20 Menschen der heimischen Kulturszene über definierende Momente – Teil 2

20 große Kulturensöhne und -töchter aus dem The-Gap-Umfeld erzählen von einschneidenden Erlebnissen und persönlichen Schlüsselmomenten ihrer Vergangenheit – und Zukunft. Teil 2.

Vergangenheit | Riot

Rainer Krispel: »Life’s a piece of shit when you look at it«

Rainer Krispel, ehemaliger Arena-Obmann © Marion Holy

Erweckungserlebnisse? I had a few. Welche, die – polytoxisch befördert – die Welt auf den Kopf stellten, um nach dem Aufwachen mit anderen ungustiösen Dingen im Klo runtergespült zu werden. Zweifellos aber führten zahllose Konzerterlebnisse, mit allen Sinnen durchlebte Nächte, deren heftige Aufregungen und Anregungen – erfahren in der Kapu, im Landgraf, in der Stadtwerkstatt, im Chelsea, in den Stätten des nicht nur süddeutschen Hardcore-Wunders – zu einem prekären Leben mit Musik und einem damit verbundenen »Kulturbegriff«. Einem Kulturbegriff als Tool, die Wirklichkeit zu formen, zu einem anderen Leben, zu einer anderen Verteilung der Güter, zu einer besseren Welt.

1983: Ausflug zu den kanadischen D.O.A. in die Wiener Arena. Im bis heute nominell »besetzten«, selbstverwalteten Punktopia angekommen, jubilierte das 15-jährige Selbst. D.O.A. brauchten keine Punkuniform – sie hatten dennoch eine Optik, die sagte: anders! –, um ihren geilen Sound zu spielen. Die Arena schmeckte wie »the lunatics have taken over the asylum«. (»Gute Wahnsinnige«, wichtig festzuhalten, seit der 45. Präsident der USA im Amt ist!)

Über 30 Jahre später wurde ich 2015 zum Obmann des Vereins Forum Wien Arena gewählt. Ein Verein, der seit vier Jahrzehnten als Erbe der Besetzung des Wiener Auslands- und Inlandschlachthofes in den 1970ern die Arena betreibt. Zwei Jahre bestimmten Themen und Probleme meinen Alltag, die mich als Musik- und Kulturarbeiter mein Erwachsenenleben lang beschäftigten und die auch in mein früheres Schreiben für The Gap einflossen. Themen, die nicht nur mich im Dauerzustand manischer Depression hielten, vertraut aus den »kleineren« Linzer Häusern Kapu und Stadtwerkstatt in meinen 20ern: Selbstbestimmung, Kollektiv, Hierarchielosigkeit, die Anforderungen eines Veranstaltungsbetriebs, Vereinsstrukturen und Hilfsbetriebe, Förderstrukturen, der (Nicht-)Dialog mit einer Stadtpolitik mit anderen Problemen und Prioritäten. Das Dilemma, sich der zum keimfreien Eventainment neigenden Musik- und Kulturindustrie scheinbar nicht versagen zu können … Ansprüche vs. Wirklichkeiten. Zunehmend abstrakte Bekenntnisse zu Nichtkommerzialität, zum Luxus des Inhalts, während der gewaltige Druck, ordentliche Umsätze produzieren zu müssen, alles flachmacht. Mensch hat keine Zeit mit Crass die Frage zu stellen »Do they owe us a living?«, weil mensch soviel owed.

Die Musik und die Kultur, ihre Tröstungen, sind noch da, aber beim Balancieren mit unauflösbaren Widersprüchen und teils selbst geschaffenen Verbindlichkeiten, ist die bessere Welt nur mehr ein Merch-Item. Die gerechtere Gesellschaft baut mensch im Kleinen, für sich. Das klingt kulturpessimistisch, das ist kulturpessimistisch. Dennoch, jeder Tag, den ein Amerlinghaus, eine Arena, eine Kapu, eine Stadtwerkstatt, ein Wuk und ähnliche existieren, ist ein Triumph. Weil dort womöglich doch wieder einmal neu gedacht wird, Dinge doch wieder anders getan werden als vorgesehen. So wie der Punk mit eindrucksvollem Irokesen und ebensolchem Gemächt, der auf den Gehweg uriniert hat, damals 1983 in der Arena.

* Aus »Always Look On The Bright Side Of Life«, Monty Python

Rainer Krispel, 49, Vater, Musik(arbeit)er, Schreiber und zuletzt zwei Jahre lang Obmann des Vereins Forum Wien Arena. Dokumentation: Manuel Fronhofer

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