»Zur Geschichte des Rundfunks in Österreich« ist unser Sachbuch des Monats

Wir sind es gewohnt, jederzeit und überall unendlich vielfältige Inhalte auf verschiedenen Geräten, bei Bedarf nonstop, zu konsumieren. Es ist gar noch nicht so lange her, da war das alles völlig anders. Wolfgang Pensold beschreibt die Entwicklung von unausgereiften und kaum leistbaren Luxusprodukten zu den überall und jederzeit verfügbaren Massenmedien.

Testbild nach Sendeschluss

Drehen wir das Rad der Zeit rund 100 Jahre zurück. Es gibt noch kein Radio, geschweige denn Fernsehen. Telefone schon, aber es ist davon auszugehen, dass ihr nicht im Besitz einer der 100.000 Sprechstellen seid, die 1918 in Österreich in Betrieb sind. Euer Vergnügen findet anderswo statt: Im Kino, im Varieté, beim Wirten oder zu Hause im Rahmen einer kleinen Hausmusik. Sind die letzten Gäste gegangen, ist es recht still. 

1923 führt eine auf Übertragungstechniken spezialisierte Firma in Österreich erste Sendeversuche mit einem Programm namens „Radio Hekaphon auf Welle 600“ durch, das hauptsächlich Musik bringt. Ziel dieser Firma, die eine Radiostation errichten möchte, ist der Absatz von Radios. Ihr sehnt euch nach ein wenig Zerstreuung und seid deswegen – Neuem gegenüber immer aufgeschlossen – bei einem der zahlreichen Vorträge über Radiotechnik dabei oder überhaupt Mitglied in einem Radioklub.

1924 erlangt die Radio-Verkehrs-AG (RAVAG) eine Konzession – die einzige, die der Staat vergibt. Radio Hekaphon muss aufhören. Im September geht die RAVAG on air, ab 1. Oktober gibt es ein tägliches Programm namens Radio Wien. Dort hört ihr den Wetterbericht, Musik, literarische und belehrende Vorträge, Märchen und Nachrichten. Politik und Religion wird ausgespart. Die geltende Gesetzeslage ermöglicht es, das Programm per Zensur zu beeinflussen. Euch ist das wurscht, Hauptsache ist, dabei zu sein. Euch ist auch egal, dass ihr anfangs mittels Kopfhörer hören müsst, weil die finanzierbare Technik nicht mehr hergibt, technisch hochwertige Produkte für euch aber unerschwinglich sind. Im Oktober gibt es rund 11.000 registrierte RundfunkteilnehmerInnen, Anfang November bereits 25.000 – und geschätzte 60.000 SchwarzhörerInnen. Werdet ihr erwischt, ist mit saftigen Strafen zu rechnen. Im Jänner 1925 sind bereits 100.000 HörerInnen angemeldet. Mit der Zeit erlangen Lautsprecher ein akzeptables Preis-Leistungs-Verhältnis, sodass ihr mit Freuden beim Radio abhängen könnt. Gewitter in der Luft und Straßenbahnen vor der Tür sind Störquellen, die den Empfang hemmen. Und gesendet wird – mit Pausen – nur rund acht Stunden täglich.

Auf Schwierigkeiten stößt auch die Programmgestaltung: Die Sparte Musik kämpft anfangs mit einem zu kleinen Studio und schlechten Mikrofonen. Als die Qualität steigt, fürchten Konzert- und Opernhäuser das Radio als Konkurrent. Viele Schriftsteller meiden die Programmsparte Literatur: Sie fürchten um ihren Ruf, wenn sie beim Radio mitmachen. Eine dritte Sparte, das Bildungsprogramm, vermittelt Wissen. Leicht ist es nicht, die Geschmäcker aller Hörerinnen und Hörer zu bedienen: Es gibt ja nur einen einzigen Sender – und anfangs kommt das ganze Programm in Echtzeit aus dem Studio. Als das Radio technisch in der Lage ist, von vor Ort zu senden und Ereignisse für eine spätere Sendung aufzuzeichnen, tun sich für euch erneut völlig neue Welten auf…

»Schlag deinen Fernseher kaputt, mach ihn kaputt«

Nicht minder spannend ist die Entwicklung des Fernsehens. Auf der Wiener Herbstmesse sind 1930 erstmals Fernsehapparate zu bestaunen. Aber erst 1954 kann durch die Inbetriebnahme eines Schweizer Fernsehsenders in Teilen Vorarlbergs erstmals ein Fernsehbild in Österreich empfangen werden. Am 1. August 1955 nehmen die ersten österreichischen Sender ihren Betrieb auf. Sie erreichen theoretisch rund zwei Drittel der Bevölkerung – wobei die allermeisten Menschen keinen Fernseher besitzen. In den ersten Wochen sendet das österreichische Fernsehen zunächst nur montags, mittwochs und samstags zwei Mal täglich für je rund 45 Minuten einen Kultur- oder Dokumentarfilm und an fast jedem Tag eine Nachrichtensendung, bei der Pressefotos gezeigt werden, zu denen ein Sprecher Nachrichten spricht. Neben den technischen Schwierigkeiten haben die Macher auch schlicht keine Ahnung, wie eine Fernsehsendung aussehen soll und kann. Das hält den Siegeszug des Fernsehens nicht auf: Ab 1959 gibt es Fernsehwerbung, ab 1967 erste Versuchssendungen in Farbe, mit Beginn der 1970er erste – anfangs wieder unleistbare – Videorekorder und erstes Kabel- und Satellitenfernsehen. Und so fort.

Cover »Zur Geschichte des Rundfunks in Österreich«
Cover »Zur Geschichte des Rundfunks in Österreich«

Aus heutiger Sicht mutet das alles recht witzig an. Man möge aber technische Möglichkeiten und individuelle Mediennutzung seiner eigenen Jugend mit heutigen Errungenschaften und Nutzungsgewohnheiten vergleichen, um zu verstehen, welch enormen Fortschritt die Entwicklung von Radio und Fernsehen bedeutet hat und wie umfassend die beiden Geräte das Leben beeinflusst haben.  

Pensold geht in seiner Mediengeschichte nicht nur auf die technische Entwicklung der Geräte, Sendeanlagen und das Programm ein, sondern bettet das Geschehen in größere gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Zusammenhänge: So beleuchtet er unter anderem die Bedeutung, die das jeweils neue Medium auf die Gesellschaft und die/den Einzelnen hat, welche Ängste ZeitungsverlegerInnen, Kino- und TheaterbetreiberInnen und der Österreichische Fußballbund vor den neuen Medien haben und welche KäuferInnenschicht sich wann welche Geräte leisten kann. Er thematisiert die Einflussnahme durch verschiedene politische Strömungen auf die beiden Medien, deren Funktion als Sprachrohr totalitärer Regime (Dollfuß, Hitler) und deren Rolle bei der Herausbildung einer österreichischen Identität nach dem Zweiten Weltkrieg. Er erörtert die sozialkritische Bedeutung von »Kottan ermittelt«, »Ein echter Wiener geht nicht unter« und »Die Alpensaga«, die zum Teil heftige Ablehnung hervorrufen, und spannt den Bogen bis in die Gegenwart.

Interessanter Stoff, schnörkellos geschrieben, flott erzählt, verständlich aufbereitet. Etliche Abbildungen von alten Geräten und historischen Sendeeinrichtungen illustrieren das Geschehen. Ein Buch voller Aha-Erlebnisse und Schmunzler. So macht Geschichte Spaß! 

»Zur Geschichte des Rundfunks in Österreich. Programm für die Nation« von Wolfgang Pensold ist bei SpringerVS erschienen. 

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