Corona-Aftermath in der Kulturbranche: Was uns vom Krisenjahr bleiben wird – und was nicht

Wie lange die Pandemie noch dauern wird, ist nach wie vor unklar. Dass uns davon einiges bleiben wird, relativ sicher. Ein Versuch, die Frage nach dem Was zu beantworten.

These 6: Aufgestaute Werke bedrängen manche Branchen, einen »Kulturüberschuss« wird es aber nicht geben.

Was, wenn nach der Krise alle aufgestauten Werke gleichzeitig auf das Publikum losgelassen werden? Wer kann es sich dann noch leisten, sich all das zu geben, was eigentlich von Interesse wäre? Und wie soll man es mit dem Terminkalender vereinbaren, in einer Woche auf sechs Konzerte zu gehen?

Die Frage nach dem Kulturüberschuss nach der Krise ist ähnlich heikel wie die nach den positiven Aspekten einer Pandemie. Und nicht überall antwortet man darauf gleich. Dort, wo Shows, Touren, Aufführungen, Lesungen, Messen, Konzerte, Ausstellungen und so weiter geplant, verschoben, abgesagt, neu konzipiert und wieder verschoben wurden, hat sich schnell der Begriff der Kannibalisierung eingeschlichen, der ansonsten eigentlich eher der reinen Ökonomie vorbehalten war.

Er meint im Kulturkontext, dass es ein schwieriges (um nicht zu sagen unmögliches) Unterfangen ist, verschobene Termine nach der Pandemie weiterhin stattfinden zu lassen, ohne dabei auf neues Material zu verzichten. Das traf vor allem diejenigen, die nicht dafür bekannt sind, die größten Umsätze einzufahren – sprich: die lokale Szene. Nicht nur im Presswerk wurden kleinere Bands hinter diejenigen gereiht, die eigentlich eh schon genügend Tonträger für zwei Karrieren verkauft haben, auch im Veranstaltungsbereich wurden große Termine verschoben, während die heimischen Akteur*innen bei der Neuplanung eher abgesägt wurden.

Das ist grundsätzlich nichts weiter als eine Einmaleinsrechnung der Wirtschaftlichkeit, aber auf lange Sicht eben jene Entwicklung zugunsten der wirtschaftlichen Rentabilität von Kunst und Kultur, die es eigentlich zu vermeiden gilt.

Im Bereich der Kinos stellt sich diese Frage sehr dringlich, weil es nun bald zu entscheiden sein wird, ob die großen Blockbuster kürzer im Programm bleiben und damit potenzielles Publikum verloren geht oder ob man die stärksten Pferde auf Kosten von Arthouse-Produktionen ausspielt – und damit potenzielles Publikum verloren geht.

Die Branche der Filmverleihe, die ohnehin schon mit Bauchschmerzen in Richtung der Streaming-Riesen geblickt hat, bekommt so ein weiteres ernstes Problem. Grundsätzlich ist sich die Branche aber einig, dass es niemals zu viel Kulturgenuss geben kann. Ein Überangebot kann auf den ersten Blick erdrückend wirken, aber nach der Pandemie auch helfen, Besucher*innenströme so zu verteilen, dass ihr Volumen dem postpandemischen Zeitalter gerecht wird. Ein Start von null auf hundert wird jedenfalls nicht zu erwarten sein.

These 7: Bis zu einer vollständigen Genesung der Branche wird es noch eine Weile dauern.

Wenn hier von der Zeit »nach der Pandemie« gesprochen wird, ist eigentlich noch ziemlich unklar, wann genau das sein wird. Mit Blick auf neue Virusmutationen made in Austria ziehen ganz schnell dunkle Wolken am Horizont des Optimismus auf, aber vielleicht werden das die Impfungen ja richten – »Jaukerl« for Wort des Jahres 2021!

Wie dem auch sei, es lässt sich jetzt schon erahnen, dass die Auswirkungen auf die Branche ziemlich verheerend sein werden. Nicht genug, dass aufgrund hoher Fixkosten und teilweise schwer zugänglicher Hilfsfonds die finanziellen Reserven langsam, aber sicher auch nach den erfolgreichen Crowdfundings des Frühsommer 2020 aufgebracht sein werden. Denn auch die gestundeten Zahlungen und Kredite, die für den Fortbestand von Institutionen aufgenommen werden mussten, werden irgendwann fällig.

Pläne für Vorhaben, die unter Einbezug von Erspartem auf dem Tisch lagen, wandern unter mürrischem Widerwillen vorerst wieder in die Schubladen. Die Zahlen, die man aus der Kulturbranche hört, wenn es um die Schätzung des Corona-Nachhalls in Jahren geht, reichen von einem Dreivierteljahr (teilweise wird von Normalität ab Herbst 2021 gesprochen) bis hin zu einem Rattenschwanz von bis zu fünf Jahren. Verglichen wird die Krise dabei mit der Wirtschaftskrise von 2008, aber auch mit den schrecklichen Ereignissen vom 11. September 2001, wobei in letzterem Fall eher der krasse Vorher-nachher-Unterschied gemeint ist.

Unklar ist auch, inwiefern diejenigen wieder zu Kulturgenuss bereit sind, die sich bald ein Jahr lang nicht damit beschäftigt und somit den Kontakt verloren haben. Auf jede Prognose des hedonistischen Post-Corona-Neustarts kommt eine Stimme, die befürchtet, dass im Publikumsbereich Unbehagen und Argwohn einziehen werden. Das Bier teilen mit random Leuten bei einem Konzert? Dicht gedrängtes Tanzen in dunklen Clubs mit freudigem Schweißverteilen auf alle umstehenden Personen? Im Kino mal heimlich in die Popcornschachtel von nebenan greifen? Was schon vor Corona nicht gerade breite Begeisterung ausgelöst hat, wird sich vermutlich auch in den ersten Wochen und Monaten nach Betriebsbeginn nicht grob ändern.

Desweiteren stellt sich die Frage nach der Risikofreudigkeit respektive dem Idealismus derer, die bis vor 2020 noch mit der Idee spielten, einen Kulturbetrieb zu eröffnen. Dass für jede geschlossene Institution eine neue aus dem Boden schießen wird, wird zurecht angezweifelt, nachdem nun weitgehend bekannt ist, dass nicht nur die Akteur*innen der Szene selbst, sondern auch die Branchen, die sich – in welcher Form auch immer – auf die Kunst- und Kulturszene gestützt haben, keine rosige Zeit hinter und vor sich haben.

Die tatsächliche Tragweite der Krise wird sich vermutlich erst zeigen, wenn die staatlichen Hilfszahlungen eingestellt werden. Manche nennen es »Sterben mit Anlauf«.

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