Katharina Seidler ist eine von Österreichs interessantesten MusikjournalistInnen. Gut möglich, dass sie in den kommenden Jahren ihre zentrale Rolle im Wiener Musikgeschehen weiter ausbaut – und es sich nie nehmen lässt, sich von guten Liedern rühren zu lassen.
Eigentlich wollte Katharina Seidler Flötistin werden. Nach dem Querflöten-Unterricht an der Schule verlor sie als außerordentliche Studentin an der Uni dann aber das Interesse: »Es ging nicht darum, dass ich nicht viel üben oder nicht im Orchester spielen wollte. Ich glaube heute, ich wollte einfach wissen, dass ich es könnte.« Zwischen der Matura 2003 und dem Studium nutzte sie ein Jahr Pause, um je ein halbes Jahr nach Frankreich und nach London zu gehen. Dort hat sie auch den Club für sich entdeckt: »In Wien war ich manchmal im Flex, aber in London hab ich mich dann richtig in die Partywelt gestürzt.« Zu dieser Zeit wurde auch klar, dass sie aus dem Lesen von Magazinen, wie etwa dem Spex, gerne mehr machen würde, gerne selbst schreiben würde. Zurück in Wien hat sie begonnen, Musik und Germanistik zu studieren – Letzteres fertig –, und beim Kellnern die Macher vom Skug kennengelernt. Dort hat sie nach einem Treffen mit Alfred Pranzl quasi von heute auf morgen mit dem Schreiben begonnen: »Das Heft war zwei Tage vor Abgabe und sie haben noch schnell Texte gebraucht – und dann waren meine Rezensionen auch schon in Druck.«
Rund sechs Jahre hat sie für das Wiener Musikmagazin geschrieben, unter anderem in der Kolumne Elektronähkästchen, für deren Umbenennung sie sich retrospektiv einsetzen würde: »Das war eine Sammelrezension für eher experimentellere Elektronik – viele, viele Raster-Noton- und Shitkatapult-Releases, bis zu 15 Alben pro Ausgabe, viermal im Jahr. Man musste damals selbst viel feilen, lesen und sich verbessern«, erinnert sie sich. Über den in der Wiener Musikszene ebenfalls gut verankerten Max Zeller, der damals bei Monopol und The Gap gearbeitet hat, begann sie dann auch für The Gap zu schreiben, inhaltlich mehr in Richtung Pop. Ungefähr zu dieser Zeit gründete sie auch mit Max Zeller, Stefan Niederwieser und Johannes »Laminat« Piller den Musikblog Electronic Task Force. Nur wenig später, 2010, hat sie sich bei FM4 beworben, bekam dort eine dreimonatige Grundausbildung und begann zu arbeiten: »Da habe ich dann drei Jahre das Studium auf Eis gelegt und meine Diplomarbeit warten lassen, die ich dann drei Wochen vor der Änderung des Diplomstudienplans noch schnell abgegeben habe. Im Nachhinein hätte ich vielleicht lieber Musikwissenschaft weitergemacht, aber in Germanistik war ich schon weiter.«
Heute ist Katharina Seidler Musikjournalistin bei FM4, schreibt für den Falter und andere Publikationen. In der FM4-Sendung »Im Sumpf« widmet sie sich unter dem Titel »Die Unordnung der Dinge« elektronischer Musik und auch sonst arbeitet sie in verschiedenen Bereichen für den Sender und ist als Station Voice seine wiedererkennbare Stimme. Seit vielen Jahren schreibt sie außerdem die Party-Kolumne im Falter und hat ihren Überblick und Geschmack auch als Kuratorin des Electric Spring im Museumsquartier bereits bewiesen. Heuer kuratiert sie gemeinsam mit dem Nino aus Wien das Popfest am Wiener Karlsplatz. Mit ihrem Engagement und ihrer Erfahrung dürfte sie auch in den kommenden Jahren eine prägende Figur in Wiens und Österreichs Musikleben bleiben. Sie ist sich der Verantwortung, die sie mit solchen Funktionen übernimmt, zwar bewusst, bleibt aber immer auf die Musik und die Inhalte fokussiert und lässt sich nicht von Politik oder wirtschaftlichen Belangen ablenken. Diese lässt sie auch deswegen weitgehend unkommentiert, weil ein Kommentar zu einem Wahlausgang auf Sendung, kurz nach Jobbeginn, intern hohe Wellen schlug und manche ORF-Regeln nicht neu sind. Ihr gelingt das seltene Kunststück, offen zu bleiben, sich Zynismus zu verweigern und sich auch nach vielen Jahren von Musik bewegen zu lassen. Eine Qualität, die sie auch im Umgang mit anderen ausmacht.
In guten Liedern viel entdecken
Wichtig war für Katharina Seidler immer die Beschäftigung mit Klassik. »Vielleicht habe ich da das Zuhören gelernt«, meint sie rückblickend. »Sowohl beim Erlernen der Querflöte als auch im Musikstudium hat man Hörkurse. Und noch heute kann ich Lieder zig mal hören und muss manchmal aus Begeisterung schon in der Mitte an den Anfang zurückspringen. Ich habe das Gefühl, dass das vielleicht von der Klassik kommt, das Wissen, dass man – zumindest in guten Liedern – unglaublich viel entdecken kann.« 2010 und damit etwa zur Zeit, als sie bei FM4 begann, übernahm sie die Party-Kolumne im Falter von Florian Obkircher, die sie bis heute betreut. Sehr schnell hat sie ihre eigene Rubrik bei »Im Sumpf«, der ausgezeichneten FM4-Sonntagsabendsendung von Fritz Ostermayer und Thomas Edliger, bekommen. Ersterer wollte Clubkultur in der intellektuell anregenden Sendung verankern und kannte Katharine Seidler schon vom Skug: »Die Rubrik hat sich von Techno dann in Richtung experimentellere Musik gewandelt, weil sich meiner Meinung nach auch die Clubkultur in diese Richtung verändert hat.«
Trotz mittlerweile vielen Jahren Erfahrung, spricht sie offen darüber, dass bis heute nicht alle Texte leicht von der Hand gehen. Auch hier verweigert sie sich steriler, vielleicht auch kalter Professionalität: »Ich habe, glaube ich, einen sehr konservativen Zugang zum Musikjournalismus. Ich lese auch immer noch gerne klassische große Rezensionen und Porträts und will diese auch ernst nehmen. Das gilt auch für das eigene Schreiben: Ich hasse Schlampigkeit!« Mittlerweile ist sie seit drei Jahren bei FM4 angestellt. Im Gegensatz zu vielen anderen hat sie sich in all der Zeit – mit Ausnahme von ein wenig Literatur – immer auf Musik fokussiert, auf diese aber in ihrer ganzen Bandbreite: Elektronik, Techno, aber auch Pop, deutschsprachige Bands, und auf den vielen Festivals, auf denen sie ist, gerne auch immer wieder Black Metal. »Ich genieße wirklich jede Form von Konzert – und heute gehe ich auch noch in die Oper. Auch in einer Woche mit vier Konzerten werden mich das Ausgehen und die Musik nie langweilen.«