20 Menschen der heimischen Kulturszene über definierende Momente – Teil 1

20 große Kulturensöhne und -töchter aus dem The-Gap-Umfeld erzählen von einschneidenden Erlebnissen und persönlichen Schlüsselmomenten ihrer Vergangenheit – und Zukunft. Teil 1.

Zukunft | Kino

Christine Dollhofer: »Cinema Futures«, oder sag zum Abschied leise »Gute Projektion«

Christine Dollhofer, Leiterin des Crossing Europe Filmfestival © Christoph Thorwartl / subtext.at

— Vorspann —

Wer den überaus aufschlussreichen Dokumentarfilm »Cinema Futures« von Michael Palm gesehen hat, der die Zukunft von Film und Kino thematisiert, hat eine Ahnung davon, wohin die Reise in den nächsten Jahren gehen wird.

— Schnitt & Überblendung ins Jahr 2027–

Die technischen Lobpreisungen des digitalen Zeitalters haben sich als durchaus problematisch erwiesen, das audiovisuelle Gedächtnis der Vergangenheit ist auf den digitalen Datenträgern mit Viren infiziert und nicht mehr dechiffrierbar, Datenübertragung und -speicherung wird nur mehr via Super-Cloud abgewickelt.

Demgegenüber erlebt gerade das analoge Filmmedium – so wie bereits mit Vinyl geschehen – ein Revival und wird zum Erlebnis der besonderen Art hochstilisiert, Celluloid wird zur Antiquität. Manche Filmschaffende leisten sich den Luxus, Filme wieder auf analogem Filmmaterial zu drehen oder transferieren ihre digital gedrehten Filme auf 35mm-Filmstreifen bzw. setzen dies als bewusstes Stil- und Formmittel für den musealen Betrieb ein. In ausgewählten Orten – Filmmuseen – werden diese raren Filmkopien dann gesehen, besprochen, archiviert. Als Bewahrer der Filmschätze schlechthin haben die wenigen Cinematheken dieser Welt noch mehr an Bedeutung gewonnen und bauen ihren Exklusivstatus aus – sofern sie die nötigen Geldmittel dafür lukrieren konnten und nicht schon vorher ausgehungert wurden. Viele Highlights der Filmgeschichte sind andernorts nicht mehr verfügbar. Und ja, diese exklusiven Kino-Orte erfreuen sich enormer Beliebtheit, zeichnen sich durch gute Projektionsbedingungen, Bibliotheken und angenehme Verweilzonen aus. 
Am Schwarzmarkt werden echte Filmkopien, Projektoren und deren Ersatzteile teuer gehandelt, fachkundige ProjektionistInnen und TechnikerInnen verzweifelt gesucht.

Unseren alltäglichen Film- bzw. Medienkonsum hingegen prägt eine enorme Angebotsvielfalt und damit einhergehend die totale Überforderung. Der Selektionsprozess ist die größte Herausforderung unserer Zeit. Jeder/jede kreiert sich das eigene Media-Menü à la carte. Sich als Gesellschaft oder als Gesellschaftsgruppe auf einen gemeinsamen Nenner zu einigen, sprich den »einen« Film oder die »eine« Serie als das »Must-See« zu küren, gehört schon lange der Vergangenheit an.

Und wo hat die Kinoerfahrung abseits der Cinematheken bzw. Filmmuseen noch seinen Platz? Das Kino als techno-sozialer Ort steht weiterhin für eine besondere Filmerfahrung. Durch exklusive Filmpremieren (Events mit Live-Zuschaltungen der jeweiligen MacherInnen und DarstellerInnen – abgestimmt auf die jeweiligen Zeitzonen –parallel in zahlreichen Kinosälen) und handverlesene Filmprogramme haben die zielgruppenorientierten Programmkinos und Filmfestivals ihre Bedeutung durch eine starke kuratorische Handschrift behauptet und dienen dem Publikum als Orientierungshilfe beim Überangebot an Filmstoffen. Apropos Vielfalt – vollautomatisierten Multiplexen wurde ihre Daseinsberechtigung auch nicht abgesprochen: Die technische Aufrüstung hat nicht an Fahrt verloren und entsprechend ausgerüsteten Haushalten bekommen die neuesten Blockbuster auch zeitgleich direkt ins Wohnzimmer übertragen.

— Abspann —

2027 sind den Spielarten der Reizüberflutung wohl keine Grenzen gesetzt, aber ganz gewiss wird das Kino als exklusiver Begegnungsort und Vehikel zur Promotion von Filmen und die Museen, die das Laufbild noch analog ausstellen, weiterhin existieren – jedoch nur, wenn diese einzigartige Kunstform und Kulturtechnik wertgeschätzt, geschützt und an die nächste Generation weitergegeben wird. 
In diesem Sinne liebe CineastInnen und FilmlobbyIstinnen lasst uns die Kinosäle bevölkern und leidenschaftlich über Filme und Filmkultur diskutieren, sodass die kinokulturelle Apokalypse keine Chance hat!

 

Die gebürtige Oberösterreicherin Christine Dollhofer studierte Theaterwissenschaft und Publizistik und ist seit 1990 im Filmbereich tätig. Sie war Geschäftsführerin des Filmcasino, Ko-Intendantin der Diagonale und leitet seit 2004 das Crossing Europe Filmfestival in Linz und ist Programmdelegierte für das International Film Festival San Sebastían (ES). Dokumentation: Thomas Weber

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