Gender Gap: Tote Hose

Die Diskussion um Quoten für Musikfestivals bleibt an der Oberfläche hängen: ein Plädoyer für eine Auseinandersetzung abseits des Bullshit-Bingos.

© Wurlidaps

Mittlerweile ein Klassiker der Festivalsaison: Streicht man die Namen aller männlichen Künstler von den Plakaten der großen Festivals, so wird deutlich, dass nur ein geringer Prozentsatz der gebuchten Acts weiblich ist. Soweit nichts Neues, und auch die leeren Line-ups schockieren nach der fünften Variante der Gender-Gap-Visualisierung niemanden mehr. Trotzdem ein Meilenstein, wenn es darum geht, im Diskurs rund um Sichtbarkeit von Frauen in der Musikbranche zumindest einen statistischen Konsens darüber zu etablieren, dass die Abwesenheit von Frauen auf Festivalbühnen keine paranoid-feministische Einbildung ist. Wesentlich dazu beigetragen haben nicht nur die Visualisierung von Festivalplakaten nach Geschlecht, sondern auch der Facts Survey, der von Female:Pressure in der Letztversion 2017 veröffentlicht wurde.

Nun haben wir also endlich Zahlen zum Bauchgefühl, und man möchte meinen, dass das Grund genug wäre, hier gegenzusteuern. Denn es ist uns ja allen ein Anliegen, für Geschlechtergerechtigkeit einzutreten, oder nicht? Im Standard betonte der Veranstalter des Nova Rock erst kürzlich, dass es starke Headliner brauche, um genug Tickets zu verkaufen. Man könne auch keine weiblichen Stars erfinden, es gäbe einfach nicht so viele, aber generell wäre das natürlich ein wichtiges Thema.

Es ist fast schon etwas gemein, jemanden aus zweiter Quelle zu zitieren, der sich zumindest getraut hat, öffentlich Stellung zu beziehen. Um das nicht abzustrafen, sei dieses Zitat viel mehr als Beispiel für den üblichen Sprech männlicher Veranstalter herangezogen, die vielleicht tatsächlich der Meinung sind, es gäbe keine Frauen, oder mit Frauen ließe sich kein Festival ausverkaufen, oder es würde sich hierbei nicht um eine riesige Industrie handeln, die natürlich ihre Stars selbst erfindet. Und dabei sind Veranstalter ja nur ein Teil dieser Industrie, und oftmals der Spiegel dessen, was auf Labelseite passiert. Es ist eigentlich auch vollkommen egal, was man von sehr kommerziell angelegten Musikveranstaltungen hält, wie sehr man sowieso eher auf nicht-kommerzielle Festivals setzt (wo sich übrigens sowieso meist dasselbe Bild zeichnet wie bei den gewinnorientierten): Diese Festivals werden von Tausenden jungen Menschen besucht, die oftmals ohne viel reflektierter Auseinandersetzung einer heteronormativen Würschtelparty ausgeliefert sind, die festgefahrene, schädliche Geschlechterrollen weiter zementieren. Grund genug, sich vielleicht intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Ob Absicht oder nicht, gerade das Betonen der wirtschaftlichen Notwendigkeit männlicher Acts ist paternalistische Argumentationstaktik par excellence: Wer solche Line-ups kritisiert, würde eben nicht verstehen, wie kommerziell orientierte Veranstaltungen funktionieren würden. Dabei ist die Sache mit der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung eigentlich nicht sonderlich komplex, zumindest in der Theorie nicht, und wer auch in der Praxis darauf angewiesen ist, der sollte sich durchaus auch mal die Frage stellen, wie sich Festivals finanzieren, die sich trauen, abseits des Malestreams zu buchen. Nämlich nicht durch Luft und Liebe, sondern vielleicht könnte es wirklich möglich sein, dass es Leute gibt, die für weibliche Acts ebenfalls gerne Geld ausgeben. Oder das zum Ticketverkauf weit mehr dazugehört als die Headliner: Das Ganze nennt sich unter anderem gutes Marketing. Und dass Festivals mehr sein können als die Summe der Bands, die spielen, wäre ebenfalls ein extrem progressives Gedankenexperiment. Ist man Teil der Industrie, dann kann man sie durchaus mitprägen – wenn man die Eier dazu hat. Es mag schon sein, dass Bands, die seit 20 Jahren Stadien füllen, eine safe bet sind, um genug Tickets zu verkaufen. Dass es sich bei diesen Bands fast ausschließlich um Männer handelt, ist aber kein Zufall, sondern unter anderem auch das Ergebnis der Festivalprogrammierung der letzten 20 Jahre. Es ist immer besser, geduldig und diplomatisch zu agieren, wenn es darum geht, Allianzen in Sachen Geschlechtergerechtigkeit zu schmieden. Aber für dumm verkaufen muss frau sich nicht lassen. 90% Männer spielen zu lassen, ist keine wirtschaftliche Notwendigkeit, sondern eine aktive Entscheidung, der genauso aktiv entgegengewirkt werden kann.

Dass es auch anders geht, das zeigen Festivals wie das CTM (ehemals Club Transmediale), das den Anteil weiblicher Künstlerinnen von 10% (2013) auf 43% (2017) erhöhte, und immer noch Tickets verkauft. Auch das Sónar verzeichnete 2013 noch 3,1% female artists und bewegt sich vor allem in den letzten drei Jahren mit Riesenschritten in Richtung Geschlechterparität – und konnte trotz der ganzen female acts 2018 mit 126.000 BesucherInnen neue Rekorde verzeichnen. Festivals können selbst ihren Teil dazu beitragen, das Geschlechterverhältnis in Line-ups zu verändern – und das zwar nicht von heute auf morgen –, aber mit kritischem Blick auf die Funktionsmechanismen der eigenen Industrie und ehrlicher Bereitschaft würden uns wohl auch hierzulande nur wenige Jahre von 50-50 trennen.

Disclaimer: Der Titel dieser Kolumne entstammt dem genialen Hirn des Bürgerkurators.

Therese Kaiser ist Co-Geschäftsführerin des feministischen Business Riot Festivals sowie Geschäftsführerin des Konzeptbüros Kathe und als thereseterror auf Instagram anzutreffen. Für unserer Kolumne »Gender Gap« beschäftigt sie sich mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus.

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