Ein Familienbetrieb in Auflösung – Interview mit Gloria Gammer zu »2268, früher«

Das Gasthaus Georgihof im Mühlviertel ist seit drei Generationen im Familienbesitz, doch die Nachfolge klappt nicht reibungsfrei: Die Großmutter kann nicht loslassen, ihr Enkel gibt schließlich auf. Die Filmemacherin Gloria Gammer beobachtet ihre Verwandten bei der Auflösung des Familienbetriebs – und setzt ihrer hartnäckigen Oma ein Denkmal. Der Kurzdokumentarfilm »2268, früher« ist neu in der Cinema Next Series kostenlos zu streamen. Wir haben die Regisseurin zum Interview gebeten.

© Philip Jestädt

»2268, früher« ist die nächste Veröffentlichung in der Cinema Next Series, die regelmäßig auf der Streamingplattform Kino VOD Club kostenlos spannende Filme von heimischen Filmtalenten präsentiert.

Cinema Next: In deinen eigenen Worten: Worum geht es in »2268, früher«?

Gloria Gammer: Es geht um die Leidenschaft, das eigene Ding zu machen und die Grenzen, an die man dabei stößt. In »2268, früher« bewegt sich dieser Widerstreit innerhalb der Form eines Generationenkonflikts. Marianne (die Großmutter) hatte den Gasthof Georgihof im Mühlviertel in der Nachkriegszeit als Alleinerziehende gegründet und aufgebaut. Es war damals eine goldene Zeit für die Landgastronomie. Hermann (ihr Enkel) ist ihr Nachfolger im Familienbetrieb in zweiter Generation. 

Was sie gemeinsam haben, ist ihr guter Wille; wenngleich dieser sich jeweils anders ausdrückt. Sie unterscheidet aber die Prägung durch das Aufwachsen in einem bestimmten historischen Kontext. Daraus folgen unterschiedliche Lebensauffassungen und Wertvorstellungen, was schlussendlich das Happy End verunmöglicht. 

Ein Foto aus der goldenen Zeit der Landgastronomie: Marianne im Georgihof. Filmstill © Carolina Steinbrecher

Wie war es für dich, diese doch sehr persönliche Familiengeschichte, in der es ja auch zu Brüchen kam, zu erzählen?

Recht einfach. Viele aus der Familie haben das Projekt mitgetragen und unterstützt. Der Konflikt rund um den Familienbetrieb betraf mich nicht direkt. Insofern hatte ich eine gute Distanz. Als ich meine Großmutter erstmalig als Bewegtbild am Monitor sah, ist etwas Spannendes passiert: Ich konnte »sie« plötzlich als das sehen, was sie in dem Moment war: als Bild, das Bild einer Figur in einer Geschichte, die ihre Lebensgeschichte ist.

Regisseurin Gloria Gammer lebt in Berlin und Linz und ist neben ihrer Arbeit als Filmemacherin auch als Künstlerin im Bereich Video und Performance tätig. Foto © Melanie Lischker

Der Film ist auch ein Porträt deiner Oma, die immer mehr vergisst, aber doch nicht loslassen kann. Was war dir wichtig, was wir als ZuseherInnen von deiner Oma erfahren?

Mich interessiert die Ambivalenz ihrer Hartnäckigkeit. Zum Beispiel hat sie sich in der Nachkriegszeit einfach so scheiden lassen, dann als alleinerziehende Mutter eines zweijährigen Sohnes einen Betrieb geführt. Das war, denke ich, in dieser Zeit alles andere als die Norm. Ich sehe darin eine Art befreite Frau mit eisernem Willen. 

Aber ihre Hartnäckigkeit hat auch Verständnis zwischen den Generationen verunmöglicht, hat verhindert, auf die Andersartigkeit des Gegenübers einzugehen, und zur Zerrüttung der Verhältnisse beigetragen. Ich finde spannend, dass sich in ihrer Hartnäckigkeit Schaffen und Zerstörung treffen.

Filmstill © Carolina Steinbrecher

Als du mit den Dreharbeiten beginnst, war die Schließung des Georgihofs schon beschlossene Sache. Das Abschiedsfest wird noch mitgefilmt, das andere Material besteht aus Fotos oder Bildern, die im leeren Wirtshaus gedreht sind und von Erinnerungen erzählen. Was war der Georgihof für dich persönlich?

Es war der Ort meiner Großmutter. Vor allem das. Dann auch der meines Onkels und meines Cousins. Am besten erinnere ich mich an die Teller. Sie trugen das Emblem des Georgihofs. Meine Oma brachte mir jeden Tag ein Hauptgericht auf diesem Teller, so lange ich im Elternhaus wohnte. 

Das Ende des Georgihofs: Wo sich früher das Dorf zum Feiern traf, haben sich jetzt die Autorennfahrer eingemietet. Filmstill © Carolina Steinbrecher

Eine sehr unterhaltsame Szene im Film ist, als Oma und Opa gemeinsam am Tisch sitzen und essen wollen. Der Opa isst zufrieden, die Oma kommt nicht zur Ruhe. Was siehst du, als Enkelin und als Filmemacherin, in dieser Szene?

Wir haben die Szene reingenommen, weil sie meine Großmutter »in action« zeigt. Am Höhepunkt ihrer Rage sagt sie zu mir, die ich hinter der Kamera stehe: »Hast’ mi scho amoi zornig gs’engn? Wünsch da’s net!«. Das bringt vieles ziemlich gut auf den Punkt. Und alle, die sie kannten, würden nicken. Danach zieht sie ihr Ding durch. Obwohl sie kaum noch laufen kann, steht sie vom Tisch auf und schnappt sich das Telefon, um Essen für das Filmteam zu bestellen. Der Grund ihrer Unruhe war, dass sie beide essen und wir nur auf der anderen Seite der Kamera stehen und nichts essen. Wir sind doch ihre Gäste!

Welches ist deine Lieblingsszene in »2268, früher« und warum?

Mitunter die eben beschriebene. In meiner Seherfahrung ist sie jedenfalls die publikumswirksamste. Ich mag auch die Sequenz mit den Bildern des leeren Georgihofs mit der Off-Voice, in der oft das Wort »früher« vorkommt. Die Off-Voice habe ich anhand der Interviews mit Marianne und Hermann geschrieben. Ich bin zufrieden mit dem Ton, den ich getroffen habe und auch damit, dass ich den Text selbst gesprochen habe. 

Eine Interview-Reihe in Kooperation mit Cinema Next – Junges Kino aus Österreich.

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