Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im April 2017

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.
© Charles Engelken

Chaplin – »Wenn uns morgen keiner weckt«

Chaplin © Ann-Katrin Schaffner

Es darf als die größte Ungerechtigkeit des Popjahrs 2015 gewertet werden, dass das Debüt dieser Berliner nicht die Aufmerksamkeit bekam, die es bekommen sollte. Immerhin, und das ist auch eine nicht geringe Leistung, gibt es nun ein zweites Album. Die Zeile zum Titel »Macht es einen Unterschied / Wenn uns morgen keiner weckt?“ gibt zumindest die textliche Richtung schon einmal gut und konsequent vor. Natürlich ist der Bandname gewollte Ironie. Chaplin sind traurige Clowns, ihre Sehnsuchtsballaden sind Indie-Pop. Jemand sprach von einer Mischung aus Bob Dylan, Bruce Springsteen und Element Of Crime. Auch Gisbert zu Knyphausen ist vor allem gesanglich nicht weit. Der dezente und mit Retrophilie nicht nur liebäugelnde Melancholie-Country trägt zum überragenden Klangbild – es produzierte mit Element-Of-Crime-Gitarrist Jakob Ilja ja auch kein Dahergelaufener – ebenfalls erheblich bei, so eine Lapsteel ist schon etwas Feines. Als eines der vielen Highlights des wieder einmal tipptoppen Albums bleibt vor allem »A44« noch länger im Gedächtnis. Einen schöneren Abgesang auf das, was einmal »Heimat« für einen war, gab es seit Klaus Lages »Wieder zuhaus« nimmer.

»Wenn uns morgen keiner weckt« von Chaplin ist am 31. März 2017 bei Tapete erschienen. Die Tour der Band führt sie nicht nach Österreich – ein Versäumnis sondergleichen!

 

Der Arne und die Anderen – »Magnete und Konserven«

© Der Arne und die Anderen

Erinnert sich noch jemand an Jonas Goldbaum? Falls nicht: Sollte man schon. Deren Sänger Arne Lechner ist mit anderen – daher auch der Bandname, zwinker – wieder aktiv. Bislang gibt’s zwei EPs (»Geliebter Anarchist (bleib so wie du bist)« und »Helden und Idioten«), die auch auf dem Album vertreten sind. Und falls sich doch jemand an Jonas Goldbaum erinnert, der kann es jetzt wieder sein lassen. Während erstere im letzten Jahrzehnt – vor allem mit ihrem FM4-Hit »Taucher im Meer« – klassischen Indie-Rock für damals noch verträumte, jetzt kapitalismusverarmte Indieboys und -girls schrieben, ist »Magnete und Konserven« deutlich zackiger, deutlich – nicht falsch verstehen – experimenteller und elektronisch verspielter, Genresuchmaschinen würden neben dem vagen Indie-Pop-Begriff auch konkreter »Fuzz« und »Synth« ausspucken. Textlich geht’s da, dem Gerne entsprechend, natürlich um alles und nichts. Liebe und Leiden, Alltäglichkeiten und alles dazwischen. Vor allem in seinen leisen Momenten zeigt das Album aber, was handwerklich in ihm steckt, wie im guten »W«.

»Magnete und Konserven« von Der Arne und die Anderen erscheint am 21. April 2017 bei !Records. Die Album-Release-Show findet am 20. April im Chelsea statt, danach spielt die Gruppe am 1. Mai in Kapfenberg, am 5. Mai in Leitersdorf, am 7. Juni in Graz, am 14. Juli in Kirchdorf an der Krems und am 20. Oktober in Villach.

 

Keele – »Gut und dir«

Keele © Charles Engelken

Es entbehrt nicht einer gewissen Sympathie, wenn man sein Debüt mit einer Lüge beginnt: Denn natürlich geht es Keele nicht gut. Aber: Als Hamburger Post-Punk-Band mit deutlichem Post-Hardcore-Einschlag darf es einem halt auch nicht gut gehen. Das würde jedem Ethos widersprechen. Keele, die für ein Debüt ganz schön alt sind, sind auch ganz der Herkunft verpflichtet. Natürlich ist das alles sehr norddeutsch, viel mehr Husum als etwa Stuttgart oder Münster – die in den letzten Jahren ja auch weit vorne waren. Ein bisschen Screamo ist auch dabei. Eigentlich eignet sich nur Escapado als wirkliche Referenzband, Turbostaat sind nah dran, Muff Potter auch. Wer das mag – und wer tut das nicht? – findet auch Keele ganz gut. Das ist sowieso das Problem von Debüts, man muss sie immer vergleichen, sonst sagt einem das nichts. Es macht auch nichts, denn von den Genannten klang niemand bereits so überzeugend und mit einem festen Plan ausgestattet wie Keele. Auch textlich ist da einiges gut, da wird gut außerhalb der Box gedacht. »Man sagt, die Zeit heilt Wunden / Doch Zeit reißt sie eigentlich erst auf«.

»Gut und dir« von Keele erscheint am 28. April 2017 bei Rookie Records. Aktuell sind keine Österreich-Termine bekannt.

 

Bei Bedarf – »Dichter & Henker«

Bei Bedarf

Das darf und muss auch mal sein. Textbook-Deutsch-Punk, einmal nicht als humorbefreite Klischeeklesch’n vorgeworfen, sondern durchaus mit der Bedeutung: So soll Deutsch-Punk musikalisch sein, so muss eigentlich alles sein. Linksaußen, straight forward, schnell, ohne Rücksicht auf Verluste, kritisch, aber dabei ungewohnt virtuos. Dass die Kreuzberger – auch ein weirder Herkunftsort für das Genre – bislang unter dem Radar liefen, ist eigentlich ein Versäumnis sondergleichen, »Dichter & Henker«, ein digitaler Re-Release der gleichnamigen CD aus dem letzten Jahr, ist ein energetisches Deutsch-Punk-Brett, zum Nicken, zum Besserfühlen. Bei Bedarf funktionieren – und das ist ein riesiges Kompliment für eine Band – auch für diejenigen, die sich dieser unangenehmen Punk-Klüngel, diesem buntgefärbten DIY-Snobismus entziehen wollen. Offene Musik für offene Menschen, Musik gegen die Kapuzenpolizei, gegen die normale sowieso. So kann linke Musik auch aussehen.

Der digitale Release »Dichter & Henker« von Bei Bedarf erscheint am 28. April bei Bakraufarfita Records.

 

Peak City – »Endlich wieder Stress (EP)«

Peak City © Jan Weber

Ist das Innovation oder Irrsinn? Ist das Kunst, Kacke oder Kommerz? Die alte Frage, immer gestellt, wenn jemand es schafft, tatsächlich etwas zu produzieren, das sich ungehört und unerhört anhört. Peak City aus Berlin gelingt das mit ihrer kaum in Worte zu fassenden Mischung aus Hardcore und Elektronik, zwischen Moshpit und Rave-Kids, zwischen Screamo-Screams und sphärischen Flächen, zwischen Dosenbier und MDMA. Das ist dann fast schon zwangsläufig polarisierend: Das Zusammenbringen von Dingen, die offenbar nicht zusammengehören, spaltet alle, denen die Dinge eigentlich gehören. Die Hardcore-Kapuzen sind ja nicht gerade als besonders musikalisch tolerant bekannt. Gerade deshalb sind Peak City und ihre Debüt-EP »Endlich wieder Stress« so interessant. Da ist ganz viel möglich, hinter zumindest diesen sechs Songs steckt eine Idee, die noch nicht so viele hatten. Und über die sich vor allem noch nicht so viele drüber getraut haben.

»Endlich wieder Stress«, die Debüt-EP von Peak City, erscheint am 21. April 2017 bei Filter Music Group.

 

Außerdem erwähnenswert:

Der Nino aus Wien – »Wach« (VÖ: 7. April 2017)

»Wach« ist ein bisschen das Novelty-Album aus der umfangreichen Liedersammlung des Nino Mandl und steht musikalisch klar neben »Schwunder« und vor allem »Bulbureal«, aber auch »Träume«. Kenner erkennen bereits: Es ist ein »poprockiges« Nino-Album, mit ein bisschen elektrisch anmutendem Schlagzeug, mit Psychedelischem und Sitar-Spaghetti-Western. Aber eben auch mit ein paar existenzialistischen Gitarren-»Balladen«, aus denen insbesondere »Die Bohème« hervorsticht. Ein Song, ganz in der Tradition von »Bäume« oder »Vollenden.«

Hier gibt’s die ganze Rezension zum Album.

Matthäus Bär – »Nichts für Kinder EP« (VÖ: 4. April 2017)

Könnte man mitbekommen haben: The Gap hat sich für seine aktuelle Ausgabe sehr intensiv mit Matthäus Bär beschäftigt, von dem man gerade aber auch sonst überall liest. Der große Meister der Lieder für die Kleinen hat auf seiner neuen Kurzspielplatte den Schlager für sich entdeckt und exerziert diesen mit erstaunlicher Chuzpe und Können. Mit so einem Liedgut und dieser Performance muss man einfach der Star aller Bobo-Eltern sein.

Hier geht’s zum großen Porträt von Matthäus Bär.

Molden / Resetarits / Soyka / Wirth – »Yeah« (VÖ: 28. April 2017)

Endlich hat Ernst Molden die Anerkennung, die ihm eigentlich schon immer gebührt. Mit dem neuen Band-Album, das in Triest aufgenommen wurde, schließt er nahtlos an den großen künstlerischen Erfolg von »Ho Rugg« an, insbesondere die ruhigen Stücke sind für Molden-Fans wahre Goldschätze und zählen mit zum Besten, was der Altmeister jemals produziert hat. Der Amadeus ist schon reserviert.

Tom Schilling & The Jazz Kids – »Vilnius« (VÖ: 21. April 2017)

Oh Boy! Tom Schilling, die Ikone der großen Leinwand, ewiger Sympathieträger und Schauspiel-Genius entschließt sich zu einem Album, das sich vor allem einem seiner Filme annähert: »Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe«. Denn es gibt sehr viel Element Of Crime, eine romantische Beziehung zu russischen Songwritern, die Verwunderung über die Liebe an sich und auch eine Blondine, die nicht so richtig hineinpasst.

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