Gender Gap: Subcultures under Pressure

Warum sich unsere Clubkultur verändern muss.

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© Lini Taschner | electrobox.com, Daten von 2013

Ein heißer Wiener Sommerabend im Juli, ein vollgepacktes AU: female:pressure lud zum Austausch rund um Diversität im Club, und nicht nur am Podium, sondern auch im Publikum versammelten sich unzählige Wiener Veranstalterinnen. Gleichzeitig wurde irgendwo im Wald zu einem all-male Lineup getanzt – dass solche Veranstaltungen überhaupt noch existieren, verwundert mich ehrlich, gerade abseits von Kommerz. Aber viel wichtiger: Warum bemühen wir uns eigentlich um diverse(re) Lineups?

Wenn wir davon ausgehen, dass Sichtbarkeit essenzielles Instrument ist, um (Geschlechter-)Stereotypen entgegenzuwirken und marginalisierten Gruppen Zugang zu erleichtern, dann macht es Sinn, herzuzeigen, dass elektronische Musik nicht ausschließlich wie ein weißer Mann aus Europa aussieht. Erst kürzlich wurde ich auf Facebook mit dem Argument beworfen, nur 8 % der DJs in Österreich wären weiblich, deswegen auch magere female Bookings. Eine Statistik, die natürlich nicht existiert – alleine dass sie valide aussieht, zeigt, welche Mythen durch den elektronischen Musikbereich geistern. Statistik ist ein gutes Stichwort: DJ und Produzentin Electric Indigo gab erste Einblicke in die aktuelle female:pressure-Statistik, die den Anteil von Künstlerinnen auf Festival-Line-ups erhebt. Wenig überraschend stechen in Österreich vor allem Hyperreality und das Electric Spring mit ausgeglichenen Line-ups hervor, aber das wissen wir spätestens, seit Hannah Christ mit ihrer Statistik zum Booking-Verhalten österreichischer Veranstaltungskollektive Wellen schlu. Weitere wenig überraschende Trivia hierzu: Sowohl Hyperreality als auch das Electric Spring wurden von Frauen kuratiert.

Fast alle DJs, die ich persönlich kenne, sind Frauen. Aber natürlich mache ich nicht den falschen Rückschluss, 90 % aller DJs wären Personen, die sich selbst das Adjektiv »female« zuschreiben, da ich ja mitbedenke, dass sich ja mein Netzwerk entsprechend reproduziert. Männliche Veranstalter, Booker und DJs sollten sich also ebenso dessen im Klaren sein, dass ihr Bild der Realität womöglich kein objektives ist. Langer Rede kurzer Sinn: Ja, es gibt unzählige weibliche und non-binary DJs und Ja, es gibt tatsächlich strukturelle Zugangsbarrieren, und Ja, man kann sich auf unterschiedlichste Arten bemühen, diese Barrieren zu überwinden. Bei Hyperreality hat der Bürgerkurator eindrucksvoll gezeigt, dass ein 50-50-Line-up möglich ist und dass es nicht nur zwei Geschlechter oder nur einen Kontinent gibt. Neben der Frage nach Geschlecht sind es nämlich auch Herkunft, sexuelle Orientierung, Alter oder Klasse, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen.

Wenn ich über Geschlecht und elektronische Musik schreibe, dann bin ich ernsthaft überzeugt, dass diese Sphäre fast noch relevanter ist als die der klassischen Erwerbsarbeit. Es geht hierbei nämlich um einen Bereich unseres Lebens, der für viele Menschen über reinen Hedonismus hinaus eine Form von Freiheit bedeutet, ein Raum, in dem wir im besten Fall alle gleich sind, in dem es egal ist, wie viel Geld wir am Konto haben, woher wir kommen, mit wem wir am liebsten schlafen oder wie wir uns gerne anziehen und dabei aussehen. Ein Raum, der sich womöglich sogar kapitalistischen Mechanismen entziehen könnte. Das ist die Utopie, die stark – auch historisch – an elektronischer Musik hängt, und dass die Realität anders aussieht, ist klar, aber auch nicht unbedingt notwendig.

In meinen 15 Jahren aktiver und passiver Cluberfahrung, als Veranstalterin, DJ oder Gast, habe ich durchaus Orte gesehen, an denen diese utopischen Werte gelebt oder zumindest angestrebt werden. Und je näher an diesem Ideal, desto angenehmer die Events. Ich will am Samstagabend bei meinem Versuch, in eine andere Welt einzutauchen, keine fremde Hand an meinem Arsch haben, will mir von keinem besoffenen Mann erklären lassen, wie mein Übergang geklungen hat oder ob ich aussehe wie eine Schlampe beim Auflegen oder nicht (alles schon passiert). Und ich will mich als Frau im Club nicht ständig als Objekt, Dekoration oder »die Freundin von XY« fühlen müssen. Ich will nicht ständig nachgesagt bekommen, meine Bookings wären Ergebnis meiner Brüste, und ich will auch nicht ständig belehrt werden, von Männern, die alles besser zu wissen scheinen.

Auch im AU werden viele dieser Themen abgehandelt, und auch hier sind es vor allem ewig gleiche Line-ups, sexuelle Belästigung im Club und der enge Fokus vieler Veranstaltungen, die dazu motiviert haben und nach wie vor motivieren, alternative Zugänge zu finden. Electric Indigo und Aiko Okamoto (female:pressure), Hannah Christ (Scheitern, Utopia 3000, femdex), Marlene Engel (Bliss, Hyperreality), Susi Rogenhofer (Gemeindebautöne, Dub Club Vienna), Hicran Ergen (Gravité) sowie Dacid Go8lin (FEMME DMC) gaben Einblick in ihre persönlichen Strategien, unsere Clubkultur nachhaltig zu verändern und egalitärere Strukturen einzufordern. Während die einen vor allem darauf setzen, Neues entstehen zu lassen, abseits etablierter Institutionen, versuchen andere, eben diese umzukrempeln. Was effektiver ist, spielt keine Rolle, sondern vor allem: Dass es passieren muss, dass wir endlich aufhören müssen, Mythen um technisch wenig begabte weibliche DJs zu wiederholen oder so zu tun, als gäbe keine Schieflagen, die irgendetwas mit Geschlecht, Herkunft oder Ressourcen zu tun haben könnten. Und bis wir diese Diskussion nicht mehr führen müssen, werden wir solidarisch und kompromisslos weiter das machen, was wir am besten tun: diversere Line-ups einfordern, selbst zeigen, wie’s funktioniert und Normcore-Events boykottieren.

Therese Kaiser ist Co-Geschäftsführerin des feministischen Business Riot Festivals sowie Geschäftsführerin des Konzeptbüros Kathe und ist als thereseterror auf Instagram anzutreffen. Für unserer Kolumne »Gender Gap« beschäftigt sie sich mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus.

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