1,125,476 lautet die Nummer des US-Patents von 1915 für die erste Neonröhre. Jetzt ist Neon wieder hip.
Die »Springbreakers« in Harmony Korines zuckersüß verkokster Parteinahme für geile Kaputtheit sind nicht nur Flüchtlinge vor dem öden Schulalltag. Die halluzinatorischen und manchmal fast sympathisch hippiemäßigen Träume von neuen, irgendwie auch zarten Gefühlen im hypersexuellen und knallharten Popkulturthemenpark Miami sind von den Neonfarben Rosa, Gelb und Blau umschmeichelt.
Neonlicht soll wieder die Hipstermotten anlocken. »The Great Gatsby« stellt den rappelvollen Times Square der 1920er Jahre als glitzernden und blinkenden Las Vegas-Strip 2.0 nach. Das schwedische Duo Icona Pop schiebt den überdrehten Electropunk-Knaller »I Love It« auf der US-Tour mit einem Neonlicht-Altar im Hintergrund und neongeschminkten Lippen bei TV-Auftritten gehörig an. In einem Artikel für das Magazin i>Slate noch einige andere Belegstücke für die Renaissance von Neon in der aktuellen Bilderwelt auf.
Zum Beispiel das zuckende Video »Monomania« aus dem gleichnamigen aktuellen Deerhunter-Album. Oder den Trailer zu Nicholas Winding Refns Nachfolger zu »Drive« namens »Only God Forgives« im mittlerweile von ihm gut gepflegten »Neon-Noir-Style« (Jessica Kiang), der sich an die regennassen Neonlicht-Spiegelungen im 1970er New York in Martin Scorseses urbanem Entfremdungsklassiker »Taxi Driver« andocken lässt. Auch »Enter the Void« von 2009, der pulsierende Neon-Trip vom nächtlichen Tokio in das Schneckenhaus der eigenen Seele von Refn-Spezi Gaspar Noé stand hier offensichtlich Pate.
Volkskunst Neon
Überhaupt die Trailer und die Schriften zu aktuellen Filmen und Videos! Es scheint, als hätten alle die »Neon Bible«, wie Arcade Fire ihr zweites Album 2007 nannten, brav gelesen – sogar manche Innenarchitekten von Wiener Bars und Restaurants (von der »China Bar« bis zum »Neon-Restaurant«). Auch Foto-Apps wie »Neon Motion Life« oder »Neon Mania« zaubern digitale Heiligenscheine auf die Motive der Retrofashionistas. Sie überbieten den eskapistischen Charakter von Neonlicht, indem sie auch die Grenze zwischen analogen und digitale Bildeffekten vernebeln.
»Neonlicht« heißt ein romantisches Stück von Kraftwerk aus dem Jahr 1978. Schon damals hatte der Song einen nostalgischen Beigschmack. Er kokettierte mit einem Versprechen von Coolness, wie es Hollywood mit ins flackernde Licht gesetzten Hotelzimmern in das Hirn der Boheme gebrannt hatte. Schon damals waren die Lichtskulpturen freilich Chimären aus dem Neonwesten, wie der kalifornische Urbanist Mike Davis die phantasmatische Welt der US-amerikanischen Städte in seinem Buch »Casino Zombies« nannte.
Tom Wolfe feierte in einer Reportage über Las Vegas schon 1964 den sensorischen Overkill bei Nacht. Euphorisiert schilderte er den »unglaublichen Spießrutenlauf aus elektrischen Zeichen auf dem Las Vegas-Strip, wo Neon und die Parabollampen – blubbernd, in Spiralen aufsteigend, raketengleich aufjagend, zehn Stockwerke hoch in Sonneneruptionen explodierend bis weit hinaus in die Mitte der Wüste – einstöckige Kasinos verherrlichen.« Die goldenen Zeiten des hauptsächlich für Werbezwecke genutzten Gasröhren waren die 1950er und 1960er Jahre. Eine Zeit, in der die Billboards noch verführerisch in der Wüste leuchteten und man weder Umweltschützer noch Energieprobleme noch LED-Anzeigen kannte.
Der Neon-Fan Rudi Stern bezeichnete in seinem Standardwerk »Let There Be Neon« 1996 Neon als die dynamischte amerikanische Volkskunst. Neon kündete, noch vor der Entdeckung durch Künstler wie Bruce Nauman, Lucio Fontana oder Dan Flavin (dessen Neonlichtskulpturen unlängst im Mumok ausgestellt waren), signalhaft von Freiheit, Konsum und Modernität. Was im Fall von Las Vegas eigentlich auf das Gleiche hinauslief. Die Architekten Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour empfahlen in ihrer Postmoderne-Bibel, von Las Vegas zu lernen. »Learning From Las Vegas« erschien 1972 und suhlte sich in der pompösen Glamour-Architektur des Strips. Die Aufmerksamkeitsökonomie lenkte damals vor allem das Neonlicht – es war effektvoll und doch relativ einfach zu inszenieren. Der Film nutzte diese Schauwerte des Leuchtgases seit jeher. Daher ist es nur folgerichtig, wenn der Schriftzug des Wiener Filmcasinos mit der Neon-Nostalgie spielt.
Blue Box
Der Neon-Affionado Dusty Sprengnagel ist Geschäftsführer der Wiener Firma Neon-Line. In seinem Geschäft lagern abstrakte Neonskulpturen neben Werbetafeln aus den 1950er Jahren. Sprengnagel stieg 1984 in das Geschäft ein. Damals eröffnete im 7. Bezirk auch die als New Wave-Lokal konzipierte Blue Box, selbstverständlich mit Neonschild. Doch der Geist einer Zeit, in der Bands »Neonbabies« hießen, hielt wesentlich kürzer durch als eine Neonröhre. Anfang der 1990er Jahre gab es laut Sprengnagel in der Stadt nochmals einen kleinen Boom – nämlich in den Rotlichtbezirken, besonders am Gürtel. Das war’s dann aber auch.
Auch Las Vegas setzte in den letzten Jahren eher auf digital ausgeklügelte (nicht zuletzt auch die Effekte von Neon simulierende) Lichtarchitektur als auf originalen Neon-Barock. Und es ist wohl nicht sehr wahrscheinlich, dass sich die Hipsterfreude an dem von vielen als kalt empfundenen Gaslicht nochmals in einen breitenwirksamen Trend verwandeln wird können. Schließlich soll der Alltag heute bio und nicht künstlich, sparsam und nicht verschwenderisch sein. Und der 90er-Jahre-Techno in neonfarbenen Outfits wird so wohl auch nicht wiederkommen.
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