Wie denkt, inszeniert, verhandelt und thematisiert das Kino den Rausch? Und welche Rolle nehmen ekstatische Ausnahmezustände in einer modernen Gesellschaft ein? Die Diagonale zeigt dieses Jahr in einem seiner historischen Specials 22 Filme unter dem Schirmbegriff »Rausch« – von der »Club 2«-Montage bis »Vollgas«. Das ambivalente Faszinosum beschäftigt aber nicht nur Kunstinteressierte, sondern auch die Wissenschaft.
»Rauchen und Saufen« ist aufgrund mehrerer Aspekte ein Film, wie er vermutlich heutzutage nicht mehr funktionieren würde. Ende der 90er war Sackls Alltagskonsum noch um einiges grenzenloser und auch der gesellschaftliche Umgang mit Rausch- beziehungsweise Suchtmitteln von weitaus weniger Präventionsarbeit und damit auch weniger Wissen begleitet.
Sackl erzählt eine Anekdote von seiner nach wie vor ausgeübten Tätigkeit als Elektrik-Montagearbeiter in einem Schweizer Atomkraftwerk, bei der es in den 70er-Jahren völlig normal gewesen sei, sich bei der Werkzeugausgabe einen Doppelliter Wein für die Schicht zu holen. Auch er selbst machte im Laufe seines Lebens unangenehme Erfahrungen: »Es gab Punkte und Phasen, in denen ich knapp davor war, in eine Alkoholsucht reinzurutschen. Vielleicht war es per Definition schon eine Sucht, aber glücklicherweise keine schwere, sodass ich es auch selbst wieder herausgeschafft habe. Mittlerweile habe ich Umgangsformen gefunden, die meinem Fortkommen im Leben zuträglich sind, aber dennoch an manchen Stellen Exzess erlauben.« Studienautorin Niekrenz: »Rausch wird regelmäßig mit Sucht verwechselt. Man hat die Angst, aus dem freudvollen Rausch wird im Handumdrehen eine schwerwiegende Erkrankung. Bisher wurde dem gemeinhin mit Prohibition begegnet, die im Großen und Ganzen immer grandios scheiterte.«
Aufklärung sticht Prohibition
»Was man beispielsweise über Alkohol sagen kann, ist, dass die Risiken oftmals unterschätzt werden«, meint Florian Eichberger von der Beratungsstelle Checkit! in Wien. Als Leiter der Peerprojekte bildet er junge Menschen für Gespräche unter gleichaltrigen Leuten aus, in denen positive wie negative Potenziale von Alkohol thematisiert werden. Als Berater spricht er mit Menschen, die sich über Substanzkonsum und mögliche Folgen informieren möchten. Für generell gefährlich hält die Wiener Einrichtung berauschende Substanzen allerdings nicht: »Um von einer Sucht zu sprechen, braucht es einige Faktoren, wenn man davon ausgeht, dass sich Menschen grundsätzlich selbst keinen Schaden zufügen wollen. Man kann genauso auch süchtig sein und ein wunderbares Rauscherlebnis haben. Es wird allerdings schwierig mit der Substanz, von der ich abhängig bin, einen Genusskonsum zu etablieren«, so Eichberger.
Laut Bundesministerium für Gesundheit gelten in Österreich derzeit etwa 340.000 Menschen als alkoholkrank, knapp 735.000 Österreicher*innen konsumieren Alkohol regelmäßig in einem gesundheitsschädlichen Ausmaß. Laut Europäischem Drogenbericht 2021 des European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA) haben Schätzungen zufolge etwa 83 Millionen oder 28,9 Prozent der Erwachsenen (im Alter von 15 bis 64 Jahren) in der Europäischen Union mindestens einmal im Leben illegale Drogen konsumiert.
Doch Eichberger sieht davon ab, Sucht, Substanzkonsum und Rausch in einen kausalen Zusammenhang zu setzen: »Ein Rauscherleben ist etwas Hedonistisches, dafür muss ich mir bewusst Zeit nehmen. Genusskonsum ist an sich nichts Problematisches.« Vielmehr sei es die Stigmatisierung, die für ihn und sein Team die Arbeit erschwere und den gesamtgesellschaftlichen Umgang mit Rausch, Substanzkonsum und Süchten hemme: »Dass Dinge für Rausch sprechen, zeigt die Geschichte. Der Mensch neigt seit jeher dazu, mit bewusstseinserweiternden Substanzen in Berührung zu kommen. Am Ende des Tages gilt es Strukturen zu entwickeln, die das möglichst aufgeklärt und in einem sicheren Rahmen ermöglichen.«
Die Diagonale zeigt »Rauchen und Saufen« sowie 21 weitere Filme im historischen Special »Rausch«. Gemeinsam mit der Diagonale holt The Gap im Rahmen der Feierlichkeiten zu »Ein Vierteljahrhundert The Gap« am 20. April vier Kurzfilme zum Thema ins Metro Kinokulturhaus nach Wien. Einen Überblick über unsere Beiträge zur Diagonale findet ihr hier. Personen, die sich zu Rausch, Substanzkonsum und einer Sucht als potenzieller Folge informieren wollen, wird beispielsweise unter suchthilfe.at, checkit.wien oder dialog-on.at geholfen.