Ende September erscheint das neue Zola Jesus Album "Conatus". Michael Aniser durfte schonmal reinhören und hat Nika Roza Danilova zum Gespräch über Zecken, David Cronenberg und ihre Sozialphopie getroffen.
Zola Jesus, das waren zuerst Drones, noisige Lo-Fi Sounds und Schlafzimmerproduktionen einer Highschool Schülerin die sie einfach mal Online gestellt hatte ohne groß mit Erfolg zu rechnen. Zu experimentell schien das, zu schlau auch teilweise. Doch dann ging alles ziemlich schnell und bald schon wurde aus dem Mädchen aus Wisconsin die neue Hoffnung im schmalen Grad zwischen Noise und Pop. Diverse Singles folgten, unter anderem eine Zusammenarbeit mit Burial Hex. Inzwischen ist sie ganze 22 Jahre und ihr neues, drittes, Album macht nun einen großen Schritt in Richtung breite Masse.
Nika Roza Danilova kommt direkt aus Los Angeles eingeflogen an diesem ausnahmsweise nicht verregneten Sommernachmittag in Berlin. Überraschend gut gelaunt und gar nicht müde sitzt sie im Büro der Plattenfirma und kaut Gummibärchen. Sie hat noch nicht so viel Promotion gemacht für die neue Platte und ist deshalb noch ganz frisch, aber doch auch ein wenig nervös:
Wie fühlst du dich, nachdem das Album jetzt fertig ist?
Ich bin wirklich nervös was die Leute darüber denken werden, "Conatus" ist sehr roh. Es ist eines der persönlichsten Dinge, die ich jemals gemacht habe. Ich hoffe ich bekomme positive Reaktionen darauf.
Keine Sorge, ich finde es super, aber eben auch total anders als die Sachen, die du davor gemacht hast, was ist passiert?
Ich wollte mich herausfordern, meine Fähigkeiten als Songwriterin und Produzentin ausloten. Wenn ich weitergemacht hätte wie zuvor, wäre ich irgendwann stecken geblieben. Brian Foote hat das Album produziert und mit ihm zu arbeiten war super. Er hat mich einfach machen lassen und nicht wirklich in die Songs eingegriffen. Ich habe mir diesmal auch keinerlei Grenzen gesteckt.
Hat es lange gedauert das Album aufzunehmen?
Ungefähr sechs Monate. Am Song "Lick The Palm Of The Burning Handshake" musste ich monatelang rumfeilen und alles immer wieder neu schreiben.
Ist der Song vom Pink Floyd Albumcover zu "Wish You Where Here" inspiriert?
Nein, das Cover kannte ich gar nicht wirklich. Im Song geht es um mein Verlangen neue Dinge zu lernen, so wie auch der Albumtitel "Conatus" (Anm.: lateinisch für Bemühen, Streben) bereits ein Weitermachen thematisiert. Dieser Prozess der Albumproduktion hat mich dann total fertig gemacht, darum geht’s in dem Song. Der Ausdruck "Burning Handshake" ist mir einfach nur so eingefallen. Ich weiß nicht wirklich, ob das was bedeutet, ich will auch nicht erklären müssen was ich mir so denke, wenn ich meine Songs schreibe.
Und der Song Shivers? Das ist doch ein Film von David Cronenberg …
Ich habe nicht konkret an den Film gedacht, aber ich finde ihn großartig!
Ich frage dich nur nach all den Referenzen, weil du mal gesagt hast, wenn du Songs machst, sollen die immer komplett neu und einzigartig sein. Aber ist es nicht viel mehr so, dass Kunst heutzutage eher ein kurativer Prozess ist? Also nicht mehr so sehr der Geniegedanke, sondern eben diese postmoderne Idee Neues in Altem zu finden…
Ich habe mal so gedacht, ja, aber ich finde das inzwischen ein wenig naiv, dass man etwas komplett Neuartiges erschaffen kann. Kunst ist immer schon auf vorherigen Strömungen aufgebaut.
Du erwähnst auch immer wieder Philosophie als großen Einfluss.
Meine Musik ist eher psychologisch oder psychoanalytisch, wenn du willst, weil ich mir immer einen Spiegel vorhalte und diesen Spiegel auch in Richtung der Menschheit richte. Ich versuche Menschen besser zu verstehen, denn ich finde manchmal fühlen wir uns doch alle wie Außerirdische. Musik ist eine große Hilfe das zu verstehen. Deshalb interessiere ich mich auch für Philosophie, das hilft mir zu verstehen, was in der Welt um uns vorgeht.
Da muss ich wieder an Cronenberg denken, der ja auch diese psychoanalytische Symbolik in die Popkultur rücküberführt. Hast du viele seiner Filme gesehen?
Oh ja, ich liebe ihn! Wenn ich mir seine Filme anschaue fühle ich mich unwohl als Mensch. Er schafft es die Abscheulichkeiten in uns nach außen zu kehren, Dinge, die wir immer zu verbergen suchen. Ich finde es auch witzig, dass er jetzt diesen Film über Freud gemacht hat.
Versucht du mit deiner Musik dasselbe?
Ja, aber in einer zugänglicheren Weise. Ich bin generell ziemlich bessesen davon das rauszulassen.
Ich denken auch, der eher noisige Sound, den du vorher gemacht hast thematisiert diese Dunklen Seiten. Wie kam die Wandlung zum Pop?
Ich glaube, dass man mit Noise und experimenteller Musik nur eine Handvoll Leute erreicht und die wissen dann ohnehin schon Bescheid. Pop ist einfach ein wunderbares Mittel um mehr Menschen zu erreichen und sie auch irgendwie zu erziehen. Ich sage nicht, dass ich einen pädagogischen Auftrag habe, aber es geht darum andere Dinge zu thematisieren. Gewöhnlich geht es in Pop-Songs darum sich zu betrinken, Party zu machen und am nächsten Morgen irgendwo aufzuwachen. Es gibt aber soviele andere interessantere Themen, nur irgendwie macht das niemand, da ist eine Lücke.
Aber in letzter Zeit taucht das doch wieder vermehrt auf, all dieses Neo-Goth Zeug zum Beispiel.
Ich höre mir sowas nicht wirklich an. Ich glaube es kommt der Punkt wo eine Ästhetik wichtiger wird, als die Musik und niemand mehr etwas vermittelt. Das zerstört für mich den Zweck der Musik.
Du wirst immer wieder mit Siouxsie Sioux verglichen, stört dich das? Beinflusst dich ihr Sound?
Ich weiß nicht so recht was mich wirklich beeinflusst. In letzter Zeit habe ich ziemlich viel elektronische Musik gehört, 808 State oder Aphex Twin zum Beispiel, auch viel Breakcore. Während der vorigen Alben habe ich einfach gerne Drones gehört, Sound Texturen, wo man nie so genau hört mit was die gemacht wurden. Und dann kommen Leute und sagen einfach, das ist Siouxsie and the Banshees oder New Goth. Ich denken, es ist nur dass was ich gemacht habe, die Einflüsse finde ich nicht so wichtig.
In deinem letztes Album "Stridulum II" hast du gesagt geht es um die Liebe und um eine ganz bestimmte Person, ist das gut ausgegangen für dich?
Ja, inzwischen bin ich sogar verheiratet. Das Interessante war aber beim letzten Album, dass die Songs immer an jemanden gerichtet waren und ich dem Zuhörer etwas vermitteln wollte, während ich mir jetzt selber etwas zeigen wollte. Ich wollte mit Dingen klarkommen die mich belasten, zum Beispiel mein Streben zur Perfektion. Das Album ist sehr persönlich, weil ich alles an mich selbst richte und versuche mit all den Sachen klar zu kommen, die mich als Künstlerin belasten.
Es war also in gewisser Weise eine Therapie?
Definitiv! Das Album war sehr therapeutisch.
Hat es funktioniert? Geht es dir besser?
Nachdem das Album fertig war, habe ich mich komplett geöffnet, das finde ich interessant. Ich glaube ich bin jetzt viel klarer, wenn ich das nächste Mal ins Studio gehe, aber zuerst musste ich all das durchmachen um an diesen Punkt zu kommen.
Ich habe auch gelesen, dass du auf dem Land aufgewachsen bist. Glaubst du, diese Isolation führt zu mehr Selbstreflexion?
Ich bin wirklich dankbar dafür, denn ich bin nicht wirklich von anderen Menschen abhängig. Ich glaube, dass das sehr wichtig ist, denn diese anderen Leute werden nicht für immer für einen da sein. Es ist sehr wichtig zu lernen allein zu sein, die meisten Leute können das nicht. Unsere Gesellschaft ist auch so aufgebaut: Man ist ständig auf Facebook oder Myspace und alle glauben dadurch, dass immer jemand für sie da sei. Damit macht man es sich zu bequem. Wenn man hingegen alleine aufwächst, dann wird das alleine sein bequem.
Ein Song auf dem Album heißt "Hikikomori", dieses japanische Konzept, für Leute die sich absichtlich von der Gesellschaft isolieren und z.B. jahrelang zu Hause einschließen. Findest du das ist eine positive Sache?
Ja, definitv. Ich schätze die Zeit in der ich alleine oder mit meinem Ehemann sein kann und ich glaube viele Leute wünschen sich, dass sie mit sich alleine sein können und es ihnen damit gut geht, aber es kostet viel mehr Energie alleine zu sein als mit anderen Leuten.
Du sprichst auch immer wieder deine Sozialphobie an.
Ja, die habe ich und auch eine generelle Phobie gegenüber so ziemlich allem. Ich fühle mich einfach sicherer wenn ich alleine bin, denn dann gibt es keine Variablen, keine Unstimmigkeiten weil ich die Kontrolle darüber habe was ich mache und wie ich mich fühle. Andere Leute um mich zu haben fühlt sich für mich unbehaglich an.
Ein anderer Track auf deinem Album heißt "Ixodes", geht es darin wirklich um Zecken oder ist das eher methaphorisch gemeint?
Ich bin in Wisconsin aufgewachsen und wenn ich in den Wald gegangen bin, hatte ich immer Zecken. Viele Leute um micht herum haben dann auch Lyme-Borelliose oder andere Krankheiten bekommen. Das war immer so eine Art Barriere zwischen Mensch und Natur für mich, wenn du in den Wald gehst bekommst du Zecken. Das hat den Song ein wenig inspiriert, die Idee vollständig von Zecken übersäht zu sein. Ich hasse sie einfach so sehr, elende Blutsauger!
In der Stadt scheinen wir diese Barriere überwunden zu haben…
Ja, das finde ich das Interessante am Landleben, man fühlt sich immer irgendwie als Teil der Natur. Aber dann lebt man mitten im Wald und man realisiert, dass man selbst die Lebewesen dort eher stört. Es ist interessant wie wir uns komplett entfremdet haben von unseren Brüdern und Schwestern den Tieren.
Bist du Vegetarierin?
Nein keinesfalls, wir Menschen sind Fleischfresser, Allesfresser um genau zu sein, wir können uns nicht dagegen wehren. Man kann sich einfach nicht gegen seine Natur wehren.
"Conatus" von Zola Jesus erscheint Ende September auf Souterrain Transmissions,
vorab gibt es den Track "Vessel" bereits hier auf Soundcloud zu hören.