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Über den Abfall soll man nicht abfällig sprechen, denn des einen Müll ist des anderen Geschäftsgrundlage. Über unsere »Kompostmoderne« und Johann Lurfs »12 Explosionen«.

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Explosionen« hieß der erste Kurzfilm von Johann Lurf, der die Schönheit der Knallerei im nächtlichen Wien zelebriert. Nun geht es wieder um die Zahl. »Zwölf Boxkämpfer jagen Victor über den großen Sylter Deich 140 9« heißt Lurfs neues Werk. Im Standard lese ich dazu, der Film ließe sich als »ein filmischer Parcours aus filmischem Abfall« beschreiben.  Aber was genau ist eigentlich Abfall? Erstens ist Abfall etwas, das seitdem vermehrt anfällt, seitdem sich  ein Bedürfnis nach Hygiene und Purismus verstärkt. Kein Sauberkeitsfimmel ohne Schmutzwahn, das wusste schon der größte Hit »Staub« der leider schon verblichenen Combo Scheffenbichler: »Staub am Mond und Staub im Weltenraum, aber dort ram i eh net zamm.«

Zweitens ist der Abfall etwas, mit dessen Entsorgung bzw. Wiederverwertung man immer mehr Neues produziert – und damit aus dem Müll von gestern das Gold von heute macht. Aus dem Biomüll entsteht das Biogemüse. Aus dem stinkenden Abfall der Stadt macht nicht nur die neapolitanische Mafia viel nicht stinkendes Geld. Aus dem filmischen Abfall, dem found footage von gestern, wird der Avantgardefilm von heute. Und aus dem musikalischen Abfall, dem Stumpfen, dem Störgeräusch oder dem digitalen Schnittabfall namens »E-Graines« werden gleich ganze Genres wie Trash,  Noise oder Clicks&Cuts. Was für die einen Dreck ist, ist also für die anderen Kult. Was für uns zu beseitigender Abfall ist, ist für die Abfallwirtschaft Geschäftsgrundlage. So gesehen gibt es eigentlich gar keinen Abfall an sich, sondern nur unterschiedliche Betrachtungen über Objekte, deren sich jemand entledigen will und die ein anderer verwerten will. Das hat schon Bert Brecht in seinen »Flüchtlingsgesprächen« erkannt (die übrigens von Menschen handeln, die heute von Soziologen wie Zygmunt Bauman in rhetorischer Anlehnung an den systemischen Zynismus als »Abfall« und menschliche Ausschussware bezeichnet werden, weil sie nicht einmal mehr ausgebeutet werden können):  »Dreck ist ohnehin nur Materie am falschen Ort.« Davon zeugen nicht Second-Hand-Läden oder Designer, die rissverstärkte Lochjeans entwerfen, sondern auch diverse »Kultfilme«, Ausstellungen über die subversive Kraft von sogenannten »Bad Paintings« oder »Bad Taste«-Plattensammlungen.

Die Dynamik der Trash-Aufwertung

Umgekehrt bedienen sich freilich auch die Relikte dessen, was einmal als Hochkultur galt, der Vermüllungs- und Verdreckungsqualitäten der Sub- und Populärkulturen, um dem Ruf nach produktiver Verunreinigung (file under: Hybridität, Interdisziplinarität, seit neuestem auch: Interkreativität) nachzukommen. Einen schönen Kommentar zur Dynamik der Trash-Aufwertung liefert das »Dirty House« von David Adjaye in London, das mit seinen graffitiresistenten schwarzen Mauern eigentümlich steril wirkt. Klinische Reinheit ist mittlerweile wohl nur mehr bedingt ein Ideal. Möglicherweise nicht nur aus Modegründen, sondern auch, weil das allzu Saubere zumindest politisch doch einigermaßen diskreditiert erscheint. Nur ein paar unverbesserliche Saubermänner und Sauberfrauen flechten diesem spätestens durch den Horror der politischen Säuberungsbewegungen des 20. Jahrhunderts als solchen kenntlich gemachten Wahn noch ein paar herausgeputzte Rosenkränze.

Das Phantasma des Unverfälschten

Was das kulturelle Verlangen nach der Reinigung in der Moderne anlangt, erscheint die These von der Abwendung vom Purismus doch wesentlich problematischer. Auf den ersten Blick erscheint zwar die künstlerische Moderne, die in dieser Hinsicht vergleichbar mit der politischen Moderne ist, als eine Aufbruchsbewegung. Als Wohn- und Lebensform will etwa die »weiße Moderne« in Architektur und Design tatsächlich aufräumen mit falschen Ornamenten und funktionalistischen Defiziten. Ihrer Formenstrenge und ihrem Hang zur Askese korrespondieren auch gewisse reduktionistische Tendenzen in der Bildenden Kunst im puristischen White Cube und in der Musik (etwa in Minimal Art oder Minimal Music, obwohl es auch hier viel mehr  »unrein« und fetischisiert ist, als man glauben möchte).  Aber das ist eben nur eine Seite der Medaille. Gleichzeitig bahnt sich im 20. Jahrhundert nämlich auch ein Strang den Weg, der buchstäblich das Urinal ins Museum stellt bzw. den Müll der Anderen zum Rohstoff des Eigenen macht und so das Phantasma des Unverfälschten und Unverfälschbaren angreift: von den Dada-Collagen bis zur ver- und zugemüllten Installationskunst, von der Arte Povera bis zur heutigen ökologisch engagierten Recyclingkunst. Über den Abfall soll man also tatsächlich nicht abfällig sprechen, wie es auch in dem eben vom Grazer Kunsthistoriker Anselm Wagner herausgegebenen  Sammelband »Abfallmoderne« heißt. In dem mustergültig interdisziplinär verunreinigten Buch findet sich jede Menge Lesens- und Wissenswertes über das weite Feld der Abfall-, Müll- und Wertbetrachtungen. Unter anderem das schöne Wortspiel über den angeblich vollzogenen Paradigmenwandel von der Moderne zur »Kompostmoderne« (Roger Fayet).  

Was aber in diesem Zusammenhang ein Fleck auf einem Bild ist (Dreck oder Form?), das konnte das Buch mir auch nicht erklären. Naja, vielleicht ja ein anderes Mal.

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