Gender Gap: Bin ich wirklich hetero oder ist das nur eine Phase?

Seit ich denken kann, war für mich klar, dass ich einen Mann heiraten und genau drei Kinder haben werde. Bestenfalls vor 20. In meiner Welt waren Frauen, die »erst« nach 30 ihr »Leben beginnen« Verliererinnen. So war es seit meiner Pubertät eine Priorität in meinem Leben, einen Ehemann zu finden. Vielmehr: gefunden und für würdig befunden zu werden, eine Ehefrau zu werden.

© Roman Strazanec

Es fällt mir nicht leicht, darüber offen zu sprechen, denn heute finde ich die damalige »Pick-Me-Girl«-Version von mir extrem abstoßend und peinlich. Aber am Ende wusste ich es nicht besser beziehungs­weise wurde ich auch dazu erzogen, eines Tages eine folgsame Ehefrau zu sein. Man bringt schon kleinen Mädchen bei, dass Heirat und die Gründung einer Kern­familie eine hohe Priorität im Leben haben. Erst ein Stück Metall an der Hand, von einem Mann auf Knien präsentiert, macht Mädchen in einigen Kulturen zur Frau. Auch anhand der Art, wie und was Mädchen spielen (sollen), meist Haushalt, Puppen­mama und Ähnliches, lässt sich ein früher Einfluss auf das spätere Erwachsenen­leben erkennen. Jungs dagegen dürfen toben, laut und dreckig sein. Jungs dürfen auch ein bisschen mit Puppen spielen, dennoch ist der Druck, ein brauch­barer Partner und Ehemann zu werden, wesent­lich geringer.

Klare Vorstellung?

Zur patriarchalen Gehirn­wäsche gehört auch, dass man sich Familie nur in der klassischen Hetero-Konstellation vorstellen kann. So habe ich nie wirklich hinterfragt, ob ich eigentlich überhaupt wirklich hetero­sexuell bin. Obwohl mein erster richtiger Kuss mit einem Mädchen stattfand und wir auch andere Dinge probiert haben, war es trotzdem für mich nie ein Thema, etwas anderes als hetero zu sein. Natürlich hat auch mein Umfeld dazu beigetragen. Regenbogen­familien waren im tiefsten Ober­bayern vor 30 Jahren nicht wirklich sichtbar. Und was man nicht kennt, vermisst man nicht.

Selbst mehrere Affären mit Mädels rüttelten nicht daran, denn Beziehungen hatte ich immer mit Männern. In meinem Kopf war es das einzige Lebens­modell, das ich mir vorstellen konnte und wollte. Die Überlegung, meiner Familie eine Partnerin vorzustellen, und die eventuellen Kommentare, die das Coming-out mit sich bringen würde, waren abschreckend genug, um diese Seite nur heimlich auszuleben. Innerlich ist es immer noch eine Hürde für mich, Frauen anzu­sprechen oder öffentlich Zuneigung zu zeigen. Die Hetero-Schablone hat mich tief geprägt.

Partner sucht Mutter

Der Prozess, mir einzu­gestehen, dass ich auf Männer und Frauen stehe, hat Jahr­zehnte gedauert. Es öffentlich auszusprechen, war ein weiterer großer Schritt. Ich habe mich wie eine Schwer­verbrecherin gefühlt. Als würde ich etwas Falsches tun. Mich jahrelang selbst in die Hetero­sexualität zu gaslighten, war bequemer. Und ich hab einen verdammt guten Job gemacht, mir einzureden, dass ich dieses Standard-1950er-Jahre-Leben wirklich für mich möchte. Heute kann ich zwar offen darüber reden, eine irrationale Sorge ist allerdings geblieben: Ich hinterfrage, ob ich überhaupt wirklich auf Männer stehe.

Denn, was ich mit absoluter Sicherheit sagen kann, ist, dass mich das »Konzept« Mann absolut abstößt. Aus der Erfahrung früherer Beziehungen habe ich viel darüber gelernt, was ich von meinen Partner*innen möchte und was nicht. Bestimmte Verhaltens­muster haben sich allerdings durch diese Beziehungen gezogen. Oft reden Frauen scherz­haft darüber, dass ihr Freund wie ein Kind sei. Und in der Tat gibt es Männer, die vermutlich eher eine Mutter als eine Partnerin brauchen. Diese gespielte Unfähigkeit ist allerdings nicht cute, sondern für mich abstoßend. Gerade wenn man so wie ich absolut gar keine Ambitionen mehr hat, jemals ein Kind zu gebären und groß­zuziehen. Auf Tiktok ist es ein Trend, sich als Hetero­frau darüber zu beklagen, warum man nicht auf Frauen steht, denn auch sie haben keine Lust mehr. Auf der anderen Seite machen lesbische Frauen Scherze darüber, wie leicht Hetero­frauen zu beein­drucken sind, weil die Messlatte dank Hetero­männern im Keller liegt.

Wenn man sich auf den Dating-Apps umschaut, dann findet man viele Frauen, die Erfahrungen mit anderen Frauen suchen und sich aus­probieren möchten. Und sicher sind auch Männer experimentier­freudiger in Bezug auf ihre Sexualität geworden. Für mich ist es befreiend zu wissen, dass ich mein Leben so gestalten kann, wie ich es mir vorstelle. Ich muss nicht leben, wie es mir Jahrzehnte lang vor­gelebt und bei­gebracht wurde. Kein dämliches oder abwertendes Kommentar über die Art, wie ich liebe und lebe, verschreckt mich mehr.

Wir verdanken diese Entfaltungs­möglichkeiten Menschen, die sich das Recht auf ihre Sexualität erkämpft haben und dafür teilweise sogar mit ihrem Leben bezahlt haben. Wir dürfen nie vergessen, dass der erste Pride-Marsch ein Aufstand war. Gleich­zeitig gibt es immer noch Orte auf diesem Planeten, wo auf Queerness die Todes­strafe steht. Vergessen wir auch diese Menschen nicht. In diesem Sinne: Happy Pride Month!

Imoan Kinshasa ist per Mail unter kinshasa@thegap.at sowie auf Twitter unter @imoankinshasaa zu erreichen.

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