulturgut. Ein wahrer Triumphzug für die milliardenschwere Pornoindustrie, die sich oft nur eines wünscht: Raus aus der rotbelichteten Schmuddelecke, im Establishment ankommen – oder womöglich sogar so feudal wie Hugh Hefner und Larry Flynt mit Celebritys abhängen und dabei vielleicht auch ein wenig Politik betreiben. Dennoch mischten die Größen des New Cinema bereits zu Porno-Chic-Hochzeiten bittere Pillen in den aphrodisierenden Cocktail: Der Sexfilmkonsument Travis Bickle in Martin Scorseses „Taxi Driver“ ist kein aufgeschlossener und moderner Mann, sondern hochgradig entfremdet und beziehungsgestört – und Paul Schrader präsentierte in „Hardcore“ das Porno-Business gleich als das, was es zum allergrößten Teil ist: ein Opfer produzierender Sweatshop-Betrieb ohne allzu viele ethische Mindeststandards.
Pornoklassiker der 70er:
„Deep Throat“ (1972): Gerard Damiano stilisierte Linda Lovelace und Harry Reems zu Hardcore-Ikonen
„Behind The Green Door“ (1972): Debüt von Marilyn Chambers mit einer legendären Trapez-Sexszene; Chambers war 1977 auch in David Cronenbergs „Rabid“ zu sehen
„The Devil in Miss Jones“ (1973): ein weiterer Damiano-Hit mit Harry Reems
„The Opening Of Misty Beethoven“ (1976): „My Fair Lady“ in der X-Rated-Version
„Debbie Does Dallas“ (1978): mit Bambi Woods ist einer der meistzitierten und parodierten Filmtitel der Kinogeschichte
Verstörendes Autorenkino der 70er:
Alejandro Jodorowsky „El Topo“ (1971): surreales Opus über Sex, Tod und Religion
Nagisa Oshima »Im Reich der Sinne« (1976): erzählt die Geschichte der japanischen Prostituierten Abe Sada inklusive der Sexualpraktik Hypoxyphilie
Walerian Borowczyk: heute fast vergessener Schöpfer von Kult-Erotika wie „Unmoralische Geschichten“ (1974) und „La Bête“ (1975)
Andy Warhol/Paul Morrissey: Die Trilogie „Flesh“ (1968), „Trash“ (1970) und „Heat“ (1972) mit Joe Dallesandro dreht sich um Sex und Drogen und bekannte Factory-Groupies.
Kinky Sex:
„Caligula“ (1979): Hollywood-Stars inmitten von Hardcore-Orgien? Regisseur Tinto Brass und Produzent Bob Guccione machten das Wunder dank raffinierter Schnitttechnik möglich.
80er-Hardcore:
»“Amanda By Night“ (1981): Regisseur Robert McCallum (unter seinem richtigen Namen Gary Graver Kameramann bei Orson Welles), inszenierte den Porn noir um einen Serienmörder mit Veronica Hart. Diese spielt später jugendfrei u. a. in „Boogie Nights“ und „Magnolia“.
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