Die Geister, die wir riefen …

»Solange Johnny Thunders lebt, solange bleib ich ein Punk«, hieß es in »Wort zum Sonntag« 1986. Thunders ist lange tot, Die Toten Hosen prosperieren. Ob sie noch Punks sind, schert längst keinen mehr, als Live-Band sind sie eine Einserbank.

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Jahr für Jahr sorgen Fußball-Meisterschaften, Ski-Weltcup-Rennen oder Tennis-Turniere für wiederkehrenden Rummel bei Sportfans. Der sommerliche Festival-Zirkus im Rock- und Popbereich funktioniert durchaus vergleichbar. Die Musik spielt dabei vielleicht nicht immer die zentralste Rolle, nebensächlich oder gar austauschbar sind die Bands und Musiker dabei aber bestimmt nicht. Vor allem nicht jene Namen, die in großer Schrift ganz oben auf den Plakaten der Festivals mit der massivsten Beschallung stehen. Wie: Die Toten Hosen.

Gestartet 1982 in der »Modestadt Düsseldorf« – so ein früher Songtitel – spielen Sänger Campino (Andreas Frege), die Gitarristen Kuddel (Andreas von Holst) und Breiti (Michael Breitkopf), Bassist Andi (Andreas Meurer) und Drummer Vom Ritchie (seit 1998 der vierte Mann auf diesem Posten) seit Langem in der Champions League des Livemusikgeschäfts. Und das nicht nur im deutschsprachigen Raum. Die Toten Hosen feiern heuer nämlich neben dem 30-jährigen Bandjubiläum eine auch schon wieder 20 Jahre währende, heftige Liebesgeschichte mit dem argentinischen und südamerikanischen Konzertpublikum. Wer die Band einmal dort bei der Arbeit erleben will, hat am 15. September in Buenos Aires dazu Gelegenheit.

Mit dem Ballast der Republik durch die Lande

»Wenn die Frage ist, ob ich noch gerne Gitarre spiele, dann ist die Antwort ja«, sagt Michael Breitkopf am Telefon. Der Musiker, der Anfang Februar seinen 48. Geburtstag feierte, ist ein freundlicher und professioneller Gesprächspartner. Nach drei Jahrzehnten im Geschäft ist er an den Ablauf von der Veröffentlichung eines Albums und dem begleitenden Konzert- und Medienaufkommen gewöhnt. Bei aller Interview-Routine vermittelt er ungezwungen und ohne es konkret zu sagen seinen intakten Spaß an der Sache, an der Band. Das Gefühl, dass es selbst, wenn es ein Job sein mag bei den Toten Hosen in die Saiten zu greifen, doch einer der lässigsten Jobs ist, der auf diesem Planeten zu haben ist. Zuhause greift er täglich zur Konzertgitarre, versucht sich an neuen Spieltechniken. »Wenn wir unterwegs sind, schaut das anders aus.«

Unterwegs sind Die Toten Hosen in den nächsten Monaten viel, gilt es doch das neue Album »Ballast der Republik« ans Publikum zu bringen. 16 neue Lieder, die sie mit Produzent Vincent Sorg und Arrangeur Tobias Kuhn (Monta, Thees Uhlman) aufgenommen haben. Dazu kommt in limitierter Auflage das Jubiläumsalbum »Die Geister, die wir riefen« mit noch einmal 15 Liedern – Coverversionen von deutschen Punk- und Zeitgenossen wie Abwärts, Mittagspause oder S.Y.P.H., aber auch von Die Ärzte, Falco, Kraftwerk oder Ton Steine Scherben. Dazu wagen sie sich mit Adaptionen von Hannes Wader, Fritz Grünbaum oder der Vertonung eines Textes von Hermann Hesse über das angestammte Toten Hosen-Territorium hinaus, finden dabei zu der Leichtigkeit und Verspieltheit zurück, die jüngeren Studio-Alben wie »In aller Stille« gefehlt haben. »Ich finde aber auch das eigentliche Album optimistischer und luftiger«, sagt Breitkopf. Mit ein Verdienst von Sorg und Kuhn, denen es gelungen ist, das System Hosen »aufzubrechen». 150 Lieder hätten theoretisch ihren Weg auf das Album finden können, hier genießt Campino auch innerhalb der Band eine Sonderrolle. »Er ist der einzige von uns, der Texte schreibt.«

Tage wie diese

Aktuell sind Die Toten Hosen in ihrer Jubiläumssaison auf Magic-Mysterie-Tour, eine der bisherigen Stationen 2012 lag gar in Island. »Das ist ein ganz anderer Kontakt zum Publikum, das spüren wir bei solchen Konzerten noch unmittelbarer.« Dafür und für die bevorstehenden Gigs bei Rock im Park, Rock am Ring und beim Nova Rock in Nickelsdorf diesen Frühling und Sommer hat sich die Band ein Repertoire von 70, 80 Songs quer durch die eigene Diskografie antrainiert, darunter »Lieder, die wir seit 1983 nicht mehr gespielt haben.« Da wäre mensch gerne Mäuschen im Proberaum gewesen, beim kollektiven Wie-ging-das-noch? Spannend war es für die Band zu sehen, welche der neuen Lieder live funktionieren und welche nicht. Dass die aktuelle Single »Tage wie diese« dabei für erhöhtes Mitsing-Aufkommen sorgen wird, scheint sicher. »Wo alles laut ist, wo alle drauf sind, um durchzudrehen, wo die anderen warten, um mit uns zu starten, um abzugehen.«

Wie gut die fünf ihre Songs draufhaben, davon vermittelt das Videotagebuch der Magic-Mysterie-Tour auf der Band-Website einen Eindruck. Auch davon, wie sehr solche Gigs an die körperliche Substanz der Musiker gehen. »Ich spiele zum Glück Eishockey«, sagt Breitkopf lachend. Campino und Andi feiern heuer im Sommer ihren 50. Geburtstag, 2- bis 3-Stunden-Sets bedeuten auch eine große physische Herausforderung. »Wenn tausende Gesichter erwartungsvoll auf dich gerichtet sind, da musst du erst mal dagegenhalten«, erzählt er von der Spannung bei den großen Konzerten – und räumt ein, dass es dabei nicht wirklich etwas ausmacht, wenn einer von ihnen einmal einen schlechten Tag hat, aus welchen Gründen auch immer. »Das ist schließlich keine Opernaufführung.«

»Ballast der Republik« und »Die Geister, die wir riefen« von Die Toten Hosen sind bereits erschienen. Die Band ist Headliner von Festivals wie Rock im Park, Rock am Ring und Nova Rock (8. Juni 2012).

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