Die Fotografen Gigi Ben Artzi und Loral Amir haben drogenabhängige Prostituierte in Russland fotografiert. In Designerklamotten.
Der Grad zwischen Provokation und Geschmacklosigkeit ist ein sehr sehr schmaler. Spätestens seit Lady Gaga weiß das jeder Trottel. Wenn dann noch eine soziale Komponente hinzukommt, ist die Sachlage nicht mehr ganz so einfach. Und wenn der erste "ethisch vertretbar?" fragt, weißt du, dass harter Stoff kommt. Im Falle von "Downtown Divas" trifft das sogar wörtlich zu. Wochenlang haben Gigi Ben Artzi und Loral Amir Prostituierte in einer nicht näher definierten russischen Stadt aufgegabelt. Aber nicht um das zu machen, was man normalerweise für Geld mit ihnen machen kann: Die jungen Künstler starteten ein sehr kontroverses Fotoprojekt.
I dream mostly of rainbows
Glasige Blicke, fahle Haut, abgemagert bis auf die Knochen, aber in Miu Miu, Louis Vuitton und Acne: Wer sich an dieser Stelle fragt, wie jemand auf so eine ausbeuterische Idee kommt, für den haben wir eine gute Nachricht, ja, du hast noch Menschlichkeit in dir. Denn ausgebeutet werden diese Frauen ja tagtäglich – von Freiern, von Drogen. Ist "Downtown Divas" also misogyner Mist oder spitzt es einfach nur zu, was tagtäglich passiert und niemanden interessiert?
Neben der Fotostrecke haben die beiden Künstler ein Video gedreht, in dem sie sich mit den Frauen unterhalten – über Kunst, übers Ausgehen und Verliebtsein, über Träume und Farben. Ein ziemlich bedrückender Kurzfilm, bei welchem man sich sekündlich zwischen Ekel und Faszination entscheiden muss. Die Künstler sagen zwar selbst in einem ausführlichen Interview, dass sie nie versucht haben, Drogen zu verherrlichen – einen Hauch von traurigem Glamour hat das Projekt durch die Verpackung der Damen trotzdem erhalten.
Heroin "chic"
In den Neunzigern tauchte der sogenannte "Heroin chic" in der Modewelt auf. Eigentlich sollte das irritieren, nicht begeistern. Warum also diese Aufregung, wenn man tatsächliche, drogenabhängige Frauen ablichtet, um nicht auf Couture, sondern auf die Menschen zu fokussieren? Nebenbei hat High Fashion für die Frauen vermutlich keine Bedeutung, sie befinden sich auf einer ganz anderen Stufe der Maslow’schen Bedürfnispyramide.
Geht es nun darum, diese Frauen als Gegenstand eines Kunstprojekts zu sehen, als Stilbruch und erschreckendes Pendant zu den fancy Designerklamotten? Als Kontrast? Hier treffen zwei komplett unterschiedliche Welten aufeinander, die auf den ersten Blick nichts miteinander gemein haben. Aber ist es nicht so, dass Wohlstand, Eleganz und das ein oder andere Suchtproblem auch Seite an Seite front row in diversen Modenschauen sitzen? Das eine schließt das andere eben nicht aus. Das Projekt zeigt, oder will zeigen, dass Stigmatisierung und Heroin – egal in welchem Kontext und in welcher Welt – eben nicht chic sind.
Welcome to Junkietown
Leicht kann man Wort dafür finden wie "scheinheilig, geschmacklos, ausbeuterisch", aber warum? Weil es an Perversion grenzt, ein leichtes Mädchen, das völlig drauf ist, zu filmen wie es über Liebe spricht? Zu fordern, dass sich die Damen bitte wieder nach Junkietown verziehen sollten, weil wir sie in diesem Kontext nicht sehen möchten, ist wohl alles andere als politisch korrekt. Es bleibt offen, ob es hier um eine ziemliche Geschmacklosigkeit handelt oder einen Genie-Streich.
Less judging
Abstoßende und unverständliche Kunstprojekte wie dieses können irritierend sein. Sie können einen entweder dazu bringen, die eigenen Werte und Grenzen zu hinterfragen oder diese noch mehr zu verteidigen. "Heuchlerische Scheiße", werden wohl einige sagen. Ja, mag sein – resozialisieren wird man die Frauen durch ein paar Minuten vor der Linse in Louis Vuitton nicht. Aber man kann zumindest versuchen, ihnen ein paar Zugeständnisse zu machen. Aber so genau wissen wir das eigentlich auch nicht.
Autorin Sinah Edhofer hält zwar nicht so viel von Spliff oder Heroin, dafür umso mehr vom Blick über den Tellerrand und fotografischer Freiheit.