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Sagt ein Bild tatsächlich mehr als tausend Worte? Museumsdirektor Peter Noever sagt ja. Und rechtfertigt so, dass seine umstrittene Schau zur nordkoreanischen Kunst im Wiener MAK landet wie ein unbekanntes Ausstellungsobjekt, dass keinen Kommentar mehr braucht. Richten Propagandabilder also sich selbst – oder verblenden sie?

Eine 40-Watt-Glühbirne brennt angeblich pro Wohnung in Nordkorea, wenn überhaupt. Die Satellitenbilder melden: Es ist dunkel über dem asiatischen Arbeiter- und Bauernstaat, aber die Selbstdarstellung ist hell und freundlich. Die nationale Nabelschau der Staatskunst im Wiener MAK zeigt eindrücklich, warum deren Realisierung außerhalb Nordkoreas bislang ausblieb und auch in Wien im Vorfeld kurzfristig verschoben werden musste. „Blumen für Kim II Sung. Kunst und Architektur aus der Demokratischen Volksrepublik Korea" heißt die artige Verneigung von MAK-Direktor Peter Noever vor dem 1994 doch verstorbenen „Ewigen Vorsitzenden“ des derzeit wohl repressivsten Verbrecher-Regimes der Welt.

Zu sehen gibt es, was sein Wiedergänger auf Erden, der regierende Sohn Kim Jong II, zeigen will: Fotos und Modelle der Pyöngjanger Version jener „Tyrannei des Schönen“, deren Faszinosum Noever schon am Beispiel der stalinistischen Stadtplanung erlegen war. Und, vor allem: Ein heiterer, bunter Bilderreigen von Tuschezeichnungen und Ölschinken. Man sieht Blumen und Wiesen, zum Glück ohne Atomraketen, hungernde Menschen und rasselnde Säbel, die auf Südkorea deuten. Man studiert das gütige Antlitz des Staatenlenkers, dessen sporadisches Beisein auf den herausgeputzten Gemälden alle Anwesenden noch eine Spur glücklicher macht. Sogar „die glücklichsten Kinder der Welt“, die Arbeiter in ihrem „Besitzerstolz“ vor putzigen Fabrikschlöten und die wahrscheinlich glücklichsten Künstler der Welt, die mit entsprechendem Sicherheitsabstand am Tisch des weisen Führers Kim II Sung sitzen und seine Anweisungen mitschreiben dürfen.

Dass alle Künstler Nordkoreas Mitglieder der staatlichen Künstlervereinigung sind bzw. sein müssen, ist eine der spärlichen Informationen, die die Schau im Pressetext bietet. Warum er die Ausstellung mache? Das fragen so viele, sagt Noever bei der Pressekonferenz, sogar der nordkoreanische Botschafter. Gut, dass es selbst der nicht weiß. Außerdem, so Noever weiter, hätten wir es mit dem kulturell „Anderen“ zu tun, dem in seiner Andersartigkeit ideologische Unvoreingenommenheit und Respekt gebühre. Ein Argument, das auf verquere Weise richtig und falsch zugleich ist. Denn einerseits sind die idealisierten Fließbandidyllen gar nicht so anders oder exotisch, als dass sie sich nicht ikonographisch etwa mit historischer, realsozialistischer Ostkunst vergleichen ließen. Andererseits verkörpert das Festhalten an einer abstraktionsfeindlichen Kunst fürs Volk tatsächlich jenes unverdauliche, skandalöse „Andere“ eines längst globalisierten Kunstbetriebs, das sich weder als Kommentar zur Kolonialgeschichte der Westkunst lesen lassen, noch sich mit den zeitgenössischen Sprachen der Kunst paaren will.

Der simpelste und auf den ersten Blick nicht unplausible Einwand Noevers gegen die in allen wichtigen Medien geäußerte Kritik an der mangelnden Kontextualisierung lautet aber, dass die Bilder ohnehin für sich selbst sprechen würden. Ist es nicht tatsächlich so, dass ohnehin jeder (außer die immer um kommunistische Gehirnwäsche besorgte FPÖ) weiß, was hier gespielt wird? Nun stimmt sicherlich, dass die ideologische Absicht hinter lächelnden Kindern und gut gelaunten Soldaten im Schnee rasch erkannt ist – bloß ist man deshalb nicht unbedingt verstimmt. Dazu bleibt die Idealisierung zu sehr im diffusen Allgemeinen und damit Gefälligen. Man ist aber auch deshalb nicht so verstimmt, weil Bilder tatsächlich mehr, oder besser etwas Anderes sagen als tausend Worte. Nur kritisieren sie nicht zwangsläufig ihre eigenen ideologischen Produktionsbedingungen, wie Noever suggeriert.

Bilder wollen geliebt werden

Bilder, und vor allem „starke“ Bilder, schreibt der Bildtheoretiker W._J._T._Mitchell, wollen nämlich vor allem geliebt werden. Sie wollen wirken, nicht überzeugen. Jenseits der Debatte um die seit den beiden Golfkriegen viel beschworene und verdammte „Macht der Bilder“ geht es nach Mitchells nicht nur um die Manipulationsfähigkeit der medientechnischen Simulacren, die sich an der Opposition Echtheit/Falschheit abarbeitet, sondern um deren animistische Qualität. Bilder haben ein Eigenleben, mit dem sie etwas von uns wollen – nicht nur umgekehrt. Gerade deshalb aber benötigen sie eine interpretative Rahmung. Ohne Kommentare zu Leben und Alltag in dem tatsächlich mörderischen politischen System bzw. ohne dissidente Exilkunst (deren Präsentation in dem Fall wegen den restriktiven Kooperationsvorgaben Pyöngjangs nicht präsentierbar ist) könnte Nordkorea so auch als eine DDR Asiens mit Hang zu großen Kinderscharen durchgehen.

Mit einer eigentümlichen Ausnahme allerdings, die es irgendwie durch die Zensur geschafft hat. Das Bild „Jogori“ von Pak Jong Mun aus dem Jahr 2002 (der Titel verweist auf ein traditionelles koreanisches Hemd) zeigt ein junges Mädchen mit verweinten, traurigen Augen und einer offenen Wunde. In Konfrontation mit all den geglätteten Darstellungen entsexualisierter Arbeiter und Bauernwelten wirkt dieses eigentümlich entrückte Porträt fasst wie die Erinnerung an einen Missbrauch. Dieses Bild will (zumindest mir) vom Trauma und nicht vom Traum Nordkorea erzählen. Wer hier von wem traumatisiert wurde – ein Kind, eine wie ein Kind gegängelte Kunst oder vielleicht gar ein Volk, bleibt freilich offen.

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