Der Held der österreichischen Noise-Szene hat ein neues Mile Me Deaf-Album gemacht, das so ganz anders ist als seine Vorgänger. Über Samples und Zukunftsvisionen – Wolfgang Möstl im prophetischen Interview.
Sein Mittelfinger ist so verformt, dass er einem auch aufgefallen wäre, wenn Wolfgang Möstl nicht die Geschichte dazu erzählen würde. Aber er erzählt sie gerne, seitlich am Fenster lehnend, neben sich einen Schwarztee. Ohne zu wissen, wie genau, hat er sich den Finger eines nachts auf Tour gebrochen, unbeeindruckt dessen aber eine Woche lang weiter jeden Tag Konzerte gespielt. Eine Woche lang Mile Me Deaf Riffs mit schräg liegendem Knochen. Der Möstl hat halt Prioritäten.
Nachdem die Diagnose klar war, hatte sich das Gitarre-Spielen allerdings erst mal erledigt. Also fand Wolfgang Möstl schnell eine Alternative fürs Schreiben von Mile Me Deaf Songs: Den Sampler. Auf dem neuen Album „Alien Age“ ist er der Formgeber. Möstl hat so ziemlich alles gesamplet, was ihm in die (nicht gebrochenen) Finger gekommen ist – Traktoren, Geistergeheule, den Russich-Sprachkurs. Das lyrische Sujet ist dabei die Ausrottung der Menschheit. Uns hat er verraten, was er für die Zukunft voraussagt, für welche Frühwerke er sich heute ein bisschen schämt und welchen Hype er schon vorher erahnt hat.
Du bist ja schon auch dafür bekannt, viel crazy Gewand zu haben. Was ist der weirdeste Pulli, den du hast?
Den hab ich lustigerweise gerade vorher ausgezogen. Der mysteriöseste, den ich hab. Das ist ein Strickpullover, den ich mir letztes Jahr beim Rostfest in Eisenerz gekauft habe. Bei so einem Second Hand Laden, der einmal die Woche für zwei Stunden offen hat. Das war die beste Fundgrube von weirden, alten Sachen und da haben wir uns voll eingedeckt. Ich hab da einen Riesen-Müllsack voller Klamotten gekauft um fünf Euro. Und da war dieser Pulli dabei. Da sind ganz viele Wappen drauf und man weiß nicht, was das für welche sind. Wir haben es mit der Piktogramm-Suche bei Google versucht und mit verschiedenen Geografie- und GeschichtsstudentInnen, die es aber auch nicht gewusst haben. Ein ongoing Rätsel quasi.
Das Cover zum neuen Mile Me Deaf Album „Alien Age“ ist ja ein Stereogram. Und ich habe echt versucht, so drauf zu schauen, dass die zweite Ebene zum Vorschein kommt, habe aber nichts erkannt…
Es soll ein Totenkopf sein. Aber es schaut eher aus wie ein ganz komisch verformtes Menschengesicht. Oder, wenn man will, wie ein Alien. So eine klassische Alien-Darstellung von früher.
Auf einem der Stereogramme auf der Rückseite sehe ich nur ein Rechteck.
Moment. (nimmt die CD und hält sie dicht vors Gesicht) Das ist eine Tür und auf der Seite schaut was raus. Das ist der Krampus. Also eine gehörnte Figur.
Ah, jetzt macht alles Sinn. Du hast ja wirklich sehr random Samples für das neue Album ausgewählt. Wie hast du die gefunden?
Das sind so Sachen, die ich einfach über die letzten zwei, drei Jahre zusammen gesammelt hab. Immer wenn wir irgendwo auf Tour waren, hab ich mir die Second Hand Läden ausgecheckt und Unmengen an Kassetten gekauft und die unterwegs mit dem Walkman angehört. Das Sample auf Switzerdütsch zum Beispiel habe ich gefunden, als wir vor einem Jahr in Baden beim One Of A Million Festival gespielt haben. Ich finde das einfach spannend, von überall Zeitdokumente zusammen zu tragen. Und es ist auch lustig, weil es Kassetten überall gibt. Das ist ein Medium, das nicht ausstirbt. Aber prinzipiell habe ich das – wie man das halt so macht – durchgehört und nach Stellen gesucht, die ich cool finde. Hin und wieder war es auch komplett random, irgendwas reingegeben auf Play gedrückt und wenn es cool war, hab ich es aufgenommen und runter gepitcht, bis es mir gefallen hat. Bei manchen Sachen, war es aber wieder so, dass ich mir gedacht hab, es wär cool, wenn das in einem Song vorkommt, wenn man darum was aufbaut. Zum Beispiel ist in einer Nummer das Schlagzeug von einer amerikanischen Shoegaze-Band aus den 90ern, das wir zufällig auf einer Tour mal durch den Shuffle-Modus vom iPod gehört haben. Ich hab den Song gar nicht gekannt, er dauert ewig lang. Und in der Mitte kommt ganz leise ein Schlagzeug-Break und ich dachte, das ist voll der coole Sound. Er rauscht halt ur, weil es ur leise ist und nur ganz kurz dauert. Daraus wurde dann „The World We Own“.
Mir ist ein Sample im Kopf geblieben, das war dieses „You look like an adult, you talk like an adult“. Wo kommt das her?
Das ist eine, ich würde sagen, Selbsthilfe-Therapie-Kassette von John Bradshaw. Die habe ich in Amerika auf der Tour gekauft vor zwei Jahren in einem Thrift Store. Das ist so unsagbar super, weil der so eine extrem ruhige und einlullende Stimme hat. Vor allem, was er sagt, ist dann immer extrem cool. Da kann man echt gute Sachen draus machen. Ich hab mir dann vieles von ihm auf den Sampler rauf getan und immer wieder für alles mögliche verwendet.
Überhaupt war das ja das erste Mile Me Deaf Album, bei dem das Songwriting nicht von der Gitarre aus ging. Wie ändert sich da der Kreativprozess? Was sind die Schwierigkeiten?
Das Schwierige ist einfach die Gewohnheit, die man kriegt. Ich mache das ja doch schon eine Zeit lang und ich hatte immer die Gitarre, das war immer mein Instrument. Das war dann sehr flashig, wenn man ein Sample hat, das cool klingt und einen Loop, dass man daraus dann irgendwie raus kommt, daraus irgendwas Spannendes macht, das drei Minuten dauert. Es sollten ja trotzdem Songs sein und etwas, das nach einem Mile Me Deaf Album klingt. Sonst hätte ich eh nur ein Album mit 20 Instrumental-Loops gemacht. Ich bin ja nicht so geskillt beim Arbeiten mit Samples oder elektronischer Musik, auch wenn ich das schon seit ein paar Jahren genau so zu Hause am Computer mache. Samples sind eigentlich immer schon vorgekommen, aber da waren sie halt mehr so zum Drüberstreuen, um leere Flächen auszufüllen. Und jetzt war es umgekehrt. Jetzt habe ich die Gitarre drüber gestreut, wenn ich gemeint habe, da fehlt irgendwie was.
Eh wie bei „Headnote #2“, wenn dann der alte Gitarren-lastige Sound durchbricht.
Ja, da hab ich auch ewig lange nicht gewusst, ob es cool ist, da so durchzurennen. So eine dubbige, trippige Nummer. Aber eigentlich spielen wir die „Headnote #1“ im Set genau so, wie die Nummer jetzt ist. Deswegen hab ich das ganz lustig gefunden, so ein Querverweis quasi.
Es geht ja bei dem Album darum, dass sich die Menschheit selbst ausrotten will. Wie bist du auf das Szenario gekommen?
Ich glaub, da braucht man eh nur die Welt anschauen, wie sie jetzt ist oder wird. Es ist zwar nicht so, dass das vor zehn Jahren alles besser war, aber ich glaub, dass vor allem in Europa immer mehr ins Bewusstsein kommt, dass Sachen nicht ewig dauern. Das klingt komisch, aber ich bin schon ohne Grenzen aufgewachsen, mehr oder weniger. In einem Denken, dass es in 20 Jahren gar keine Grenzen mehr geben wird. Nirgendwo. Vor allem als Kind hab ich das gedacht. Auch dass so Sachen wie Rassismus und Homophobie eine Debatte von der älteren, „regierenden“ Generation sind und sobald meine Generation an die Macht kommt, die Welt so wird, wie ich mir das vorstelle. Und jetzt merkt man: Okay, es verändert sich eigentlich gar nichts. Bei bestimmten Sachen wird’s sogar schlimmer, kommt mir vor. Die Texte habe ich an dem Tag angefangen zu schreiben, an dem Deutschland die Grenze zu Österreich zugemacht hat. Genau an dem Tag sind wir auf Tour gefahren. Das war immer schon ein Thema, über das wir geredet haben: „Stell dir vor, du spielst in Vorarlberg und musst übers deutsche Eck fahren. Stell dir vor, da wäre eine Grenze. Das wär ja super nervig“. Und auf einmal sind wird dort im Stau gestanden, an der Grenze. Wir haben zu der Zeit oft in Deutschland gespielt. Und das war einfach so unsagbar surreal, was da passiert.
Ich bin jetzt nicht der Songwriter, der sich hinsetzt und sagt, „das ist genau das, worüber ich schreiben will“. Das sind bei mir eher so Stimmungen. Am ehesten kann man das stream of consciousness nennen. Im Nachhinein ist das dann ganz lustig zu analysieren, was ich damit gemeint habe und was da so aus mir rausgekommen ist. „Invent Anything“ war am Anfang als First World Problem-Ding gedacht und passt jetzt ganz gut zu Donald Trump. „In no time you could rule the whole world but can’t understand the cause.“ Das ist dann die Amtseinführung und das Ende ist dann, dass die Menschheit sich eh selbst ausgelöscht hat. Und alles, was übrig bleibt, sind Höhlenmalereien, in denen man sieht, wie wir mit Waffen herum rennen. Das ist voll der oarge Gedanke. So wird sich das weiter entwickeln. Das prophezeie ich.
Wolfgang Möstl, der neue Nostradamus.
Ich hab tatsächlich den Wahlsieg von Van der Bellen mit 53 Prozent vorausgesagt. Und alle haben mich ausgelacht. Und ich hab auch vorausgesagt, dass die Wahl wiederholt wird. Gleich am nächsten Tag.
Du hast die Dystopie an sich ja überhaupt ganz gerne.
Ich glaub, das ist so ein bisschen „Kind der 80er“. Die ganzen Serien und Filme, die ich mir reingezogen habe. Das hat mich immer schon begleitet, solche Zukunftsfantasien. Mir kommt vor, dass ich gar nicht anders kann, als dass ich ständig über das sinne. Ich bin einfach ein großer Fan von postapokalyptischen Szenarien und sowas. Vor allem, weil es meistens erschreckend real ist. Zum Beispiel „Black Mirror“, das beste. Das schwingt auch ein bisschen mit auf dem Album.
Du hast mal gesagt, dass du als Kind immer Astronaut werden wolltest. Man hört das auch raus aus deiner Musik – das Astronomische, Physikalische…
Das Spacige! (lacht)
Wie passt das für dich zusammen?
Ich glaube, ich lasse sowieso alles irgendwie in die Musik und in die Kunst einfließen. Alles, was ich aufsauge, konsumiere. Ich bin ständig am überlegen, welchen Nutzen ich daraus für mein Zeug ziehen kann. Im Herzen bin ich schon ein Forscher geblieben, wie früher als Kind. So lässt sich das vereinbaren.
Das Weltall ist ja im Grunde auch sowas Ungreifbares wie die Musik.
Ja, the Unknown. Vielleicht ist es das. Das Grenzenlose und Unklare. Ich glaub, das ist schon ein sehr wichtiges Element für meine Musik. Immer schon gewesen. Das Undefinierbare ist etwas, was das irgendwie verbindet.
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