Seit ich denken kann, war für mich klar, dass ich einen Mann heiraten und genau drei Kinder haben werde. Bestenfalls vor 20. In meiner Welt waren Frauen, die »erst« nach 30 ihr »Leben beginnen« Verliererinnen. So war es seit meiner Pubertät eine Priorität in meinem Leben, einen Ehemann zu finden. Vielmehr: gefunden und für würdig befunden zu werden, eine Ehefrau zu werden.
Es fällt mir nicht leicht, darüber offen zu sprechen, denn heute finde ich die damalige »Pick-Me-Girl«-Version von mir extrem abstoßend und peinlich. Aber am Ende wusste ich es nicht besser beziehungsweise wurde ich auch dazu erzogen, eines Tages eine folgsame Ehefrau zu sein. Man bringt schon kleinen Mädchen bei, dass Heirat und die Gründung einer Kernfamilie eine hohe Priorität im Leben haben. Erst ein Stück Metall an der Hand, von einem Mann auf Knien präsentiert, macht Mädchen in einigen Kulturen zur Frau. Auch anhand der Art, wie und was Mädchen spielen (sollen), meist Haushalt, Puppenmama und Ähnliches, lässt sich ein früher Einfluss auf das spätere Erwachsenenleben erkennen. Jungs dagegen dürfen toben, laut und dreckig sein. Jungs dürfen auch ein bisschen mit Puppen spielen, dennoch ist der Druck, ein brauchbarer Partner und Ehemann zu werden, wesentlich geringer.
Klare Vorstellung?
Zur patriarchalen Gehirnwäsche gehört auch, dass man sich Familie nur in der klassischen Hetero-Konstellation vorstellen kann. So habe ich nie wirklich hinterfragt, ob ich eigentlich überhaupt wirklich heterosexuell bin. Obwohl mein erster richtiger Kuss mit einem Mädchen stattfand und wir auch andere Dinge probiert haben, war es trotzdem für mich nie ein Thema, etwas anderes als hetero zu sein. Natürlich hat auch mein Umfeld dazu beigetragen. Regenbogenfamilien waren im tiefsten Oberbayern vor 30 Jahren nicht wirklich sichtbar. Und was man nicht kennt, vermisst man nicht.
Selbst mehrere Affären mit Mädels rüttelten nicht daran, denn Beziehungen hatte ich immer mit Männern. In meinem Kopf war es das einzige Lebensmodell, das ich mir vorstellen konnte und wollte. Die Überlegung, meiner Familie eine Partnerin vorzustellen, und die eventuellen Kommentare, die das Coming-out mit sich bringen würde, waren abschreckend genug, um diese Seite nur heimlich auszuleben. Innerlich ist es immer noch eine Hürde für mich, Frauen anzusprechen oder öffentlich Zuneigung zu zeigen. Die Hetero-Schablone hat mich tief geprägt.
Partner sucht Mutter
Der Prozess, mir einzugestehen, dass ich auf Männer und Frauen stehe, hat Jahrzehnte gedauert. Es öffentlich auszusprechen, war ein weiterer großer Schritt. Ich habe mich wie eine Schwerverbrecherin gefühlt. Als würde ich etwas Falsches tun. Mich jahrelang selbst in die Heterosexualität zu gaslighten, war bequemer. Und ich hab einen verdammt guten Job gemacht, mir einzureden, dass ich dieses Standard-1950er-Jahre-Leben wirklich für mich möchte. Heute kann ich zwar offen darüber reden, eine irrationale Sorge ist allerdings geblieben: Ich hinterfrage, ob ich überhaupt wirklich auf Männer stehe.
Denn, was ich mit absoluter Sicherheit sagen kann, ist, dass mich das »Konzept« Mann absolut abstößt. Aus der Erfahrung früherer Beziehungen habe ich viel darüber gelernt, was ich von meinen Partner*innen möchte und was nicht. Bestimmte Verhaltensmuster haben sich allerdings durch diese Beziehungen gezogen. Oft reden Frauen scherzhaft darüber, dass ihr Freund wie ein Kind sei. Und in der Tat gibt es Männer, die vermutlich eher eine Mutter als eine Partnerin brauchen. Diese gespielte Unfähigkeit ist allerdings nicht cute, sondern für mich abstoßend. Gerade wenn man so wie ich absolut gar keine Ambitionen mehr hat, jemals ein Kind zu gebären und großzuziehen. Auf Tiktok ist es ein Trend, sich als Heterofrau darüber zu beklagen, warum man nicht auf Frauen steht, denn auch sie haben keine Lust mehr. Auf der anderen Seite machen lesbische Frauen Scherze darüber, wie leicht Heterofrauen zu beeindrucken sind, weil die Messlatte dank Heteromännern im Keller liegt.
Wenn man sich auf den Dating-Apps umschaut, dann findet man viele Frauen, die Erfahrungen mit anderen Frauen suchen und sich ausprobieren möchten. Und sicher sind auch Männer experimentierfreudiger in Bezug auf ihre Sexualität geworden. Für mich ist es befreiend zu wissen, dass ich mein Leben so gestalten kann, wie ich es mir vorstelle. Ich muss nicht leben, wie es mir Jahrzehnte lang vorgelebt und beigebracht wurde. Kein dämliches oder abwertendes Kommentar über die Art, wie ich liebe und lebe, verschreckt mich mehr.
Wir verdanken diese Entfaltungsmöglichkeiten Menschen, die sich das Recht auf ihre Sexualität erkämpft haben und dafür teilweise sogar mit ihrem Leben bezahlt haben. Wir dürfen nie vergessen, dass der erste Pride-Marsch ein Aufstand war. Gleichzeitig gibt es immer noch Orte auf diesem Planeten, wo auf Queerness die Todesstrafe steht. Vergessen wir auch diese Menschen nicht. In diesem Sinne: Happy Pride Month!
Imoan Kinshasa ist per Mail unter kinshasa@thegap.at sowie auf Twitter unter @imoankinshasaa zu erreichen.