Imoan Kinshasa beschäftigt sich hier mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus. Diesmal mit der Infantilisierung – also der Verkindlichung – von FLINTA.
Vorab: In diesem Text geht es nicht um die Debatte, welche Geschlechtsorgane eine Frau ausmachen oder nicht. Transfrauen sind Frauen. Punkt. Diese Kolumne blickt hinter die Infantilisierung – also die Verkindlichung – von FLINTA. Infantilisierung bedeutet, dass eine erwachsene Person wie ein Kind behandelt wird. Besonders häufig behandelt die Gesellschaft Frauen, als wären sie geistig auf dem Stand eines Schulkindes. Meistens wird diese Taktik von Männern angewandt, um Frauen die Mündigkeit abzusprechen.
Die Infantilisierung von Frauen ist ein gut durchdachtes Konzept des Patriarchats. Es ist wie Schrödingers Katze. Mal ist die Frau ein Kind, das väterlich beschützt werden muss, aber gleichzeitig scherzen viel zu viele Frauen darüber, dass ihr Partner ein zusätzliches Kind sei, das sie versorgen müssten. Andererseits gibt’s viel zu viele Väter, die selbst sagen, sie wären aufgeschmissen ohne ihre Frauen. Das bisschen Haushalt macht sich halt doch nicht von allein, wenn man dann damit konfrontiert wird.
Als ich 16 war, erklärte mir ein gleichaltriger Schulkollege, dass ich noch lange keine Frau sein werde, denn seiner Meinung nach seien Frauen weit über 20 Jahre alt. Diese Selbstverständlichkeit, mit der er mir die Welt erklärte, haben wir heute als Mansplaining durchschaut. Als ich dann 29 war, war ein Herr fest davon überzeugt, dass »Mäderl« die richtige Ansprache für mich sei. Denn seine Tochter in meinem Alter sei für ihn schließlich auch noch keine richtige Frau.
Kein Mädchen
Dauernd wird mir gesagt, dass ich eh noch so jung sei, während ich schon dezent Panik schiebe, weil die Zeit nur so davonrinnt. Biologisch gesehen bin ich schon wieder auf dem absteigenden Ast meiner Fruchtbarkeit. Klar habe ich vermutlich erst ein Drittel meines Lebens gelebt. Trotzdem merke ich: Ich bin einfach keine 18 mehr. Bisher habe ich mir darüber nie Gedanken gemacht, wann ich vom Mädchen zur Frau geworden bin. Jetzt, da ich diesen Text schreibe, nehme ich mir erstmals viel Zeit, darüber nachzudenken.
Bis vor nicht allzu langer Zeit war es mir egal, als Mädchen angesprochen zu werden. Aber ich bin wohl eines Tages aufgewacht und hab genug davon gehabt, wie ein Kind behandelt zu werden. Seit diesem Tag lehne ich es konsequent ab, so angesprochen zu werden. Vermutlich begann ich in diesem Moment, mich bewusst als Frau zu identifizieren. Aber wann ist man jetzt wirklich eine Frau? Gibt es ein lebensveränderndes Event, dass das Frausein markiert? In manchen Kulturen gilt man ab der ersten Menstruation als Frau, in anderen muss man verheiratet sein. In manchen beides. In anderen ist es das Alter oder ein bestandenes Ritual. Im deutschsprachigen Raum markierte man unverheiratete Frauen mit der Bezeichnung »Fräulein«. Denn wer keinen Mann hat, ist halt keine ganze, echte Frau. Als wäre das ein Titel, der verliehen werden muss, den man sich verdienen muss.
Geschlecht ist fluid
Generell ist das Frausein immer irgendwo an die Fähigkeit, Kinder zu bekommen, gebunden und etwas Fremdbestimmtes.
Allerdings spricht man einer schwangeren Frau dann auch gerne wieder die Mündigkeit ab, weil – eh schon wissen – die Hormone machen ja unzurechnungsfähig. Wenn das Kind dann da ist, dann ist die Gute erst nicht zurechnungsfähig, weil sie ja jetzt nur noch das Kind im Kopf hat.
Es scheint, als gäbe es für Frauen keinen Zeitpunkt, an dem man sie als mündige, erwachsene Menschen wahrnimmt und behandelt. Denn sobald man als Frau ins gehobene Alter eintritt, ist man auch nicht mehr zurechnungsfähig. So hat man vermutlich zwei gute Tage im Leben zwischen erster Periode und Menopause, an denen Frau als zurechnungsfähige erwachsene Person wahrgenommen wird. Mir fällt auf, dass mir ständig erklärt wird, wie ich meinen Job zu machen habe. Meinen Kollegen nicht. Ungefragtes Feedback und gut gemeinte Ratschläge bekomme ich ständig.
Es ist anstrengend, wenn einem nichts zugetraut wird. Wenn man ständig Dinge erklärt bekommt, die man besser weiß als der Erklärer. Frau muss beweisen, dass sie was draufhat. Und weil wir gerade beim Erklären sind: Da wird sicher jemandem das Argument in den Kopf schießen, dass Frauen sich gegenseitig auch als »Mädels« bezeichnen. Ja. Aber sie bezeichnen sich selbst so und da liegt der Unterschied. Es steht jeder Frau frei zu wählen, ob sie sich so nennen lassen will und von wem.
Das Frausein ist etwas nicht Greifbares. Es ist mehr ein fluides Konzept als etwas, das man in Stein meißeln könnte. Wer oder was Frauen sind, hat sich über die Zeit verändert und wird niemals vollends feststehen. Man kann nicht pauschal sagen, wo es beginnt und wo es endet. Ein wichtiges Schlagwort dazu ist die Selbstbestimmung. Wir bestimmen nun selbst, wer wir sind. Im Gegensatz zur Vergangenheit, wo es nur genau eine Art und Weise gab, Frau zu sein, haben viele große und kleine Kämpfe für mehr Frauenrechte den Grundstein für das Hier und Jetzt gelegt.
Leider haben wir auch wieder einen riesigen Schritt zurück gemacht. Die USA haben gebärfähigen Menschen das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper genommen. In vielen Bundesstaaten sind Abtreibungen verboten und unter Strafe gestellt worden. Selbst wenn dies das Leben der gebärenden Person gefährdet. Diese Entscheidung hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Betroffenen. Auch hierzulande wird Menschen die Mündigkeit abgesprochen, über ihren eigenen Körper zu bestimmen. Im christlich-konservativen Österreich haben nicht alle einen niederschwelligen Zugang zu sicheren Abtreibungen. In einigen Regionen gibt es nur einzelne Einrichtungen oder gar keine medizinische Versorgung in dieser Richtung.
Imoan Kinshasa ist per Mail unter kinshasa@thegap.at sowie auf Twitter unter @imoankinshasaa zu erreichen.