330 967 629 Clicks hat ein Video von Miley Cyrus mit Träne, aber ohne Twerking. Eine Spekulation über den ersten Bubblegumpornopopstar der Geschichte und ihre Konkurrentinnen.
Störung als verzweifelter Witz
Ähnlich wie Lily Allen steht auch Miley Cyrus derzeit heftig in der Kritik – unter anderem deshalb, weil sie eine ursprünglich schwarze Tanzsubkultur als Novelty-Effekt im Popbiz ausschlachtet. Im Unterschied zu Allen aber wird hier ein kritischer Impuls nicht einmal mehr behauptet. Bei den MTV-EMA-Awards im November in Amsterdam hat der neue Superstar unter anderem Folgendes gemacht: Sie ist als Astronautin verkleidet zu Boden geschwebt, hat im knielangen Kleid mit einer kleinwüchsigen, in einen schwarzen Ganzkörperlatexanzug gehüllten Kollegin fröhlich getwerkt, hat dabei sich selbst auf den herausgestreckten Hintern klatschen lassen und ihrer Begleiterin im Gegenzug ein wenig auf den Hintern geklatscht. Außerdem hat sie noch »Wrecking Ball« performt und dabei so getan, als müsste sie fast so arg weinen wie im Video. All das war aber noch gar nichts im Vergleich zu dem, was ich verdutzt zufällig zuerst auf MTV gesehen habe. Miley Cyrus stakst in weißem Pelz, High Heels und bis über die Hüften gezogenem Body auf die Bühne, holt sich ihren Preis ab und fischt dann in ihrer Handtasche nach einem offensichtlichen Joint. Und dann zündet sich die junge Frau (zu diesem Zeitpunkt war sie gerade noch nicht 21 Jahre alt!) das Ding an. Und pafft voller diebischer Freude. Nicht eine Sekunde lang, sondern mindestens zwei. So nah am Feuer, so nah am Tabu! Diese Freiheit nehm’ ich mir, mag sich Miley in dem Moment gesagt und dabei daran gedacht haben, dass sie durch lehrbuchartiges »Beim Joint-Rauchen-Erwischen lassen« schon einige geschätzte 100.000 Einheiten mehr verkauft haben dürfte. »Ich habe es gemacht, weil ich wusste, dass die Fans in Amsterdam es lieben würden«, sagt die leutselige PR-Maschine in Mileys Mund. Die Handykameras blitzen, die Massen haben den Skandal, den keiner skandalös findet. Die Störung von heute ist nicht einmal mehr die Innovation von morgen, sondern nur ein verzweifelter Witz.
Es war ein Popmoment 2013, wie er trauriger und ernüchternder kaum sein könnte. Wahrscheinlich wird die erwachsene Miley Cyrus nach Lady Gaga noch ihr eigenes »Artpop«-Album machen müssen, in dem sie uns erklären wird, dass Twerken und Teddybären irgendwas mit total subversiver Kunst, zum Beispiel mit Jeff Koons, zu tun hat.
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