200 000 000

200 000 000 Euro soll das angeblich teuerste Spiel der Welt in der Entwicklung gekostet haben. »Grand Audio Theft 5« hat Freunde und Freundinnen von mir in den Weihnachtsferien in die Knie oder besser aufs Sofa gezwungen. Über den Ernst im Spiel und das Spiel beim Ernst machen.

Tödlicher Ernst

Aber nicht nur die im Score vergleichbaren sensorischen Qualitäten, sondern auch trainierbare soziale Fähigkeiten des Homo ludens, die sich etwa im Erfolg von virtuellen Meetings ablesen lassen, sind gefragt. So verkeilen sich Spiel und Ernst auf der gemeinsamen Benutzeroberfläche Computer ganz neu. Dieser erschafft zudem mehr und mehr Endlos-Spielszenarien mit permanent ansteuerbaren Einstiegsluken auf seinen verschiedenen Trägern zwischen Smart-Phone, Büro und Zuhause.

Dazu gehört auch das 24/7-Zocken an der Börse, von dem manche Psychologen behaupten, es wäre ohne das Kokain im Bankerblut nie so wie bei der Lehmann-Pleite aus dem Ruder gelaufen. Das Abenteuerspiel Wirtschaft hat für uns alle dramatische, ernste Konsequenzen, während umgekehrt das scheinbar zweckfreie, unschuldige Spiel zur Ressource ökonomischer Verwertungsprozesse wird. Die Gamification, also die Abschöpfung spielerischer Potenziale durch Wirtschaft und staatliche Institutionen, schreitet voran und lässt die Demarkationslinie zwischen Spiel und tödlichem Ernst verschwimmen.

»America’s Army« ist ein in der Erstversion 2002 auf den Markt gebrachtes Online-Ego Shooter-Game, das zunächst zu Rekrutierungszwecken eingesetzt wurde und als Freeware verbreitet wurde. Das Spiel dient nicht mehr bloß als Trainingsplatz für auch militärisch nutzbare Fertigkeiten. Es rekonstruiert nicht nur Originalschauplätze der US-Armee wie diverse Kasernen, sondern simuliert auch die Karriereschritte in der Armee von der Grundausbildung über das Training für Spezialeinheiten bis zum Einsatz auf virtuellen Kriegsschauplätzen.

Während heute viele Spiele bestimmte Steuerungsleistungen, wie man sie etwa im immer wichtiger werdenden Drohneneinsatz brauchen kann, per Joystick optimieren, dient das mit üppigen Entwicklungsbudgets vorangetriebene »America’s Army« von Anfang an auch als gar nicht groß verschleiertes Propaganda- und Werbungsinstrument. Die besten Spieler werden von der Armee gezielt angeschrieben und umworben. Umgekehrt ist das Gütesiegel »US Army« auch ein beliebtes Marketing-Tool für Spielehersteller, die sich damit ihrer Wirklichkeits-Credibility versichern.

Es scheint also an der Zeit zu sein, Gadamers Rede vom heiligen Ernst im Spiel abzuwandeln. Man muss nun auch vom tödlichen Ernst des Spiels reden.

Für weitere Kolumnen von Magister Edlinger, hier entlang, bitte.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...