Zeit für Experimente

Sind die Piraten tatsächlich die Import-Lösung unserer politischen Probleme? Oder doch eher ein Franchise für Frust und eine Projektionsfläche für absurde Erwartungen? Ein guter Impulsgeber wären sie allemal. Doch selbst die Grünen schlummern schreckerstarrt. Womöglich ist das ein fataler Fehler.

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Der war gut! Da hat der Peter Pilz doch tatsächlich vorgeschlagen, der sich gerade erst konstituierenden Piratenpartei ins Parlament zu verhelfen und deren Akteure – an wählbarer Stelle, auf halbwegs sicheren grünen Listenplätzen – ins Establishment zu katapultieren. Die Strategie dahinter ist klar: umarmen, einbetten, ersticken. Die erwünschte Nebenwirkung: Selbst noch einmal etwas vom Glanz jugendlicher Rebellion abzubekommen. Ausgefuchst, fürwahr! Doch verstanden hat der Gute die Piraten in etwa so sehr wie weiland Kreisky die Umweltbewegten. Die wollten, allen Einladungen zum Trotz, auch kein Stück des Weges gemeinsam mit dem Sonnenkanzler gehen. Der Rest ist Geschichte, das Grüne alteingesessen und Umwelt, zumindest auf dem Papier, heute bei allen Parteien ein Thema.

Doch worum geht es den Piraten? Auch wenn ihnen das selbst noch nicht ganz so klar scheint, man noch um erste Antworten ringt: Die Fragen, die sie aufwerfen, sind keine verkehrten, grundliberal und durchaus konstruktiv gedacht. Mehr Partizipation, mehr direkte Mitbestimmung, Transparenz und Demokratie 2.0 sind mehr als nur schicke Schlagworte. Sie sind dringend erforderlich, in durchaus radikalem Ausmaß. Damit stellen die Piraten allerdings weniger die restlichen Parteien in Frage als vielmehr das herrschende politische System, das all jene Erfordernisse eben nicht erfüllt. Politisches Programm ist das noch keines. Ob es noch eines wird, bleibt fraglich. Zwar werden die Piraten in den Medien gern auf das Urheberrechtsthema festgenagelt – eben weil es sonst nichts Greifbares gibt. Doch für jene 25 Prozent aller Österreicher, die sich angeblich vorstellen können, die Piratenpartei zu wählen, wird es vermutlich eher egal sein. Es geht um einen Protest gegen das System.

Piraten! – Wo?

Hätten die Piraten wirklich bald 8 oder 15 oder gar 25 Prozent aller politischen Mandatare zu stellen: Wer bitteschön sollen die dann sein? Schon bei den Altparteien enttäuscht das Personal. Ist es nicht naiv zu glauben, ausgerechnet die Piraten würden all die in ihren liberalen Werten gefestigten Schläfer aktivieren, postideologische Experten und hehre Weltverbesserer anziehen? Oder locken die Jobs dann doch wieder jene Glücksritter, die auch Freiheitliche und BZÖ ins Spiel brachten, als man plötzlich Posten zu vergeben, aber kein fachlich und moralisch qualifiziertes Personal zur Verfügung hatte? Wirklich geben tut es sie derzeit nämlich nicht, die österreichischen Piraten. Sie zetteln weder Diskussionen noch Debatten an. Und das, obwohl sie angeblich doch so welt- und mediengewandt sind. Die Enttäuschung ist also vorprogrammiert: Anders als bei den Grünen (die Jahrzehnte hatten, sich zu professionalisieren) wird das Zeitfenster, in dem die Wähler den Piraten gestatten, sich zu bewähren, gnadenlos kurz sein. Können diese auch nichts verändern, dann ist die Verdrossenheit nur noch größer.

Grüne: eine Insel

Und was machen die Grünen? Die schlummern und scheinen sich selbst zu genügen. Interessant ist das, weil sie selbst bereits weiter waren, als es die Piraten heute sind – zumindest in Wien. Erinnert sich noch jemand an das revolutionäre System der »Grünen Vorwahlen« über das Internet? Was ist davon geblieben außer einem Aufatmen und der Gewissheit ergrauter Funktionäre, diese von der eigenen Basis erwirkte Erneuerung irgendwie überlebt zu haben? Das gute Gefühl, als Vizebürgermeisterinnenpartei in der Hauptstadt ein bisschen mitmischen zu dürfen, lässt die Partei wohl vergessen, dass spätestens 2013 bundesweit gewählt wird. Hätten die Grünen ihre Lektion gelernt, müsste die Partei sich längst im großen Stil öffnen. Ob jemand ernsthaft darüber nachgedacht hat, das Vorwahl-System im großen Stil bundesweit durchzuziehen? Fürchtet man sich vor »Facebook-Vorwahlen«? Die Zeit wäre jedenfalls reif für neue Gesichter, eine ehrliche Öffnung und Experimente, die etwas gewagter sind als die billigen Schmähs eines Peter Pilz mit seinen Ideen von vorgestern

Vielleicht bringt all das ja wirklich die neue Piratenpartei auf die Reihe. Vielleicht haben wir bald eine Handvoll vorwärtsgewandter Politiker im Parlament sitzen, die semiprofessionell vorleben, dass man sich vor Technik und Freiheit zwar nicht fürchten muss, dass einen die eigene IT-Sozialisierung aber auch nicht gleich zum besseren Menschen macht. Ganz so naiv sind die Piraten dann doch nicht. Besonnen wollen sie gar keine allzu großen Erwartungen wecken. Naiv sollten freilich auch wir Wähler nicht sein. Das, was viele von uns von den Piraten erwarten und in sie projizieren, ist eine gewaltige Aufgabe – und Sympathie ist weder ein professionelles, noch ein politisches Kriterium.

Thomas Weber, Herausgeber, @th_weber

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