Der Cursor denkt nach: »Instant Choir 2.0« im Werk X-Petersplatz

Für Mimu Merz’ Performance soll das Theaterpublikum im Vorhinein eine App herunterladen – und durch diese Teil der Inszenierung werden. Eine Auseinandersetzung damit, wie wir digitale Medien nutzen.

© Alexander Gotter

»›Beweise, dass du ein Mensch bist‹, sagt das Internet nun zu mir. Mir bleibt das Maul offen«, gibt sich Mimu Merz an einer Stelle ihrer partizipativen Performance »Instant Choir 2.0 – In jedem Mädchen ein Hafen« fassungslos. Was machen wir mit dem Internet? Und was macht das Internet mit uns? Diese und weitere Fragen, die den »modernen Menschen« beschäftigen, verpackt die Künstlerin in ein Stück, bei dem sie verschiedene Textsorten zitiert, zerteilt, remixt und am Mikro performt. Begleitet wird sie dabei von Lukas Lauermann an einem Kontrabass, was den Textvortrag zusätzlich Bedeutungsschwere verleiht.

Das Publikum wird in diese Inszenierung eingebunden und fungiert als Teil des »Instant Choir 2.0«. So wird man auf der Internetseite vom Werk X dazu aufgefordert, bereits vor dem Theaterbesuch eine App herunterzuladen und sich dann vor Ort in einem Gäste-WLAN anzumelden. Vor Vorstellungsbeginn betritt das Publikum den Saal, wo mittels Projektionen erklärt wird, wie man mithilfe eines QR-Codes Teil der Aufführung werden kann; man kann den digitalen Raum »joinen«, bekommt einen neuen Namen, sowie eine Nummer zugewiesen und soll am Handy die Lautstärke hochdrehen.

Mimu Merz performt den Text, während das Publikum Anweisungen via App erhält. © Alexander Gotter

Neben der Darbietung des Theatertextes, die musikalisch und teils durch Foto-, Text- und Videoeinblendungen untermalt wird, wird das Publikum dazu aufgefordert, Fragen zu beantworten, sich zu Aussagen zu positionieren und sich dadurch in Gruppen einteilen zu lassen. Durch Regieanweisungen auf ihren Handyscreens werden die ZuschauerInnen aktiviert: Sie sollen den Bühnenraum betreten und Aufgaben erledigen.

Beschallung auf allen Kanälen

»Instant Choir 2.0« bedient sich vieler Reize. Die großen Projektionen lenken mit schnellen Schnitten immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich. Dass der Sound ziemlich großartig anmutet, kommt nicht von ungefähr, basiert die Performance doch auf einem Hörspiel, das von Ö1 ausgezeichnet worden ist. Darin wird bereits vieles transportiert, was der Theaterabend über Mediennutzung zu sagen hat. Dem Ganzen wird aber noch das Raumerlebnis hinzugefügt – zum Beispiel, wenn sich die Handys des Publikums zu Wort melden und in Dauerschleife Geräusche und Wortmeldungen anstimmen.

Thematisch konzentriert sich »Instant Choir 2.0« vor allem auch auf problematische Internetphänomene wie beispielsweise die (überwiegend in Online-Communitys organisierten) Incels. Die selbsternannten »involuntary celibates« fabulieren auf Plattformen wie Reddit und 4chan von einem Staat, in dem jedem Mann eine Frau für Sex zugewiesen wird, um ihre Jungfräulichkeit zu verlieren. Sie fallen auch sonst durch aggressive, frauenfeindliche Meinungsäußerungen auf. Manche dieser Ideen werden auch in »Instant Choir 2.0« an die Leinwände projiziert. So gleichen sich Bild- und Textebene in dem Sinne, dass sie wie die Suche eines Cursors beim Streifzug durchs Internet wirken – zwischen Instagram-Bildern, News-Meldungen und Hassnachrichten.

Darüber, wie gesellschaftliche Spaltung durch Algorithmen und Filterblasen vorangetrieben wird, ist in den letzten Jahren viel geschrieben und diskutiert worden. Was der alltäglichen Mediennutzung aber in der Regel keinen Abbruch tut, und so kommentiert auch Autorin Mimu Merz ihr inszeniertes und konzipiertes Stück: »Das Internet ist aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken, es erfüllt mich gleichzeitig mit Freude und Beklemmung. Ich kann das Smartphone nicht aus der Hand legen und möchte es gleichermaßen gegen die nächste Wand werfen.«

Lukas Lauermann begleitet die Performance am Kontrabass. © Alexander Gotter

Die Fülle der angeschnittenen Themenbereiche ist bereits Indiz dafür, dass der Theaterabend recht überladen wirkt und man streckenweise aufgibt, sich auf Bilder, Musik, gesprochenen Text und Regieanweisungen am Handy gleichzeitig konzentrieren zu wollen. Dass verzerrte Töne als Dröhnen in manchen Szenen Überhand gewinnen, tut sein Übriges. Es geht weniger darum, Antworten auf aufgeworfene Fragen zu finden, und auch bei den mit dem Publikum erarbeiteten Persönlichkeitstests kommt letztendlich wenig heraus. Vielmehr ist »Instant Choir 2.0« ein Reflektieren über unseren Umgang mit Technik und den tagtäglichen Medienkonsum an sich. Dass thematisch viel angerissen und nichts gelöst wird, ist dann insofern passend, als auch endlose Nachrichten- und Social-Media-Feeds als anstrengend wahrgenommen werden können. Beschallung auf allen Kanälen ist schließlich genau das: Überforderung.

»Instant Choir 2.0 – In jedem Mädchen ein Hafen« wird heute noch ein letztes Mal im Werk X-Petersplatz aufgeführt. Weitere Informationen zur Performance gibt es auf der Website vom Werk X.

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