Corona-Aftermath in der Kulturbranche: Was uns vom Krisenjahr bleiben wird – und was nicht

Wie lange die Pandemie noch dauern wird, ist nach wie vor unklar. Dass uns davon einiges bleiben wird, relativ sicher. Ein Versuch, die Frage nach dem Was zu beantworten.

© Marlene Mautner

Knapp ein Jahr ist es nun her, dass in Österreich der erste Lockdown ausgerufen wurde. Vorbote dafür waren die Ankündigung von Besucher*innenobergrenzen für Veranstaltungen. Direkt danach: die komplette Absage von Events und Schließung von Kultureinrichtungen. Die ehemalige Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek musste wegen des Drucks der Szene 63 Tage nach Beginn des ersten Lockdowns zurücktreten. »Wir waren die ersten, die zusperren mussten, und sind die letzten, die wieder aufsperren dürfen«, lauten seither die Klageschreie eines am Boden liegenden Kulturbetriebs rund um Spielstätten, Verlage, Labels, Bookingagenturen und Künstler*innen.

In dieser Zeit hat sich mehr denn je gezeigt, wie komplex die einzelnen Branchen, Szenen und Firmen der Kunst- und Kulturwirtschaft miteinander vernetzt sind und wie sich diese wiederum im Kontext des alltäglichen Zusammenlebens gegenseitig bedingen und beeinflussen: Ohne Kulturbetrieb bricht beispielsweise der Tourismus ein und so weiter. Der Blick darauf war im Fahrwasser des Alltags – im Trott der alten Normalität sozusagen – getrübt. Nach einem Jahr der Pandemie scheint es aber nicht weniger, sondern mehr Fragezeichen zu geben. Sowohl im Umgang mit dem Virus an sich als auch in der Frage nach der Rolle des Kulturbetriebs in dieser globalen Krise. Das hat nicht zuletzt auch eine Diskussion um die Systemrelevanz von Kunst und Kultur losgetreten. Was können, wollen beziehungsweise sollten wir uns leisten, wenn es um Theater, Museen, Musikfestivals, Kinos und Konsorten geht?

The show must go on. Es ist Branchenkonsens, dass es weitergehen muss, und die Akteur*innen des Kunst- und Kulturbetriebs sind nicht selten bereits krisenerprobt, durch allgemein prekäre Verhältnisse geübt im kreativen Umgang mit größeren und kleineren Katastrophen. Mit Dutzenden von ihnen haben wir gesprochen und gefragt, was von der Pandemie bleiben wird – und was nicht. Mit steigender Anzahl an Interviews kristallisierten sich so einige Entwicklungen heraus, die von der Branche erlebt, befürchtet und teilweise auch freudig erwartet werden. Die daraus abgeleiteten (und die Krise nicht in vollem Umfang behandelnden) Thesen stehen zwar in sich als geschlossene Gedanken separat, wirken in der Praxis aber auch in gegenseitiger Abhängigkeit und Verstärkung.

These 1: Die Pandemie war Initialzündung für eine breite Digitalisierung des Kulturangebots, die aber nicht alle gleich verstehen.

Es dauerte nicht lange, bis sich die ersten abgesagten Kulturangebote in den digitalen Raum verschoben. Die ersten DJs streamten ihre Partys noch Mitte März aus dem Wohnzimmer, Filmpremieren wurden exklusiv per Video-on-Demand bewerkstelligt und Podiumsdiskussionen konnten ohne Beschränkung auf Plattformen wie Zoom stattfinden, deren Name bis dahin kaum jemandem bekannt war. Mit diesen neuen Möglichkeiten zeigten sich aber auch bald die ersten Probleme. Ob es eher Befindlichkeiten waren und diskutiert wurde, wie nervig Streams mittlerweile doch seien, oder ob Expert*innen Vorbehalte wegen des löchrigen Datenschutzes anmeldeten – die Bedenken, und damit auch die verschiedenen Lager, waren mannigfaltig.

Gezeigt hat sich jedenfalls, dass digitale Optionen, die bisher nicht bedacht wurden, den gesamten Kulturbetrieb zugänglicher machten. Veranstaltungen in architektonisch schwer zugänglichen Gebäuden könnten dadurch, natürlich unter Beachtung der Schwelle der Digitalisierung an sich, plötzlich barrierefrei(er) angeboten werden. Die neu gewonnenen Reichweiten sprengen die Kapazitäten aller Konzertlocations in Wien und beim Publikumsgespräch nach einer Premiere beispielsweise kann plötzlich auch die Regie auf mehreren Hochzeiten (lies: Bildschirmen) gleichzeitig tanzen.

Soweit zumindest die Theorie. Denn in der praktischen Anwendung ist der Publikumsgeschmack natürlich nicht auszuklammern. Nimmt die Fraktion der dem Streaming Abgeneigten zu, sinkt nämlich auch die Reichweite wieder und die Chance ist vertan. Analoge Konzepte mittels Kamera und Liveschnitt ins Netz zu schießen, reicht also bald nicht mehr.

Clubs, Konzerte, Ausstellungen, Messen und andere Events werden wohl weiterhin auch in Virtual-Reality-Manier verfolgt werden – sofern möglich. Denn Streaming ist in einem ansprechenden Gewand aufwendig und nicht billig. In bisherigen und sowieso schon knappen Kalkulationen von Kulturveranstaltungen findet das Konzept oft keinen Platz, was darauf hindeutet, dass auch hier die Gewinner*innen eher jene großen und etablierten Player beziehungsweise Institutionen sein werden, die im Spiel um die Aufmerksamkeit alleine durch höhere Finanzkraft längst die besseren Karten haben.

Außerdem ist die Digitalisierung nicht in allen Branchen eine Chance. Die auch vor der Krise schon teilweise angeschlagenen Kinos fürchten sich umfassend vor einer weiteren Raumnahme der Streaminganbieter, die der Filmindustrie zum immer bedrohlicher werdenden Verhängnis werden.

Die Corona-Krise verpasste so auch der ohnehin fortschreitenden Digitalisierung einen Schub. Daraus etwas möglichst Positives zu machen, ist Aufgabe der Szene und in weiterer Folge von den politischen Rahmenbedingungen abhängig.

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